Butler Parker 121 – Kriminalroman. Günter Dönges
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Lady Agatha Simpson langweilte sich sichtlich.
Sie saß zusammen mit ihrer Gesellschafterin und Sekretärin in einer Loge der Festival Bowl und konnte dieser Musik keinerlei Geschmack abgewinnen. Es handelte sich um eine festliche Gala-Vorstellung, in der klassische Musik dargeboten wurde.
Lady Agatha hatte es längst aufgegeben, auf einen Fehler des Pianisten zu warten. Dieser Mann dort im Frack, der ihrer Ansicht nach den Konzertflügel traktierte, war sich seiner Arbeit vollkommen sicher. Bisher hatte er noch nicht einmal danebengegriffen. Alles deutete darauf hin, daß dies auch bis zum Ende des Konzerts nicht anders werden würde.
Lady Agatha hätte viel lieber etwas Flottes angehört. Sie war ein Fan der Beatles und liebte darüber hinaus den guten alten Swing aus der Zeit Benny Goodmans. Damit war hier jedoch nicht zu rechnen. Man spielte etwas von Tschaikowski, wie sie dem Programm entnommen hatte. Die Sache hatte gerade erst angefangen und dauerte sicher seine Zeit.
Agatha Simpson war eine ältere Dame, die über ihr Alter nicht gern sprach. Seit ihrem 60. Geburtstag zählte sie ihre Lebensjahre nicht mehr, denn über solche Kleinigkeiten war sie erhaben. Ihrer Ansicht nach war man stets so alt, wie man sich fühlte. Nach dieser Rechnung hatte sie gerade erst fünfzig Jahre hinter sich gebracht.
Sie war eine majestätische Erscheinung, groß, füllig und an eine Bühnenheroine erinnernd. Lady Agatha war sehr vermögend und konnte sich praktisch jede Extravaganz leisten. Verwandt und verschwägert mit dem Blut- und Geldadel des Königreichs, betätigte sie sich seit dem Tod ihres Mannes als leidenschaftliche Amateurdetektivin. Darüber hinaus wollte sie eines Tages eine gewisse Agathe Christie in den Schatten stellen, denn sie träumte davon, eines Tages eine berühmte Kriminalromanautorin zu werden. Zur Zeit aber war sie noch damit beschäftigt, sich den passenden Stoff zu suchen.
Diese etwas skurrile Dame konnte ihre Gesellschafterin und Sekretärin nicht verstehen. Kathy Porter saß neben ihr und hatte verzückt die Augen geschlossen. Sie gab sich ganz der Musik hin und schien sie sichtlich zu genießen. Sie war es schließlich gewesen, die Lady Agatha in dieses verdammte Konzert gelockt hatte. Mit Kathy war im Moment überhaupt nichts anzufangen.
Lady Agatha beschäftigte sich inzwischen mit Entfernungsschätzen, um ihre Fähigkeiten zu konzentrieren. Ihr Blick wanderte hinüber zum Solisten am Flügel, dann zurück zu einem der Saaldiener und dann hinauf zur Galerie. Doch dieses Spiel langweilte sie bald. Sie wurde zudem auch abgelenkt vom Dirigenten, der endlich die ersehnte Abwechslung brachte.
Der Mann im Frack stach mit seinem Dirigentenstab in das Orchester hinein, war abwechselnd aggressiv und kampfbetont, dann wieder vorsichtig und beschwörend. Er schien mit seinem Stab eine Art Gefecht zu führen und wirkte auf Lady Agatha äußerst begabt. Der Mann wußte zu fintieren und dann plötzlich auszufallen und zuzustoßen.
Nachdem Lady Agathas Interesse an diesem Scheingefecht erlahmt war, nahm sie ihr Opernglas hoch und schaute sich die Zuhörer an. Sie schmunzelte erleichtert und unverhohlen, als sie einen Zuschauer entdeckte, der selig schlief. Dieser Mann hatte sich in sein Innenleben geflüchtet und nutzte die Zeit. Die Musik schien ihn überhaupt nicht zu stören.
Lady Simpson entdeckte ein neues Spiel, um sich die Langeweile zu vertreiben. Es war statistisch vielleicht interessant, wie viele Zuhörer dort unten im Parkett ein kleines Nickerchen machten. Sie machte sich daher augenblicklich daran, Material für diese Studie zu sammeln. Sie suchte mit ihrem recht leistungsfähigen Opernglas die Reihen im Parkett und dann später die Besucher in den Logen ab.
Sie war ehrlich überrascht, daß allein im Parkett sechs Besucher schliefen. Obwohl die Musik gerade schmetterte, wachten diese Herrschaften keineswegs auf. Es mußte sich um durchs trainierte und erfahrene Konzertbesucher handeln, die sich auch nicht mehr durch Lautstärke ablenken ließen.
