Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Читать онлайн книгу.ein Hof- und Staatskalender vom Anfange des fünften Jahrhunderts, zählt eine reich abgestufte Hierarchie der Hof- und Staatsämter auf, welche wohl im allgemeinen durch Constantin ihre Gestalt erhalten haben mag, wenn sich dieses auch nicht direkt beweisen lässt782. Allein von den einzelnen Hofwürden hatten gewiss schon viele unter Diocletian und noch weit früher, etwa seit Hadrian, bestanden783. Das Verzeichnis hat allerdings, da man diese Vorgänge nicht näher kennt, etwas Überraschendes, so feierlich spricht sich darin der Prunk des Despotismus aus. Überall ertönt das Adjektiv sacer »geweiht«, wo man schlechtweg »kaiserlich« sagen würde; mehrere Würden sind zum Beispiel nach dem sacrum cubiculum, dem kaiserlichen Gemach, usw. benannt. Um aber zu einem festen Schluss zu gelangen, um genau zu ermitteln, wie es bei Hofe zuging, musste man wissen, welche von den vielen Ämtern mit einer wirklichen Aufwartung verbunden und welche blosse Titel waren. Gibt es doch noch jetzt Höfe, welche bei einer tatsächlich sehr mässigen, ökonomischen Einrichtung eine ausserordentliche Menge von Ehrenchargen austeilen. – Wie sehr sich aber die damalige römische Welt an das Titelwesen als Symbol der Rangordnung gewöhnen musste, lehren die üblichen Ehrenprädikate illuster, spectabilis, honoratus, clarissimus, perfectissimus, egregius, und die Anreden amplitudo, celsitudo, magnitudo, magnificentia, prudentia tua usw., welche zum Teil auch die obligate Begleitung gewisser Ämter waren. Schon bei Anlass Diocletians ist von der Bedeutung dieser Neuerungen kurz die Rede gewesen; wir dürfen auch hier vermuten, dass die betreffenden Fürsten nicht sowohl willkürlich Neues schufen, als vielmehr dasjenige konstatierten und in Form und Regel brachten, was ohnedies in der Zeit lag. Constantin freilich verfuhr dabei mit vollem Bewusstsein; »er erfand«, sagt Euseb IV, 1, »verschiedene Ehrentitel, um möglichst vielen Ehre anzutun«. – Übrigens mussten die Vorrechte der Hofleute, konsequent gehandhabt und erweitert, allmählich einen neuen Erbadel hervorbringen784; sie sind nicht nur aus dem ganzen drückenden Steuerwesen, aus dem Munizipalelend herausgehoben in eine höhere, verklärte Sphäre, sondern auch gegen das Schicksal der gemeinen Sterblichen, die »calumnias«, geschützt; die Privilegien gelten nicht nur ihnen, sondern auch ihren Kindern und Enkeln und dauern auch im Fall der Pensionierung fort. Schon besass man eine Aristokratie, welche auf erblich werdender Steuerfreiheit beruhte, nämlich die der senatorischen Familien; hier liess sich nun alles dazu an, eine zweite aus Hofleuten (Palatini) und höhern Beamten zu schaffen.
Allein Constantin wusste wenigstens für seine Person die Dinge im Gleichgewicht zu halten. Sein Hof war ein überaus schlüpfriger Boden, und wer da stand, der musste wohl zusehen, dass er nicht falle. In seiner nächsten Umgebung hatte der Kaiser eine Menge »Freunde«, »Getreue«, »Vertraute« und wie sie sonst heissen; er war keiner von den verschlossenen Tyrannen; neben seinem beständigen »Lesen, Schreiben und Nachdenken«785 empfand er die Bedürfnisse eines expansiven Gemütes. Dies schliesst jedoch eine grosse Ungleichheit und Duplizität nicht aus; es gibt Charaktere, welche in dieser Beziehung ganz sonderbar gemischt sind, aus Hingebung und Falschheit, aus Bedürfnis nach Umgang und tückischer Selbstsucht, welch letztere sich bei einem Gewaltherrscher jener Art in das Gewand der Staatsraison zu hüllen pflegt. So sehen wir, wie Constantin seine »Freunde« zunächst erhebt und reich macht786, ja ihnen in der kaiserlichen Kasse zu wühlen gestattet; Missbräuche, die selbst einem Euseb die schwersten Seufzer auspressen787 und bei Ammian (XVI, 8) als ein Krebsschaden des Reiches anerkannt werden. Plötzlich erfolgen dann Katastrophen, welche gewiss oft den ganzen Hof zittern machten; die »Freunde« werden hingerichtet und – wir wagen es unbedenklich zu behaupten – ihr Vermögen wird eingezogen. Vielleicht waren