Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Читать онлайн книгу.aber auf plötzlichen Zudrang folgte ein ebenso plötzliches Verbot (S. 447). Der Staat hat vollauf damit zu tun, das Entwischen aus diesem Steuerverband unmöglich zu machen. Der lokale Jammer war um so grösser, wenn die christlichen Kirchen des Ortes aus dem Stadtgut dotiert wurden, was wenigstens stellenweise geschehen sein muss796.
Auch die neue Reichseinteilung darf hier nur mit einem Wort berührt werden. Jetzt erst wurden nämlich die 12 Diözesen und über 100 Provinzen Diocletians (vgl. S. 186) in vier grosse Präfekturen zusammengruppiert, was von aussen angesehen allerlei Gründe für sich und wider sich haben mag; ob man aber mit deren Erörterung die wahren Motive Constantins in den einzelnen Fällen richtig treffen würde, ist eine andere Frage797, aus blosser müssiger Neuerungssucht aber hat er diese grosse Veränderung nicht durchgeführt. Dass die Zahl der Beamten auch bei diesem Anlass sehr stark vermehrt wurde, wird vorausgesetzt; wie weit dies aber auf nutzlose und drückende Weise geschah, ist nicht leichthin auszumachen. Das Urteil hat keinen genügenden Stützpunkt, solange man den Geschäftskreis, die Tätigkeit und die Besoldung dieser Beamtenwelt nur unvollständig und grossenteils gar nicht kennt und von dem Verhältnis ihrer Masse zur Zahl der Untertanen vollends keinen Begriff hat. Viele und mächtige darunter waren böse und korrumpiert zur Zeit Constantins wahrscheinlich wie zur Zeit seiner Vorgänger und Nachfolger.
Hochwichtig und vollkommen deutlich ist nur die Trennung der Zivil- und Militärgewalt798. Die frühern praefecti praetorio, welche einst zugleich die ersten Minister und oft die Beherrscher des Kaisers gewesen, behalten wohl ihren Titel bei, sind aber fortan nur die obersten Verwaltungsbeamten der vier grossen Präfekturen Oriens, Illyricum, Italia und Gallia; der Name hat seine Bedeutung völlig verändert. Für das Kriegswesen treten jetzt zwei Grossfeldherrn, der magister equitum und der magister peditum auf; schon dass ihrer zwei waren und dass ihre Geschäfte sich nicht nach Örtlichkeiten, sondern nach Reiterei und Fussvolk einteilten, zeigt den tiefern Zweck, welcher dieser Veränderung zugrundelag; jeder Gedanke an Usurpation wurde erschwert oder vereitelt, solange einer ohne den andern nichts anfangen konnte. Die allgemeine Trennung der Zivil- und Militärverwaltung ging aber auch durch alle Verhältnisse hindurch; jene gefährlichen grossen Provinzialbeamten, welche als Prokonsuln, Propraetoren, Rectoren usw. auch den Heerbefehl ihrer Gegend innegehabt und nur mit den ihnen untergeordneten Legaten geteilt hatten, sollten fortan den Thron nicht mehr in Besorgnis versetzen dürfen. Die Folgen dieser Trennung für das Schicksal des Reiches müssten noch mehr in die Augen fallen, wenn nicht das Haus Constantins durch Familiengreuel den Mangel der Feldherrnusurpation799 ersetzt hätte.
