Kindheit, Jugend und Krieg. Theodor Fontane

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Kindheit, Jugend und Krieg - Theodor Fontane


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zum Teil von sehr bemerkenswerten Erfolgen begleitete Vorliebe für die schönen Künste gehabt haben. Denn wenn es auch – ich habe darüber mit dem verstorbenen Konsistorialrat Fournier, dem besten Kenner auf diesem Gebiete, mehr als einmal eingehende Gespräche führen dürfen – als sicher gelten darf, daß auf allgemeine geistige Veranlagung hin angesehn, von einer im vorigen Jahrhundert von seiten der Kolonieleute noch als eine Art Dogma betrachteten Überlegenheit längst keine Rede mehr sein kann, so möchte ich doch beinah annehmen, daß in bezug auf künstlerische Beanlagung (Handgeschicklichkeiten mit eingeschlossen) auch in diesem Augenblicke noch die Nachkommen der »Kolonie« den berlinischen Autochthonen – ganz speziell diesen, im Gegensatz zu dem Zuzug aus andern deutschen Landesteilen – um einen guten Pas voraus sind. Ich glaube dies mannigfach beobachtet zu haben, aber freilich in keinem Falle gleich auffällig wie in dem Fall Scherenberg. Überblicke ich mit Umgehung der Damen, in deren Reihen sich vielfach dieselbe künstlerische Neigung zeigte, die Gesamtheit dessen, was seit Beginn des Jahrhunderts der Scherenberg-Familie zugehörte, so stellt sich, trotzdem fast alle von vornherein für den Kaufmannsstand bestimmt wurden, folgendes als Resultat heraus:

      Christian Friedrich Scherenberg (gestorben 1881), der Dichter von Ligny und Waterloo, von Zieten-Ritt, Abukir und Hohenfriedberg; Ernst Scherenberg, Dichter und Schriftsteller; Gustav Scherenberg, Schauspieler und Theaterdirektor; Hermann Scherenberg, Maler und Illustrator; Hans Scherenberg (Sohn Hermanns), ebenfalls Maler.

      Ein gut Stück Künstlerschaft . Aber auch die, die über die Welt hin zerstreut, innerhalb ihres ursprünglich gewählten Kaufmannsberufes verblieben, hatten, in der Kunst dilettierend, ganz ausgesprochen den dichterischen Zug oder führten ein Leben, das einer romantischen Dichtung gleichkam, unter ihnen Theodor Scherenberg (Christian Friedrichs älterer Bruder), der 1813 in Abenteurerlust und patriotischem Übereifer mit kaum sechzehn Jahren in den Krieg zog und ein paar Wochen später bei Dennewitz fiel.

      Die Beziehungen meiner Eltern, besonders meiner Mutter, zu dem Scherenbergschen Hause waren sehr freundliche; wir Kinder aber, vielleicht weil der alte Scherenberg schon ein Schwerkranker war, überschritten kaum jemals die Schwelle des Hauses. Desto deutlicher hab ich dies Haus selbst in seiner äußeren Erscheinung in Erinnerung: ein sauberer Bau mit aufgesetztem Frontgiebel und schönen alten Linden davor. Kam dann der Sommer, so hörte man das Summen der Bienen in dem Gezweig, und die Vögel flogen viel munterer hier ein und aus. Es war, als wüßten sie, wieviel fröhliche Genossenschaft ihnen aus dem Hause, das sich hinter dem blühenden Gezweige barg, über kurz oder lang erwachsen würde.

      Die Krauses

       Inhaltsverzeichnis

      Die Scherenbergs waren eine durch Klugheit und Begabungen, die Schönebergs eine durch Reichtum und Solidität angesehene Familie, beide jedoch führten nicht eigentlich das Regiment, noch weniger die Thompsons, trotzdem der schon in Kürze geschilderte, mal als Tiefenbach und mal als Illo sich gerierende Chef des Hauses nach wie vor seinen Anhang und Einfluß hatte. Die Herrschenden in der Stadt waren die Krauses, zugleich diejenigen, auf die die Verfeinerung des noch aus der Kriegszeit herstammenden derberen Tones zurückzuführen war. Das Haupt der Familie war um die Zeit, von der ich hier spreche, der Geheime Kommerzienrat Krause, meistens der »alte Geheimrat« oder auch nur kurzweg der »alte Krause« genannt. Alles erging sich in Respekt gegen ihn, und der meinige war schon da, bevor ich noch den Vielgefeierten von Angesicht zu Angesicht kennengelernt hatte. Das hing so zusammen. Am Bollwerk lag ein besonders großes und schönes Schiff, das vorn am Gallion statt eines Namens einfach die Bezeichnung »Der neunte März« trug. Ich fragte, wie das käme, und hörte nun, was sofort einen großen Eindruck auf mich machte, daß der 9. März der Geburtstag des alten Krause sei. Bald danach sah ich diesen zum erstenmal, als er am Anlegeplatz des Stettiner Dampfschiffs einen Gast empfing. Er war, trotz seiner beinah siebzig, noch in glänzender Verfassung, so daß ich sagen darf, auf meinem Lebenswege niemandem begegnet zu sein, der mir die dominierenden Gestalten des vorigen Jahrhunderts so veranschaulicht hätte wie er. Die Männer von heute wirken wie blaß daneben, weil ihnen das fehlt, was sich in der Gegenwart nicht gleich glücklich entwickeln kann: ein ungeheures Selbstgefühl. Wo kam nun dies Hochmaß her? Man sollte füglich glauben, daß es in Zeiten, in denen der unter Umständen auch die höchsten Würdenträger des Staats nicht schonende friderizianische Krückstock noch immer umging, an diesem Selbstgefühl hätte fehlen müssen, aber es lag umgekehrt und mußte so liegen, denn gerade so selbstherrlich wie der Fürst des Landes, so selbstherrlich war jeder in seinem Kreise. Man glaubte ehrlich an die Staatspyramide, bei der es natürliches Gesetz war, daß der obere Stein auf den unteren drückte. Jeder herrschte nach dem Maß seiner Stellung und seiner Verhältnisse. Beim alten Krause kam zur Stärkung des Selbstgefühls und eines aus glücklichen Lebensverhältnissen erwachsenen Glaubens an sich noch ein anderes hinzu: die Macht einer ausgesprochenen, in jedem Augenblick in Haltung und Miene sich kundgebenden Männlichkeit, eine Macht, die vielleicht zu keiner Zeit eine so hervorragende Rolle gespielt hat wie während des vorigen Jahrhunderts und nicht zum wenigsten – man gedenke des russischen Hofes – auf dem Felde großer und kleiner Politik.

