Das Feuer. Henri Barbusse

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Das Feuer - Henri Barbusse


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keinen Wert, sich weiter den Gehirnschmalz anzustrengen. Nur dauert die Geschichte ein wenig lang.

      – Ha! ruft Fouillade aus, schon ein bischen lang!

      – Ich, sagt Barque, ich fluche nicht mehr. Anfangs hab ich über alles geflucht, über die hinter der Front, über die Zivilisten, über die Bürger, über die Drückeberger. Geschimpft hab ich, das stimmt, aber es war am Anfang, da war ich noch jung. Jetzt seh' ich die Geschichte von der besseren Seite an.

      – Es gibt nur eine Seite, die Dinge zu nehmen: man nimmt's, wie's gerade kommt.

      – Verdammt! Es wäre sonst zum verrückt werden. Man wird schon so blöd genug, meinst du nicht, Firmin?

      Volpatte nickt zustimmend mit dem. Kopf, völlig überzeugt, spuckt und betrachtet seine Spucke starren und nachdenklichen Blickes

      – Weiss der Teufel, bestätigt Barque.

      – Nur nicht lange nachgrübeln hier; in den Tag hineinleben, von Stunde zu Stunde, wenn du's fertig bringst.

      – Freilich, freilich, du Affe; machen, was man einem sagt, bis man uns sagt, dass wir gehn können.

      – So ist es, gähnt Mesnil Joseph.

      Die verbrannten, lohfarbnen und staubdurchsetzten Gesichter stimmen zu und verstummen. Das ist allerdings die Meinung jener Männer, die vor anderthalb Jahren, aus allen Ecken und Enden ihr Heim verlassen haben, um sich an der Grenze anzuhäufen: sie verzichten drauf, irgend etwas zu verstehn, sie verzichten auf sich selbst und hoffen, dem Tod zu entgehn und wehren sich um ein möglichst erträgliches Dasein.

      – Machen was man einem sagt, schon recht, aber wehren muss man sich doch gegen den Scheissdreck, meint Barque, der mit dem Fuss den Kot zerreibt.

      *

      – Das musst du freilich, bestätigt Tulacque. Wehrst du dich nicht selber, so tut's keiner für dich, hab nur keine Bange.

      – Den haben sie noch nicht erfunden, der sich um die andern kümmert.

      – Jeder für sich, heisst es im Krieg!

      – Freilich, freilich.

      Dann wieder ein Schweigen. Dann malen sich jene Männer in ihrer Armseligkeit die glücklichen Zeiten aus.

      – Es war doch was anderes, das schöne Leben damals in Soisson, meint Barque.

      – Gottverdammich!

      Und wie der Schimmer eines verlorenen Paradieses leuchtet es in ihren Augen auf und scheint auf den von der Kälte geröteten Gesichtern zu liegen.

      – Jawohl, das Schlemmerleben, seufzt Tirloir, der sich kratzte und plötzlich in Gedanken versunken damit aufhört; dann schaut er ins Weite durch die Erde des Grabens hindurch.

      – Herrgott! diese fast ausgestorbene Stadt, die, hol's der Teufel, unser war; die Häuser mit den Betten …

      – Und die Schränke!

      – Und die Keller!

      Dem Lamuse kommen bei diesen Gedanken die Tränen in die Augen, sein Gesicht strahlt wie ein Blumenstrauss und es wird ihm schwer ums Herz.

      – Seid ihr lange dort geblieben? fragt Cadilhac, der seither mit dem Zuschub der Auvergnaten hinzugekommen ist.

      – Mehrere Monate …

      Nun flammt in der Erinnerung an jene Zeit des Ueberflusses das Gespräch wieder auf.

      – Man sah, erzählt Paradis wie im Traum, Soldaten sich hinter die Häuser drücken nach dem Quartier, zurückkommen mit Hühnern auf dem Bauch und unter jeder Flosse ein Kaninchen, das sie sich von einem Bürger oder einem Frauenzimmer gepumpt hatten, ohne den Bürger oder das Frauenzimmer jemals gesehn zu haben, oder wiederzusehn.

      Und sie denken an den vergangenen Genuss, den ihnen früher ein Huhn oder ein Kaninchen bereitet hatte.

      – Es gab auch Zeug, wofür man blechte. Die Moneten liess man nämlich auch tanzen, denn man war damals noch bei Kasse.

