Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt
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Eugenie Marlitt
Im Hause des Kommerzienrates
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066111663
Inhaltsverzeichnis
1.
Die Dezembersonne huschte noch einmal scheu durch die große Schloßmühlenstube, dann nahm sie das letzte laue Strahlenfünkchen von den seltsamen Gegenständen, die auf dem tiefen Steinsimse des Eckfensters ausgebreitet lagen, und verschwand in dem Schneewolkenbette, das sich träge, aber beharrlich am Himmel emporhob. Die seltsam gleißenden Gegenstände auf dem Fenstersimse waren das Rüstzeug des Arztes, jene Sammlung von Instrumenten, die schon mit ihrem schneidig kalten Funkeln das Auge erschrecken und einen Schauer durch das Nervenleben des Menschen jagen. Ein mächtiges Bettgestell, an Kopf- und Fußende mit plumpen, bäurisch grellen Rosen- und Nelkensträußen bemalt und ausgefüllt mit Federbetten in bunten Ueberzügen, stand schräg in das Fensterlicht gerückt, und auf diesem Bette lag der Schloßmüller. Eben hatte ihn die rasche Hand des Arztes von einem Halsübel befreit, das ihn schon einige Male mit dem Erstickungstode bedroht — es war ein schwieriges, sehr gefährliches Unternehmen gewesen, aber der junge Mann, der jetzt sacht das Rouleau niederließ und geräuschlos die Instrumente in das Etui packte, sah befriedigt aus — die Operation war gelungen.
Der Kranke, der noch kurz zuvor unter der anfänglichen Wirkung des Chloroforms gegen die Hand des Arztes getobt und mit kreischender Stimme Räuber und Mörder gescholten hatte, lag jetzt still und erschöpft in den Kissen. Das Sprechen war ihm untersagt, ein offenbar überflüssiges Verbot, denn wohl selten trug ein Gesicht so unverkennbar das Gepräge der verdrossenen Wortkargheit als dieser dicke, viereckige Kopf, der nur eine Schönheit aufzuweisen hatte: das ungelichtete, silberweiße Haar.
»Du bist zufrieden, Bruck?« fragte leise ein Herr, zu dem Arzte in die Fensternische tretend. Er hatte bis dahin am Fußende des Bettes gestanden und trug noch die Spuren der Aufregung und Spannung in seinen schönen Zügen.
Der Arzt nickte. »Alles gut bis jetzt — die robuste Natur des kranken Mannes wird mich unterstützen,« sagte er ruhig mit einem zuversichtlichen Blick auf den alten Mann. »Und nun verlasse ich mich auf die Pflege — ich muß fort. Der Patient hat vorläufig unter allen Umständen in der gegebenen Lage zu verbleiben. Es darf durchaus keine starke Blutung eintreten —«
»Dafür lasse mich sorgen!« unterbrach ihn der andere lebhaft. »Ich bleibe, solange eine so penible Aufsicht nötig ist ... Willst du drüben in der Villa sagen, daß ich nicht zum Thee komme?«
Ein leichtes Rot stieg in die Wange des Arztes, und etwas wie Niedergeschlagenheit lag in seinem Tone, als er sagte: »Ich muß den Umweg durch den Park vermeiden und so rasch wie möglich die Stadt zu erreichen suchen —«
»Du hast Flora heute noch nicht gesehen, Doktor —«
»Glaubst du, das wird mir so leicht? Ich —« er unterbrach sich und preßte die Lippen aufeinander, während er nach dem Etui griff, um es in die Tasche zu stecken. »Ich habe mehrere Schwerkranke,« sagte er gleich darauf sehr ruhig; »das kleine Mädchen des Kaufmann Lenz wird heute nacht noch sterben. Dem Kinde kann ich nicht helfen, aber die Eltern, die vollkommen erschöpft sind durch Angst und aufopfernde Pflege, zählen die Augenblicke, bis ich komme — die Mutter ißt nur auf mein Zureden.«
Er trat an das Bett. Der Kranke hob die Lider und sah ihn vollkommen bewußt an; ja, in den stark hervorquellenden, von geröteten Rändern umgebenen Augen lag ein Schimmer von Dankbarkeit für die so plötzlich fühlbar gewordene unaussprechliche Erleichterung. Er wollte seinem Befreier die Hand reichen, aber dieser hielt sie auf der Bettdecke fest, indem er das Verbot bezüglich jeder hastigeren Bewegung erneute. »Der Kommerzienrat will hier bleiben, Herr Sommer; er wird dafür einstehen, daß meine Anordnungen streng befolgt werden,« setzte er hinzu.
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