SKULL 3: Die Würfel fallen. Stefan Burban
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Stefan Burban
Die Würfel fallen
Eine Veröffentlichung des
Atlantis-Verlages, Stolberg
Juli 2020
Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin
Titelbild: Mark Freier
Umschlaggestaltung: Timo Kümmel
Lektorat und Satz: André Piotrowski
ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-721-5
ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-738-3
Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich.
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Prolog
Zurück von den Toten
27. Juli 2645
Er war nicht tot.
Diese Erkenntnis bohrte sich schmerzhaft in sein Bewusstsein. Er war selbst überrascht, dass dem so war. Die Dunkelheit, die sein bewusstes Denken umgab, löste sich nur langsam auf und machte brennenden Schmerzen Platz. In dem ersten Augenblick, als er wieder zu sich kam, sehnte er sich beinahe den Tod herbei.
Rodney MacTavish öffnete die Augen. Das Erste, was er wahrnahm, war das Weiß ringsum. Es bohrte sich förmlich über seine Augen in sein Gehirn. Dieses fing auf unangenehme Art und Weise hinter seiner Stirn zu pochen an.
In den Sekunden nach dem Erwachen hatte er mit heftiger Desorientierung zu kämpfen. Sein Atem ging stoßweise und sein Herz schien durch den Hals seinen Körper verlassen zu wollen.
MacTavish war schon mehrmals im Rahmen seines Dienstes verwundet worden, aber niemals derart schlimm. Die Erinnerungen setzten mit brutaler Klarheit ein: das Hotelzimmer; die Explosion; der Sprung aus dem Fenster; der Asphalt, der rasend schnell näher kam; plötzlich aufflammender Schmerz, der zwar nur Sekunden anhielt, aber deshalb nichts von seiner Intensität einbüßte – und schließlich alles umfassende Dunkelheit.
MacTavish versuchte, sich aufzurichten, und wurde prompt mit weiteren Schmerzen im Rücken und den Beinen belohnt. Er sackte zurück auf das Laken. Mit einem Mal stand eine Gestalt an seiner Seite. Für einen Moment geriet er in Panik. Bestimmende Hände hielten ihn aber an Ort und Stelle. Er war schwach wie ein kleines Kind und hatte keine andere Wahl, als sich zu fügen.
»Doktor! Unser Sorgenkind ist wach.«
Die Stimme der Frau klang irgendwie beruhigend. MacTavish konzentrierte sich. Seine Ausbildung beim RIS kam ihm zugute. Die Sicht klärte sich und er erkannte endlich eine Krankenschwester, die an seiner Seite stand und ihn mühelos an Ort und Stelle hielt, und das, obwohl sie von eher schmächtiger Figur war. Entweder war sie stärker, als sie aussah, oder er in weit schlechterem Zustand, als er vermutet hatte.
Jemand betrat das Zimmer und stellte sich auf die andere Seite des Bettes. MacTavish wandte den Blick in dessen Richtung. Dort stand ein älterer Arzt, der MacTavishs Krankenblatt auf einem elektronischen Klemmbrett studierte. Der Mann nahm das Klemmbrett herunter und musterte seinen Patienten kritisch über den Rand seiner Brille hinweg.
»Da hat sich wohl jemand entschieden, wieder unter die Lebenden zurückzukehren. Wir hatten schon so unsere Zweifel, dass Sie es schaffen.« Der Arzt setzte ein Lächeln auf, das fast ehrlich wirkte. MacTavishs kundiger Blick entlarvte es allerdings sofort als das, was es wirklich war: die professionelle Geste eines Mediziners, der genau dieses Lächeln in genau dieser Form jeden Tag hundertmal aufsetzte, um Patienten zu beruhigen.
»Mein Name ist Doktor Bedford. Wie fühlen Sie sich?«
MacTavish versuchte, etwas zu sagen. Es kam aber lediglich ein unverständliches Krächzen heraus. Seine Kehle fühlte sich ausgedörrt an und brannte. Die Krankenschwester nahm sofort einen Becher zur Hand, füllte eine klare Flüssigkeit hinein und schob ihm sanft einen Strohhalm zwischen die Lippen.