Lady Agatha befaßte sich inzwischen mit den Logen auf der gegenüberliegenden Seite der Konzerthalle und hoffte auch hier auf reiche Beute. Plötzlich jedoch erhielt sie so etwas wie einen elektrischen Schlag und sie war sofort alarmiert. Dort in einer Loge spielte sich etwas ab, was man nicht mehr als regulär bezeichnen konnte. Die Ermordung eines Mannes war zumindest in dieser festlichen Umgebung mehr als unpassend und ungewöhnlich.
Zwei junge Männer, die sehr drahtig aussahen, standen hinter einem vor der Logenbrüstung sitzenden Herrn und strangulierten ihn. Einer der beiden Täter hatte einen Schal um den Hals des Opfers geschlungen und zog ihn zu. Der zweite Täter zerrte das Opfer vom Stuhl nach hinten in die Tiefe der Loge.
Agatha Simpson reagierte prompt, impulsiv und sehr gekonnt.
Sie schien direkt erleichtert zu sein, endlich etwas tun zu können. Sie war bereits aufgesprungen und ließ ihren Pompadour kreisen. Es handelte sich dabei um einen perlenbestickten Handbeutel, wie er um die Jahrhundertwende und davor in Mode gewesen war. In ihm befand sich Myladys ›Glücksbringer‹, wie sie das Pferdehufeisen untertreibend nannte. Dieses schwere Hufeisen war nur sehr oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt, um schwere Verletzungen zu vermeiden.
Lady Simpson war eine erstklassige Sportlerin. Nachdem sie den Pompadour in Fahrt gebracht hatte, ließ sie ihn los. Das Wurfgeschoß segelte quer über das Parkett und landete in der gegenüberliegenden Loge, in der das Opfer bereits sichtlich unter Luftnot litt. Eine Hammerwerferin hätte nicht kraftvoller und genauer zielen können.
Der Pompadour landete prompt im Gesicht eines der beiden Täter. Der Aufschrei, der unmittelbar danach ertönte, wirkte sich auf das Geschehen in der Konzerthalle erheblich störend aus. Er paßte einfach nicht zu Tschaikowski!
*
Der ältere Herr röchelte beachtlich und schnappte nach Luft. Er lag in einer Ecke der Loge und stierte Lady Simpson mit einer Mischung aus Dankbarkeit und noch nicht überwundenem Entsetzen an.
»Die Kette«, schnaufte er. »Nehmen Sie die Kette!«
»Sie brauchen keine Angst zu haben, ich bin ja bei Ihnen«, meinte Lady Agatha beruhigend. »Was für eine Kette meinen Sie?«
»Hier!« Der ältere Herr zerrte sich sein Frackhemd auf und wollte noch etwas sagen, doch da verließen ihn die Kräfte. Er rutschte haltlos zurück und schloß die Augen.
»Er wird doch nicht?« Lady Simpson sah ihre Gesellschafterin an, die sich jetzt um den Herrn kümmerte.
»Nur eine Ohnmacht, Mylady«, beruhigte Kathy Porter die Lady.
»Das möchte ich mir auch ausgebeten haben!« Lady Simpson hörte Schritte vor der geöffneten Logentür und griff blitzschnell nach der dünnen Kette, die unter dem Frackhemd des Ohnmächtigen hervorschimmerte. Die resolute Dame zögerte keinen Augenblick. Mit fester und sicherer Hand langte sie herzhaft zu und riß dem Herrn die dünne Kette vom Hals. Ohne sich lange mit ihr zu beschäftigen, ließ Lady Simpson sie dann geistesgegenwärtig in ihrem Ausschnitt verschwinden.
Sie schaute hoch und sah sich einem uniformierten Beamten gegenüber, der gerade die Loge betreten hatte. Der Sergeant, ein schlanker, energisch aussehender Mann, kümmerte sich sofort um das Opfer, ohne sich durch Kathys Nähe ablenken zu lassen. Demnach mußte der Sergeant sogar noch sehr pflichtbewußt sein. Kathy sah nämlich ungewöhnlich attraktiv aus.
Das Konzert war selbstverständlich abgebrochen worden. Unten im Parkett, auf den Rängen und in den Logen standen die festlich gekleideten Menschen herum und diskutierten mehr oder weniger erregt diesen Zwischenfall. Lady Simpson hätte sich liebend gern angeschaut, woraus der Anhänger am Kettchen bestand, doch dies verbot sich im Augenblick von selbst.
Es dauerte gar nicht lange, bis ein gewisser Superintendent McWarden auf der Bildfläche erschien. McWarden, ein alter Bekannter von Lady Simpson, schluckte nervös, als er die Dame in der Loge entdeckte. McWarden, ein untersetzter, bullig wirkender Mann von fünfzig Jahren, witterte natürlich sofort Komplikationen. Wo Lady Simpson ihre Hand im Spiel hatte, war es mit seiner üblichen Bombenruhe vorbei. Daran hatte er sich bereits gewöhnt.
Das Opfer war inzwischen wieder zu sich gekommen, schien aber nicht vernehmungsfähig zu sein. McWarden richtete einige Fragen an den älteren Herrn, doch der reagierte nicht. Ob er es absichtlich tat, vermochte selbst die stets mißtrauische Lady Simpson nicht eindeutig