Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Читать онлайн книгу.der westlichen Ringmauer fand statt818 den 4. November des ersten Jahres der 276. Olympiade, das heisst des Jahres 326, als die Sonne im Zeichen des Schützen stand, der Krebs aber die Stunde beherrschte. Kurz vorher war der Thronerbe, vielleicht auch schon die Kaiserin hingerichtet worden. Es war die Zeit, da Constantin sich mit dem Neuplatoniker Sopater (S. 440 f.) enge befreundet hatte, und diesen finden wir auch bei der Gründung als Telesten tätig819, das heisst er vollzog gewisse symbolische Handlungen, welche das Schicksal der neuen Stadt magisch sichern sollten. Ausser ihm wird auch ein Hierophant Praetextatus, wahrscheinlich ein römischer Pontifex, namhaft gemacht. Es ging später eine Sage820, unter der Porphyrsäule auf dem Forum von Konstantinopel, welche das Standbild des neuen Gründers trug, liege das Palladium, welches er insgeheim aus Rom weggenommen. Dies wäre ein wahres Telesma gewesen, dergleichen zur Abwendung von Plagen und Bannung des Glückes im Altertum so manche waren vollzogen worden; noch Apollonius von Tyana zum Beispiel hatte gerade in Byzanz821 durch solche Mittel dem Austreten des Flusses Lycus, den lästigen Flöhen und Mücken, dem Scheuwerden der Pferde und andern Übeln abgeholfen.
Diesmal handelte es sich aber für die Stadt des Byzas nicht mehr um solche Kleinigkeiten, sondern um das Weltschicksal, welches an diese Stätte gefesselt werden sollte. Die ältere Geschichte der Stadt, auf welche man jetzt mit gesteigertem Interesse hinblickte, die alten Mythen und Orakel, welche sich auf sie deuten liessen, alles schien voller Ahnungen einer grossen, der Erfüllung sich nähernden Zukunft. Noch durch das kräftige Aufraffen aus dem schweren Unglück unter Septimius Severus und Gallienus, namentlich durch die heldenmütige Verteidigung gegen den erstern hatte Byzanz die Augen der Welt auf sich gezogen; jetzt war es zu ihrer Herrscherin bestimmt.
Wir wollen es nicht versuchen, die alte oder die neue Stadt zu beschreiben; nur was für Constantin selber bei diesem grossen Unternehmen charakteristisch ist, darf hier in Kürze erwähnt werden.
Er selber bezeichnete, einen Speer in der Hand, den Lauf der Ringmauer. Eine Sage, die sich hier anschliesst822, ist vielleicht nicht ganz zu verwerfen; seine Begleiter fanden, er schreite zu weit aus, und einer wagte die Frage: »Wie weit noch, Herr?« – worauf er antwortete: »Bis der stehen bleibt, der vor mir her geht«, als sähe er ein überirdisches Wesen vor sich herwandeln. Es ist wohl möglich, dass er es für zweckmässig fand, wenn die andern solches glaubten oder zu glauben vorgaben. Ob die übrigen Zeremonien wirklich nichts anderes waren als eine Wiederholung der bei Roms Gründung vorgekommenen, wie sie Plutarch im eilften Kapitel des Romulus schildert823, mag dahingestellt bleiben. Vierthalb Jahre später, den 11. Mai 330, erfolgte unter abermaligen grossen Festlichkeiten824 und prächtigen Zirkusspielen die Einweihung des Neubaues und die Namengebung: Constantinopolis. Dass Constantin die Stadt der Gottesmutter Maria geweiht habe, ist entschieden eine spätere Erdichtung. Beim Lichte betrachtet, weihte er sie vor allem sich selber und seinem Ruhm. Es genügte ihm nicht, dass schon der Name, dass jeder Stein an ihn erinnerte, dass mehrere Prachtdenkmäler ihm ausdrücklich gewidmet waren; alljährlich am Einweihungstage sollte eine grosse vergoldete Statue, welche ihn vorstellte mit der Tyche, das heisst dem Schutzgenius der Stadt, auf der ausgestreckten rechten Hand, in feierlichem Fackelzuge durch den Zirkus gefahren werden, wobei der jeweilige Kaiser von seinem Sitz aufstehen und vor dem Bild Constantins und der Tyche sich niederwerfen musste825. Wer wollte es da den Leuten wehren, wenn auch die oben (S. 506) erwähnte Porphyrsäule mit dem Constantinskoloss allmählich einen gewissen Kultus erhielt, wenn man Lichter und Weihrauch davor anzündete und Notgelübde tat? Der Arianer Philostorgius gibt dies (II, 17) den Christen schuld und kann damit gegen alle Widerrede recht haben, denn wo der Weltherrscher mit einem Beispiel wie jenes voranging, durften Christen und Heiden ungescheut seine Vergötterung selbst bei lebendigem Leibe aussprechen826.