Man hatte es ihn während der Ausbildung anders gelehrt, aber MacTavish begann gierig am Strohhalm zu saugen. Es handelte sich nicht um Wasser, was seine Kehle daraufhin herabrann. Vermutlich war es irgendeine elektrolytische Flüssigkeit, die seinen Körper ein wenig aufpäppeln sollte. Und tatsächlich fühlte er sich schon bedeutend besser. Er nickte dankbar und die Schwester nahm den Becher beiseite.
»Wo … wo bin ich?«, wollte er wissen.
»Im Zentralkrankenhaus von Pollux«, erwiderte der Arzt. »An was erinnern Sie sich?«
Augenblicklich erwachten MacTavishs geheimdienstliche Instinkte. Es schien nicht ratsam, irgendetwas von Wert preiszugeben. Es war besser, erst einmal den Dummen zu spielen.
»Nicht an viel«, antwortete er und machte absichtlich den Eindruck, sich an Einzelheiten erinnern zu wollen. »Ich hatte wohl einen Unfall.«
Der Arzt schnaubte. »So kann man es auch nennen.« Er musterte MacTavish mit seltsamer Mimik. »Wissen Sie noch Ihren Namen? Wie heißen Sie?«
Er runzelte die Stirn. »Mein Name?«
Der Arzt nickte. »Wir führen Sie seit diesem Vorfall unter John Doe. Sie hatten keine Papiere bei sich. Seltsamerweise ergaben auch weder DNA noch Ihre Fingerabdrücke etwas. Die Polizei hat deshalb verständlicherweise Fragen an Sie.«
Hinter MacTavishs Stirn begann es aufgeregt zu rattern. Das war überaus seltsam. Jeder Bürger des Königreichs gab bereits kurz nach der Geburt eine DNA-Probe und seine Fingerabdrücke ins Staatsarchiv. Damit konnte jeder überall und jederzeit identifiziert werden. Wenn seine Daten nicht mehr abrufbar waren, dann hatte jemand das Archiv manipuliert. Dazu waren eigentlich nur staatliche Stellen fähig. Auf Anhieb fiel ihm in diesem Zusammenhang der RIS ein. Und zumindest Teile des Geheimdienstes waren in die Ermordung des Königs verstrickt.
MacTavish schluckte. Wenn das Krankenhaus versucht hatte, ihn zu identifizieren, dann wusste der RIS inzwischen, dass er den Anschlag überlebt hatte. Sie wollten mit Sicherheit immer noch seinen Tod. Die Frage war nun, warum sie es noch nicht über die Bühne gebracht hatten. Er hatte im Koma gelegen. Eine bessere Gelegenheit konnte ein Attentäter kaum bekommen.
MacTavish erhielt die Antwort, als der Arzt zur Tür deutete. Dort standen mehrere Polizeibeamte auf Wache. Sie waren wohl eher dafür zuständig, ihn am Gehen zu hindern, und nicht etwa, um Attentäter, von denen sie nichts wussten, daran zu hindern, ihm den Garaus zu machen. Aber die Anwesenheit dieser Beamten hatte ihm dennoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Leben gerettet. Vorläufig. Man war einfach nicht an ihn herangekommen. Demnach war die hiesige Polizei noch nicht kompromittiert worden. Das war wenigstens etwas.
»Wann wird die Polizei mit mir reden wollen?«
»Heute noch nicht«, versicherte der Arzt. »Aber bestimmt bald. Es gibt viele Fragen zu klären. Immerhin waren Sie in eine schwere Bombenexplosion verwickelt. Es gibt Zeugen, die sahen Sie aus dem Fenster springen, nur Sekunden bevor der Sprengsatz hochging. Das wirft Fragen auf.«
»Ich … ich kann mich an nichts erinnern.«
Der Arzt rümpfte die Nase. »Das überrascht mich nicht. Sie haben einen ziemlichen Dickschädel, Mister Doe. Geringere Männer wären bei einem solchen Stunt draufgegangen.«
»Und wie ist mein Zustand?«
Erneut konsultierte der Arzt das elektronische Klemmbrett. »Oh, wir haben Sie ganz anständig wieder zusammengeflickt.