Marie Grubbe. Jens Peter Jacobsen

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Marie Grubbe - Jens Peter Jacobsen


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      Jens Peter Jacobsen

       Frau Marie Grubbe

      Interieurs aus dem 17. Jahrhundert

      Impressum

      Covergestaltung: Steve Lippold

      Digitalisierung: Gunter Pirntke

      ISBN: 9783955012120

      2014 andersseitig.de

      andersseitig Verlag

      Dresden

      www.andersseitig.de

      [email protected]

      (mehr unter Impressum-Kontakt)

      Erstes Kapitel

      Die Luft, die unter den Kronen der Lindenbäume lag, hatte sich über die braune Heide und die dürftigen Äcker hingewiegt; sie war von der Sonne durchglüht und von den Wegen bestäubt; aber jetzt war sie von dem dichten Laubgehänge gereinigt, gekühlt von den frischen Lindenblättern, und der Duft der gelben Lindenblüten hatte sie feucht gemacht und ihr Fülle verliehen. Jetzt lag sie da und blinzelte selig hinauf in die lichtgrüne Wölbung, geliebkost von leise zitternden Blättern und von dem flimmernden Flügelschlag weißgelber Schmetterlinge.

      Die Menschenlippen, die diese Luft einatmeten, waren schwellend und frisch, der Busen, den sie hob, war jung und zart. Der Busen war zart, und der Fuß war zart, die Taille schmal, der Wuchs schlank, und es lag eine gewisse magere Kraft in der ganzen Gestalt. Üppig war nur das weiche, dunkelgüldene Haar, das zur Hälfte aufgebunden war und zur Hälfte lose herabhing; denn die kleine, dunkelblaue Sammethaube war heruntergeglitten und hing am Halse an ihren geknoteten Kinnbändern gleich einer kleinen Mönchskapuze auf den Rücken hinab. Sonst war nichts Klösterliches an der Kleidung; ein breiter und gerade geschnittener Linnenkragen fiel auf ein lavendelfarbenes Zwillichkleid mit kurzen und weiten, aufgeschlitzten Ärmeln herab; daraus hervor brauste ein Paar großer Bauschärmel aus seinem, holländischem Linnen. Eine hochrote Schleife saß auf der Brust, und hochrote Schleifen schmückten die Schuhe.

      Sie ging, die Hände auf dem Rücken und mit vornübergebeugtem Kopf. Mit spielenden, zierlichen Schritten ging sie langsam den Steig hinauf, aber nicht geradeaus, sie ging in Windungen; bald war sie im Begriff, auf der einen Seite gegen einen Baum zu stoßen, bald war sie nahe daran, zwischen die Bäume auf der andern Seite zu geraten. Hin und wieder stand sie einmal still, schüttelte das Haar von den Wangen und sah zu dem Licht empor. Der gedämpfte Schein verlieh ihrem kinderweißen Gesicht einen mattgüldenen Ton, der die bläulichen Schatten unter den Augen weniger sichtbar machte; die roten Lippen wurden purpurbraun, und die großen blauen Augen wurden fast schwarz. Sie war wirklich allerliebst: eine gerade Stirn, eine schwachgebogene Nase, eine kurze, scharfgeschnittene Unterlippe und ein festes, rundes Kinn, seingerundete Wangen und ganz kleine Ohren und rein und scharf gezeichnete Brauen ... Sie lächelte im Gehen, leicht und gedankenlos, dachte an nichts und lächelte in Harmonie mit allem um sie her. Sie kam an das Ende des Steiges, blieb stehen und begann, sich auf dem Absatz herumzuschwingen, halb nach rechts und halb nach links, beständig mit den Händen auf dem Rücken, den Kopf gerade, den Blick emporgewandt, und sie summte eintönig und abgebrochen, im Takt mit ihrem Schwingen.

      Es lagen zwei Granitfliesen da und bildeten Treppenstufen nach dem Garten hinab, nach dem Garten und dem grellen weißen Sonnenlicht. Der wolkenfreie, bläulichweiße Himmel sah gerade in ihn hinab, und das bißchen Schatten, das da war, hielt sich dicht an den Fuß der beschnittenen Buchsbaumhecken. Es blendete, selbst die Hecke stand da und sprühte das Licht aus ihren blanken Blättern in scharfen, weißen Blitzen von sich. Das Ambra schleppte sich in weißen Schnörkeln aus und ein, hin und her um durstige Balsaminen, Boberellen, Goldlack und Nelken, die dastanden und die Köpfe zusammensteckten wie Schafe auf offnem Felde. Die Erbsen und die Bohnen dort an der Lavendelreihe waren nahe daran, vor Wärme von den Stangen zu fallen; die Ringelblumen hatten den Widerstand aufgegeben und standen da und sahen der Sonne gerade ins Gesicht, aber die Mohnblüten hatten ihre großen, roten Blumenblätter abgeworfen und standen mit den kahlen Stengeln da.