Im Kriegswesen an sich betrachtet glaubt man für die Regierung des sonst so kriegstüchtigen Constantin eher Rückschritte als Fortschritte annehmen zu dürfen. Die bereits unter Diocletian begonnene, nach dem Sieg über Maxentius vollendete Auflösung der Prätorianer (S. 392) gehört nicht hieher; sie war eine Sache der politischen Notwendigkeit, und das Reich verlor an jener persönlich tapfern, aber bösartigen Schar nicht viel. Natürlich bildete sich eine neue Leibwache, die Palatinen800. Das übrige Heer, unter den alten Namen der Legionen, Auxilien usw., zerfiel je nach der Garnisonierung (wie es scheint) in Comitatensen, welche in den Städten des Binnenreiches lagen, und in Pseudocomitatensen, wozu hauptsächlich die Truppen an den Grenzen und in den Kastellen derselben gehörten. In dem grossen Sündenregister Constantins, womit der Heide Zosimus dessen Lebensgeschichte beschliesst, wird jene Einquartierung der Comitatensen in die grossen Städte scharf getadelt (II, 34); dadurch seien die Grenzen halb entblösst und den Barbaren geöffnet, die Städte aber ohne Not in den jammervollsten Druck gebracht worden, während die Soldaten selbst den Theatern und dem Wohlleben nachgehen lernten801. Ganz anders sei das Reich gehütet gewesen unter Diocletian, als alle Truppen an den Grenzen lagen, so dass jeder Barbarenangriff gleich zurückgewiesen wurde. – Die Rechtmässigkeit dieses Vorwurfes wird man weder ungeteilt annehmen noch verwerfen können. Die grossen Städte mochten wohl auch der Hütung bedürftig scheinen. Ob Constantin wirklich gegen Ende seines Lebens so indolent wurde, dass er samt seinem Heer vor ein paar hundert Taifalen die Flucht ergriff, wie derselbe Autor (II, 31) meldet, bleibt sehr zweifelhaft802; zu einem Krieg gegen die Perser803 machte er wenigstens noch kurz vor seinem Tode sehr bedeutende Anstalten. – Die zunehmende Barbarisierung des römischen Heeres selbst war das notwendige Ergebnis der Entvölkerung im Innern und der Barbarenansiedelung804, wodurch man derselben begegnen wollte; auch entzog man den freien Völkern jenseits der Grenze durch Werbung am sichersten die angriffslustige junge Mannschaft. Vorzüglich müssen die Franken eine grosse Stelle im Heer eingenommen haben805, wenigstens konnten später unter der Dynastie des Constantin fränkische Offiziere bei Hofe das grosse Wort führen. Die Erhaltung des Staates ging derjenigen der römischen Nationalität voran; und auch von dieser letztern mochte man vielleicht noch hoffen, dass sie die einverleibten barbarischen Elementen allgemach bemeistern, sich assimilieren würde, wie sie dies bei den frühern Eroberungen zur Zeit der Republik und in den ersten Jahrhunderten des Kaisertums vermocht hatte.
Ob Constantin wirklich eine Vorliebe für die Barbaren hatte, und in welchem Sinne, bleibt unentschieden. Er wurde angeklagt, zuerst von allen Kaisern Barbaren zu Konsuln gemacht zu haben806, allein dies lässt sich nicht näher belegen. In den Verzeichnissen der Konsuln aus seiner Zeit findet man – mit Ausnahme der öfter eintretenden kaiserlichen Personen – fast lauter Stadtrömer vornehmen Standes. Andere Staatswürden gab er allerdings auch an Barbaren, und es mögen dieses kaum seine schlechtesten Ernennungen gewesen sein. Gefangene barbarische Soldaten seiner Gegner hat er auf dem Schlachtfelde zu Tausenden seinen eigenen siegreichen Leuten mit Geld abgekauft807. Es ist denkbar, dass er der grossen Möglichkeit, das menschenleere römische Reich mit Barbaren zu füllen, ja sie zur herrschenden Kaste zu machen und dennoch das Imperium oben zu halten, mutig ins Angesicht geblickt habe, nur sind deutliche Aussagen hierüber nicht zu verlangen. – Die stärkste Negation des eigentlich römischen Wesens lag aber nicht in diesem Verhalten gegen die Unrömischen, sondern in der Gründung der »Neuen Roma« am Bosporus. Von dieser muss nunmehr die Rede sein.
Welchen Sinn konnte die Gründung einer neuen Hauptstadt unter jenen Umständen haben?
Der blosse Residenzwechsel des Fürsten kam hier nicht sehr in Betracht. Es liess sich voraussehen, dass der Aufenthaltsort der Kaiser sich noch oft und auf lange Zeit nach dem Kriegszustande an den verschiedenen Grenzen werde richten müssen. Wenn auch unter Constantin selber im ganzen eine merkwürdige Waffenruhe herrschte, so haben doch die folgenden Kaiser des vierten Jahrhunderts die neue Hauptstadt und ihre Herrlichkeiten in der Tat nur wenig geniessen können. Ein blosser Residenzwechsel hätte auch einen ganz andern Charakter gehabt; Constantin hätte etwa in Byzanz, wie Diocletian in Nikomedien808, einen neuen Palast gebaut, die Stadt verschönert, auch je nach Umständen stark befestigt und es seinen Nachfolgern überlassen, anderwärts etwas Ähnliches zu versuchen. Der grösste Gewinn bestand für diesen Fall in der militärischen Sicherheit der Zentralregierung durch die unvergleichliche Lage der Stadt.
Die ganze Frage über die Wahl des Ortes wird aber ausserordentlich