Butler Parker 134 – Kriminalroman. Günter Dönges
Читать онлайн книгу.etwas wie ein Psychogramm des Gangsters erarbeiten. Er mußte versuchen, sich in die Gedankenwelt Hitchams zu versetzen, denn nur so war es möglich, diesen brutalen und gefährlichen Mann aufzuspüren und erneut unschädlich zu machen.
Butler Parker wußte nicht, daß Lady Agatha zu diesem Zeitpunkt bereits sehr aktiv geworden war. Von ihrem Salon aus rief sie die Redaktionen einiger großer Boulevardzeitungen an und legte damit Zeitbomben, von deren Sprengkraft sie sich keine Vorstellungen machen konnte.
*
Fatty Hitcham wäre die Idealbesetzung des Gangsterbosses in einem Kriminalfilm gewesen.
Er war untersetzt, breitschultrig und hatte das Gesicht einer Bulldogge. Das knappe Haftjahr im Zuchthaus hatte ihn überhaupt nicht verändert. Er strahlte nach wie vor wilde Energie, Brutalität und auch Autorität aus.
Nach seiner Flucht aus dem Knast hatte er ganz bewußt darauf verzichtet, zurück nach London zu gehen und sich hier einen Unterschlupf zu suchen. Fatty Hitcham war intelligent. Er konnte sich leicht ausrechnen, wie interessant er für viele kleine und große Ganoven war. 750 000 Pfund, die waren ein Köder, nach dem man immer wieder schnappen würde. Zudem rechnete er damit, daß die Behörden auf seinen Kopf einen hohen Preis aussetzten. Leicht und schnell verdientes Geld für Spitzel und Verräter, die natürlich Tag und Nacht, Stunde um Stunde nach ihm forschen würden. Nein, Hitcham hatte es vorgezogen, das wohlvertraute Stadtgebiet Londons zu meiden. Ihm ging es erst mal um Zeitgewinn. Er wollte abwarten, bis die erste Aufregung vorüber war.
Der Gangsterboß befand sich seit einigen Stunden in der Nähe von Bristol. Er hatte Quartier in einem kleinen Kurort bezogen, nicht weit entfernt von der alten Römerstadt Bath. Selbstverständlich war er nicht allein. In seiner Begleitung befanden sich drei ausgesuchte Männer, die seine Flucht in der vergangenen Nacht ermöglicht hatten. Er konnte sich unbedingt auf sie verlassen. Es waren harte Typen, etwa zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahre alt. Sie waren bereits zu einer Zeit seine Leibwächter gewesen, als Hitcham noch der ungekrönte König der Unterwelt gewesen war.
Diese vier Männer bewohnten ein kleines Ferienhaus am Avon, nahe an einem kleinen Waldstück, doch von dem vierten Mieter wußte der Besitzer des Ferienhauses nichts. Er kannte nur die drei Mieter, durchaus zivil aussehende Männer mit guten Manieren. Sie hatten sich als Geschäftsleute aus Manchester ausgegeben, die hier in aller Ruhe neue Pläne besprechen und planen wollten.
Ihre Adressen in der großen Industriestadt stimmten durchaus.
Nach der damaligen Verurteilung von Hitcham hatten sie London verlassen und sich in Manchester niedergelassen. Ihre Namen waren im Prozeß überhaupt nicht erwähnt worden, weil Hitcham sie klugerweise verschwiegen hatte.
In der Organisation aber waren diese drei Männer so gut wie unbekannt geblieben, zumal sie seinerzeit unter falschen Namen gewirkt hatten. Inzwischen hatten sie ihr Aussehen verändert und konnten sicher sein, alle Spuren verwischt zu haben.
An diesem Morgen kam Gene Potter aus dem nahen Keynsham zurück. Er hatte eingekauft und auch Zeitungen mitgebracht. Er betrat das kleine Ferienhaus und warf die Zeitungen auf den Tisch. Gene Potter war dreißig Jahre alt, mittelgroß und schlank. Den harten Killer sah man ihm nicht an. Mit seinem dichten, schwarzen Haar erinnerte er an einen Inder, zumal er eine sehr braune Hautfarbe besaß.
»Sensation auf der ganzen Linie, wie?« fragte Fatty Hitcham, der nach den Zeitungen griff.
»Kann man wohl sagen, Boß«, erwiderte Gene Potter. »Der Yard spielt verrückt und wird ganz schön durch den Kakao gezogen.«
Paul Corston und Will Beaford traten hinter Hitcham, um gemeinsam mit ihm die Schlagzeilen zu studieren. Paul Corston war zweiunddreißig Jahre alt, groß, schlank und besaß eine ausgeprägte Stirnglatze. Will Beaford – fünfunddreißig Jahre alt, rundlich und zur Korpulenz neigend – war die Freundlichkeit in Person. Er lachte gern und oft, breit und herzlich. Darüber vergaß man in fast allen Fällen die Kälte seiner Augen.