Dieser nämliche Geist drückt sich auch in der Art und«Weise aus, wie die neue Stadt zwangsweise bevölkert und bevorzugt wurde. Ihre Gleichberechtigung mit Rom wurde ganz buchstäblich aufgefasst, und demgemäss erhielt sie dieselben Einrichtungen, Behörden und Vorrechte827; hatte sie doch auch sieben Hügel wie das Rom an der Tiber! Vor allem einen Senat musste sie haben, auch wenn man nicht wusste, wozu; höchstens brauchte etwa der Hof Figuranten bei Prozessionen. Eine kleine Anzahl römischer Senatoren liess sich allerdings durch äussere Vorteile, durch Paläste und Landgüter zur Übersiedelung bewegen; und wenn eine spätere Sage828 recht hätte, so wäre sogar dies nur durch die feinste Zuvorkommenheit möglich geworden, indem sie der Kaiser durch identische«Wiederholung ihrer römischen Villen und Paläste am Ufer des Bosporus überraschte. Auch ein prächtiges Senatslokal829 baute er ihnen; allein weder die Bilder der Musen, welche einst auf dem geweihten Helikon aufgestellt gewesen, noch die Statuen des Zeus von Dodona und der Pallas von Lindos, die jetzt an der Pforte des Gebäudes prangten, waren imstande, der Nichtigkeit der neuen Korporation abzuhelfen.
Ausser den Hofleuten, Offizieren, Beamten und Senatoren musste die neue Stadt auch eine ihrer würdige Volkszahl bekommen. Der heilige Hieronymus bemerkt zum Weihejahr: »Konstantinopel wird eingeweiht, während fast alle Städte entblösst werden.« Dies gilt zunächst in bezug auf die Bevölkerung. Sei es, dass Constantin die Erschütterung aller Verhältnisse in dem besiegten licinischen Orient zu Zwangsansiedelungen benützte, oder dass er durch schlechte Lockungen anderer Art sich ein Residenzvolk sammelte – jedenfalls erreichte er, was er wünschte. Dieser Wunsch, in der grellen und boshaften Fassung des Heiden Eunapius830, lautet folgendermassen: »Aus den unterworfenen Städten führte er nach Byzanz ein Volk zusammen, damit recht viele Betrunkene im Theater abwechselnd ihm klatschen und den Wein von sich geben möchten; es gefiel ihm der Jubelruf von Leuten, die ihrer Sinne nicht mächtig waren, und er hörte sich gerne nennen von denen, welche überhaupt an keinen Namen denken, wenn er sich ihnen nicht durch tägliche Gewohnheit aufdrängt.« Es gehört dies zu der bedenklichen Frage über die Eitelkeit und Lobsucht grosser Männer, welche so schwer zu entscheiden ist, wenn nicht ganz ausgezeichnete Quellenaussagen vorliegen. Bei Constantin könnte das auffallend eitle, pomphafte Auftreten, über welches mehrere Schriftsteller sich aussprechen, gar wohl eine bewusste politische Seite gehabt haben831. In seinem Innern verachtete er sicherlich die Constantinopolitaner.
Die Worte des Hieronymus haben aber noch einen andern Sinn. Das Reich musste mehr oder weniger gedrückt werden, um die Kosten der neuen Anlage aufzubringen. Constantin soll sechzig Millionen Franken unseres Geldes aufgewandt haben832, eine Annahme, welche gewiss eher zu niedrig als zu hoch erscheint, wenn man die Masse und Kostbarkeit der Neubauten erwägt. Eine fortlaufende schwere Ausgabe bildete dann die seit 332 geregelte Verteilung von Korn, Wein und Öl, ohne welche diese Menschenmenge gar nicht hätte existieren können. Eunapius (a. a. O.) klagt, dass alle Kornflotten Ägyptens, Kleinasiens und Syriens diesen Pöbel kaum zu sättigen imstande seien. Als er schrieb, im fünften Jahrhundert, war freilich die Stadt schon volksreicher als Rom833.
Endlich wurden vielen Städten des Reiches