jene Predigten des Kaisers, wovon oben (S. 435 f.) die Rede gewesen ist, die warnenden Vorboten, vielleicht auch die unmittelbare Ankündigung des Sturzes. Wer aufmerken wollte, konnte sich warnen lassen; Constantin redete schon im Gespräch lieber höhnisch als verbindlich, irrisor potius quam blandus788. In einer ganz besonders drohenden Stimmung ist wohl das Gesetz789 vom Jahre 325 erlassen: »Wer, woher, wes Standes und Ranges einer sei, der gegen einen meiner Richter, Grossbeamten, Freunde oder Hofleute etwas Ungerades oder Ungerechtes mit Wahrheit zu beweisen sich getraut, der komme furchtlos und wende sich an mich; ich will in Person alles anhören und erkunden, und wenn es erwiesen ist, werde ich mich selber rächen . . .; rächen will ich mich an dem, der bis jetzt mit erheuchelter Unschuld mich betrogen. Denjenigen aber, welcher Anzeige und Beweis leistet, will ich durch Würden und Gut belohnen. Und dies, so wahr mir die höchste Gottheit immer gnädig sei und mich erhalten möge zum Glück und zur Blüte des Staates.« Ob jemand dieser heftigen Aufforderung Folge leistete, ist nicht bekannt, wie denn die ganze innere Hofgeschichte im Dunkel liegt. Eine Besserung erfolgte keinenfalls; gerade im letzten Jahrzehnt seines Lebens wird Constantin790 als pupillus, das heisst eines Vormunds bedürftig, verspottet, wegen der unmässigen Verschleuderung. Der ganze Zustand hat etwas sehr Rätselhaftes; ein rastlos tätiger Selbstherrscher, der so weit entfernt ist, eine erklärte Günstlingsregierung neben sich aufkommen zu lassen und dabei doch ein solches Treiben duldet und provoziert, um dann auf einmal mit schrecklicher Strafgerechtigkeit dagegen einzuschreiten – worauf er dann bisweilen eine Übereilung zu bereuen hat und den Hingerichteten Statuen setzt791 wie dem gemordeten Crispus! Man kann in diesen Dingen einen berechneten Plan oder eine ungleiche, fahrige Gemütsart erkennen – wir wissen zu wenig von Constantin, um uns unbedingt für das eine oder das andere entscheiden zu dürfen und möchten am ehesten eine gemischte Handlungsweise annehmen, wie bereits angedeutet wurde792. Mit einigem Pragmatismus und einiger Phantasie gelangt man leicht dazu, aus den zerstreuten Nachrichten über Crispus, die Helena, den Präfekten Ablavius, den Usurpator Calocerus und den Thronfolger Dalmatius einen Hofroman aufzubauen, der zugleich sehr interessant und doch von Anfang bis Ende unwahr sein könnte. Jedenfalls galt es als eine allgemeine Wahrnehmung, dass Constantin in seinem letzten Decennium bei weitem nicht mehr derjenige Regent war, wie in der Blütezeit seines Lebens793. Von der völligen Ausartung des Hofes unter seinen Söhnen gibt dann Ammian (u. a. XXII, 4) das vollgültigste Zeugnis.
Das Finanzwesen, welches mit diesen Hofbegebenheiten in engem Zusammenhang stehen mochte, übergehen wir hier ganz, weil die wesentlichen Resultate fehlen, so dass man zum Beispiel nicht weiss, ob die von Constantin neu eingeführten Steuern im ganzen eine Wohltat oder eine Erschwerung waren. Die wahre Bilanz des Römischen Reiches bleibt auch für diese Zeit ein Rätsel. In dem ererbten System war, wie bemerkt, vieles unbedingt fehlerhaft; von dem, was wahrscheinlich unter Constantin hinzukam oder grössere Ausdehnung erhielt, ist das Monopol zahlreicher Industriezweige, welche der Staat sich vorbehielt und durch seine Leibeigenen betreiben liess, ohne weiteres verwerflich. Man darf nur nicht vergessen, dass unsere heutige staatsökonomische Erkenntnis diese und ähnliche Hüllen erst nicht vor langer Zeit abgestreift hat794. Die Art der Eintreibung, vor allem die Haftbarkeit der Dekurionen (S. 107) für die Steuern ihres Bezirkes, war vielleicht schlimmer als die Geldsucht des Staates an sich. Eine Reihe von Gesetzen795 Constantins belehrt uns, durch welche zum Teil verzweifelte Mittel man sich dem Dekurionat zu entwinden suchte: durch Vermählung mit Sklavinnen, durch Flucht in die Armee, durch Beförderung in den Senat, durch Übersiedelung in weniger gedrückte Städte, durch Versteck und Incognito, später