»Großfahndung! Wenn ich das schon lese!« Fatty Hitcham grinste. »In ein paar Tagen und Wochen ist alles eingeschlafen.«
Er wollte noch mehr zu diesem Thema sagen, doch sein Blick fiel auf eine weitere Schlagzeile. Er stutze, kniffte die Zeitung zusammen und beugte sich vor.
»Was ist denn das?« meinte er dann halblaut. »Lady Agatha Simpson hat sich in die Fahndung eingeschaltet? Diese irre Ziege!«
»Wer ist Lady Simpson?» fragte Gene Potter.
»Die kennt ihr nicht«, sagte Hitcham. »Zu unserer Zeit war sie in Frankreich.«
»Und wer ist diese Lady?« wollte Paul Corston wissen.
»Sie ist stinkreich und überdreht«, gab Hitcham zurück. »Ich habe im Zuchthaus von ihr gehört.«
»Und zwar?« Will Beaford zündete sich eine Zigarette an und nahm in einem Sessel Platz.
»Sie arbeitet mit ihrem Butler zusammen. Klar, steht ja auch im Interview. Sie behauptet, Moment mal, ja, sie behauptet, schon etwas wie ’ne heiße Spur zu haben.«
»Lächerlich.« Will Beaford schüttelte den Kopf. »Wer ist diese Lady, Boß? Was hat man sich im Bau über sie erzählt?«
»Ihr Butler und sie sind Amateurdetektive. Ihr könnt euch nicht vorstellen, Leute, wie viele sie ins Gefängnis oder Zuchthaus gebracht haben. Und jetzt kommt das Verrückte an der Sache: Die meisten von diesen Jungen sind noch nicht mal sauer auf sie. Sie finden, daß die Alte und ihr Butler ihnen guten Sport geliefert haben.«
»Diese Alte können wir vergessen«, warf Paul Corston ein.
»Und ihren Butler dazu«, erklärte Gene Potter. »Hier in der Provinz bist du sicher.«
»Sie will angeblich eine heiße Spur entdeckt haben.« Fatty Hitcham überlas das Interview noch mal, diesmal genauer und intensiver. »Seid ihr sicher, Jungens, daß ihr alle Spuren verwischt habt?«
»Wer wird denn gleich nervös werden, Boß?« Will Beaford lächelte breit. »Die Alte hat das Maul voll genommen, liegt doch auf der Hand.«
»Nichts als ein Trick«, pflichtete Corston seinem Partner Beaford bei. »Die hoffte nur, daß du dich rührst, Boß.«
»Genau.« Gene Potter ging hinüber in die kleine Küche, um das Frühstück zu bereiten. »Darauf fällt doch noch nicht mal ein Anfänger ’rein, Boß. Überhaupt nicht darauf eingehen, das ist meine Meinung.«
Fatty Hitcham nickte langsam und beschäftigte sich mit den übrigen Zeitungen. Er fand schnell heraus, daß sämtliche Boulevardblätter das Interview mit Lady Simpson brachten.
Zwanzig Minuten später schmeckte ihm der Morgentee nicht mehr. Die frische, gesalzene Landbutter, die knusprigen Hörnchen und auch der Orangemarmelade brachten seine Magennerven nicht in Stimmung, obwohl er sich gerade auf dieses erste Frühstück in der Freiheit so sehr gefreut hatte.
Lady Agatha und ein gewisser Butler Parker lagen ihm bereits im Magen.
*
»Dieses Interview wird ihn herausfordern«, prophezeite Lady Agatha Simpson.
Sie hatte gefrühstückt und studierte die Zeitungen, die Parker ihr vorgelegt hatte.
»Mylady werden ungemein vorsichtig sein müssen«, antwortete der Butler höflich.
»Ich merke doch, daß Sie an diese Herausforderung nicht glauben«, räsonierte die ältere Dame.
»Mr. Fatty Hitcham scheint meiner bescheidenen Einschätzung nach ein sehr vorsichtiger Mensch zu sein, Mylady.«
»Er wird mir seine Leibgarde auf den Hals hetzen«, hoffte Agatha Simpson zuversichtlich. »So haben diese Gangsterbosse bisher doch immer reagiert. Sie wollen kein Risiko eingehen.«
»Wie Mylady meinen.«
»Sie sind also anderer Meinung?« Die Detektivin schaute ihn unwillig an.
»In etwa, Mylady, wenn ich mich erkühnen darf.«