      Und auf ebendiesem Felde mit Hilfe glücklicher natürlicher Gaben sich zu betätigen, dazu bot auch der Beginn dieses Jahrhunderts noch volle Gelegenheit und vielleicht nirgends mehr als in unseren Seestädten, wo die Kontinentalsperre die Schwierigkeiten der durch die Fremdherrschaft geschaffenen Lage verschärfte. Jedenfalls lag es dementsprechend in Swinemünde, das zu jener Zeit eine französische Garnison besaß oder doch das, was man damals so nannte. Sah man näher zu, so waren es meist Truppen aus den Rheinbundstaaten, Hessen, Nassauer, Westfalen. An den Odermündungen, speziell in Swinemünde, standen Badenser, die sich gut nahmen und mit denen man, unter gegenseitigem Entgegenkommen, auf vortrefflichem Fuße lebte, bis eines Tages Fritz von Blanckenburg, wenn ich nicht irre, der Vater oder Oheim des späteren konservativen Abgeordneten, durch einen geschickt geplanten Überfall die ganze badisch-französische Besatzung gefangennahm. Inmitten solcher Ereignisse sich gegen den Verdacht der Mitschuld und andererseits, bei Bekämpfung dieses Verdachts, auch wiederum gegen den Vorwurf einer undeutschen und illoyalen Gesinnung zu schützen, konnte nur einer so siegreichen und zugleich so diplomatischen Persönlichkeit, wie die des alten Krause, gelingen, die denn auch klug und fest alles zu gutem Ende führte.

      Ja, der alte Krause! Solange es die Verhältnisse forderten, war er, neben vielem anderen, auch ein guter, in die Zeit sich schickender Diplomat gewesen, als dann aber die Tage des ersten freien Aufatmens kamen, erwies er sich als ein noch besserer Patriot. Kaum daß der Aufruf des Königs erlassen war, so war er da, sich in seiner Vaterlandsliebe zu betätigen. Er begnügte sich nicht, einen reitenden Jäger in voller Equipierung zu stellen, sondern machte zugleich das Anerbieten, zwanzig Jäger zu Fuß zu rüsten und ein Jahr lang zu unterhalten. Zwei Jahre später, nach der Rückkehr Napoleons von Elba, ließ er seinen inzwischen herangewachsenen ältesten Sohn als Freiwilligen eintreten, in welcher Eigenschaft dieser den Feldzug von Anno 15 mitmachte.

      Zeigte dies alles seine loyale Gesinnung, so bewies es nicht minder seinen glänzenden, durch die voraufgegangenen Kriegsjahre mehr geförderten als verminderten Besitz- und Vermögensstand. Und so lag es in der Tat. Hätte es aber noch eines Beweises dafür bedurft, so wäre dieser dadurch erbracht worden, daß der alte Krause, nach wiederhergestelltem Frieden, ein in der Nähe Stettins gelegenes Gutsareal, die Güter Kolbatz, Hoffdamm und Heidchen, für die damals bedeutende Summe von 255.000 Talern an sich brachte. Das war 1816, und diese Zeit bezeichnete wohl den Höhepunkt im Ansehn der Familie.

      Sommer 1837 sah ich den alten Geheimrat zum letztenmal. Er traf damals Anstalten, den 1816 erworbenen Besitz wieder zu veräußern, und zwar an den Staat. Zu diesem Zwecke war er nach Berlin gekommen und hatte daselbst in dem in der Burgstraße gelegenen Hotel de Portugal Wohnung genommen. Natürlich eine Flucht Zimmer im ersten Stock. Ich machte mich eines Nachmittags auf, um hier an den, wenn er bei guter Laune war, ziemlich umgänglichen alten Herrn eine Frage nach seinem mir befreundeten Enkel zu richten, ein Vorhaben, das scheiterte. Denn im selben Augenblicke, wo ich, von der Treppe her, in den zwischen den Vorder- und Hinterzimmern hinlaufenden Korridor einbiegen wollte, sah


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