      – Zu Hunderttausenden sind die Franken in die Läden gehüpft.

      – Jawohl, millionenweise. Den ganzen Tag, sag ich dir, das ging nur so, machst dir gar keinen Begriff; wie 'n überirdisches Fest war das.

      – Glaub's oder glaub's nicht, sagt Blaire zu Cadilhac, aber was bei der ganzen Schlemmerei, wie überall, wo du hinkommst, am meisten fehlte, das war das Feuer. Nachlaufen musste man ihm, nachschnüffeln, kurz, man hat sich's verdienen müssen. Herrgott, was man bloss dem Feuer nachgelaufen ist! …

      – Wir, wir waren im Quartier der Verwaltungstruppen; Küchenchef war der lange Martin César. Der hatte eine Nase, sag ich dir, für's Holz ausfindig machen.

      – Teufel, ja! Das war ein feines Luder. Da kann man nicht dran tippen, der hatte das Zeug los!

      – Immer hatte der Feuer in der Küche, wenn ich dir sage. Ueberall liefen Küchenchefs rum in der ganzen Stadt und plärrten, weil sie weder Holz noch Kohle fanden; er – immer hatte er welches. Und wenn nichts mehr da war, da sagte er einfach: »Nur Geduld, ich werde die Sache schon deichseln.« Und lange hat er nie gesucht.

      – Manchmal allerdings war's schon toll. Das erste Mal, wo ich ihn gesehn habe in der Küche, weisst du womit er den Braten gekocht hat? Mit einer Geige, die er im Haus aufgestöbert hatte.

      – Gemein ist das schon, meint Mésnil André. Gewiss, eine Geige, was die Nützlichkeit betrifft, ist ja schon wenig bedeutend, aber ich meine doch …

      – Anderemale hat er Billardstöcke gebrannt. Zizi hat sich gerade noch einen mausen können, um einen Stock draus zu machen. Das übrige flog ins Feuer. Dann kamen so allmählich die Sessel dran aus der guten Stube, die waren aus Mahagoni. Sie haben sie nachts abgemurkst und zerhackt, weil ein Offizier hätte schnauzen können.

      – Starkes Stück ist das schon, sagt Pépin … Wir haben an einem alten Möbel zwei Wochen zu feuern gehabt.

      – Warum kriegt man auch rein nichts? Da soll man Suppe kochen, aber Holz kriegst du keines und Kohlen kriegst du keine. Und nach der Verteilung stehst du da mit deinen leeren Flossen vor dem Fleischhaufen, und die andern stehen rum und feixen dich aus, bis sie dich schliesslich anschnauzen. Und dann? …

      – Da können wir nichts dafür.

      – Schnauzten die Offiziere nicht, wenn man Radau machte?

      – Die, die hielten sich den Bauch vor lachen, und wie! Weisst du noch, Desmaisons, der Leutnant Viroin, wie der mit dem Beil die Kellertüre einhaute? Und wie der Soldat ihn gesehn hat, wie ihm da der Leutnant die Tür zum kleinhauen gegeben hat, dass er nichts weiter erzählen sollte.

      – Und der arme Saladin, der Verwaltungsoffizier: sie haben ihn abends aus einem Kellerloch kriechen sehn mit zwei Pullen Weissem unter jedem Arm, wie so 'ne Amme mit vier Säuglingen. Aber wie sie ihn gesehn haben, da musste er wieder runter in die Pullenmine und den andern welche verteilen. Und wie Korporal Bertrand, der sich Prinzipien leistet, keinen davon hat trinken wollen. Ah! das weisst du noch, du Schweinswürstchen, du!

      – Und wo ist jetzt der Koch, der immer Holz zum feuern hatte? fragte Cadilhac.

      – Tot ist er. Eine Granate ist ihm in den Kochtopf geflogen. Gemacht hat's ihm nichts, aber gestorben ist er doch; vor Schreck nämlich, wie er gesehn hat, dass die Makkaroni die Beine in die Luft streckten. Herzkrampf hat der Arzt gesagt. Er hatte nämlich ein schwaches Herz; nur das Holz ausfindig machen, das war seine Stärke. Man hat ihn auch anständig begraben. Mit den Parkettbrettchen aus einem Zimmer hat man ihm den Sarg gezimmert.


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