      Das Kind in der Lindenallee sprang über die Stufen hinab, lief durch den sonnenheißen Garten, mit gesenktem Kopf, so wie man bei Regenwetter über einen Hofplatz läuft. Sie stürzte auf ein Dreieck von dunklen Taxusbäumen zu, schlüpfte hinter ihnen herum und ging dann in die große Laube, die ein Überbleibsel aus der Zeit der Belows war. Einen weiten Rundkreis von Rüstern hatten sie oben zusammengeflochten, soweit die Zweige reichten, und das runde Loch in der Mitte hatten sie mit Latten und Sparren vergittert. Schlingrosen und welsche Kaprifolien wuchsen üppig empor zwischen dem Laubwerk der Rüstern und dichteten gut, aber auf der einen Seite waren sie mißraten, und der Hopfen, der nachgepflanzt war, hatte die Zweige der Rüstern verkrüppelt und vermochte selber nicht, das Loch zu schließen.

      Vor dem Eingang zu der Laube lagen zwei weißbemalte Meerpferde; drinnen standen eine lange, hölzerne Bank und ein Tisch. Die Platte des Tisches war aus Stein; groß und oval war sie gewesen, jedoch das meiste davon lag an der Erde in drei Stücken, nur ein kleines viertes lag lose über der einen Ecke des Tischrahmens. Daran setzte sich das Kind, zog die Beine auf die Bank herauf, lehnte sich zurück und kreuzte die Arme. Sie schloß ihre Augen und saß ganz still; es traten ein paar kleine Runzeln auf die Stirn, von Zeit zu Zeit bewegte sie die Augenbrauen und lächelte leicht:

      »In dem Gemach mit den roten Purpurteppichen und dem vergoldeten Alkoven liegt Griseldis zu den Füßen des Markgrafen, aber er stößt sie von sich; eben hat er sie von dem warmen Lager in die Höhe gezerrt, jetzt öffnet er die schmale rundbogige Tür, und die kalte Luft strömt herein auf die arme Griseldis, die an der Erde liegt und weint, und es ist nichts zwischen dem kalten Nachthauch und ihrem warmen, weißen Leibe als das dünne, dünne Linnen. Doch er jagt sie hinaus und verschließt die Tür hinter ihr. Und sie preßt die nackte Schulter gegen die kalte, glatte Tür und schluchzt und hört ihn weich gehen dadrinnen auf den Teppichen des Fußbodens, und durch das Schlüsselloch kommt das Licht von der duftenden Kerze und setzt sich wie eine kleine, runde Sonne auf ihren entblößten Busen. Und sie schleicht sich fort und steigt die dunkle Marmortreppe hinab, und es ist ganz still, sie hört nichts weiter als den weichen, klappenden Laut ihrer nackten Füße auf den durchfrorenen, steinernen Stufen. Und dann kommt sie hinaus. Der Schnee ... nein, es regnet, es regnet in Strömen, und das schwere, kalte Wasser plätschert ihr auf die Schultern nieder; das Linnen klebt fest an ihrem Leibe, und das Wasser treibt herab an ihren nackten Beinen, und sie tritt mit den zarten Füßen in den weichen, kalten Schlamm, der unter der Fußsohle zur Seite gleitet. Und der Wind ... die Büsche zerren an ihr und zerreißen ihr Kleid ... nein, sie hat ja kein Kleid an ... wie sie meinen braunen Rock zerrissen! – Es muß gewiß schon Nüsse im Fastruper Hain geben, alle die Nüsse, die auf dem Viborger Markt waren ... Gott weiß, ob Ane Ruhe in ihren Zähnen bekommen hat ... Nein! Bruhnhilde! – Das wilde Roß sprengt dahin ... Bruhnhilde und Grimmild – Königin Grimmild winkt den Männern zu, wendet sich um und geht davon. Und sie schleppen Königin Bruhnhilde herbei, und ein untersetzter, schwarzer Bursch mit dicken, langen Armen, so einer wie Bertel im Schlagbaumhaus, nimmt ihren Gürtel und zerreißt ihn, und er streift ihr das Gewand und das Unterkleid ab, und mit seinen schwarzen Fäusten streicht er ihr die goldenen Ringe von den weißen, weichen Armen, und ein großer, halbnackter, brauner und zottiger Gesell legt seinen behaarten Arm um ihre Taille, und mit seinen plumpen, breiten Füßen tritt er ihr die Sandalen ab, und Bertel wickelt ihre langen, schwarzen Locken um seine Hand und zieht mit ihr davon, und sie folgt ihm mit vornübergebeugtem Leibe, und der Große legt seine schweißigen Handflächen auf ihren nackten Rücken und schiebt sie vorwärts, vorwärts hin zu dem schwarzen, schnaubenden Hengst, und sie werfen sie nieder in den grauen Staub des Weges, und sie knüpfen den langen Schweif des Pferdes um ihre Knöchel ...«

      Und dann kamen die Runzeln wieder und blieben lange da, sie schüttelte den Kopf und sah immer verdrießlicher aus, und endlich schlug sie die Augen auf, richtete sich halb in die Höhe und sah müde und mißmutig um sich.

      Die Mücken tanzten dort vor der Öffnung zwischen


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