Mord mit verteilten Rollen. Agatha Christie
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Agatha Christie
Mord mit verteilten Rollen
Ein Fall für Poirot
Roman
Aus dem Englischen von Michael Mundhenk
Atlantik
Für Peggy und Humphrey Trevelyan
Vorwort von Mathew Prichard anlässlich der britischen Neuausgabe 2014
Entgegen ihrer Gewohnheit siedelte Agatha Christie Mord mit verteilten Rollen (Originaltitel Dead Man’s Folly) an einem realen Ort an, nämlich auf Greenway House am River Dart im Süden der Grafschaft Devon. Praktisch seit dem Kauf des Landsitzes 1938 bis zu ihrem Tod 1976 verbrachte Nima, wie ich meine Großmutter immer nannte, dort ihre Sommer. So erscheint es angebracht, diesen Umstand 2014 mit einer Neuausgabe zu feiern, zumal Greenway vor nunmehr genau fünfzehn Jahren vom National Trust erworben und in der Folge der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
Letztes Jahr ging auf Greenway allerdings noch etwas viel Bedeutsameres über die Bühne. Der britische Fernsehsender ITV schloss dort die Dreharbeiten für Agatha Christie’s Poirot mit David Suchet in der Hauptrolle ab, sodass die Serie, die 1989 mit The Adventure of the Clapham Cook (dt. Köchin gesucht) begonnen hatte, mit Glanz und Gloria auf Greenway selbst vollendet wurde. Weder Nima noch meine damals bereits verstorbene Mutter Rosalind, die eine Menge dazu beigetragen hatte, diese Fernsehserie überhaupt in die Wege zu leiten, hätten sich etwas Schöneres wünschen können. Es fühlte sich an, als wäre Hercule Poirot heimgekehrt.
Das Glück wollte es, dass wir mit herrlichem Sommerwetter gesegnet waren, und so war der letzte Drehtag vor dem Haus – eine Szene, die dramaturgisch gesehen nicht allzu stark ins Gewicht fiel – besonders ergreifend, da David Suchet noch einmal in voller Poirot-Montur auf seine unnachahmliche Art die Stufen zum Haus hinaufstolzierte und an die Tür klopfte. Nachdem die Aufnahme dreimal wiederholt worden war und wir zu guter Letzt das klassische »Alles im Kasten« gehört hatten, blieb im Haus kein Auge trocken – genauer gesagt, auf dem Rasen davor, wo sich eine große Menschenmenge versammelt hatte, um den Abschluss einer der weltweit populärsten TV-Serien sowie einen unserer namhaftesten Charakterdarsteller, David Suchet, für seine Verkörperung einer unserer beliebtesten literarischen Figuren zu feiern: Hercule Poirot. Wenn jemand Nima, die David Suchet leider nie persönlich kennenlernen durfte, prophezeit hätte, dass solch eine große renommierte Serie über fünfundzwanzig Jahre hinweg gedreht würde, hätte sie es sicher nicht für möglich gehalten.
Meine besondere Vorliebe für Mord mit verteilten Rollen reicht allerdings noch viel weiter zurück als bis zum Beginn der Dreharbeiten für die Fernsehserie. Der Roman erschien 1956 – ich war damals dreizehn, eine Zeit, in der ich begann, in Nimas Büchern zu schmökern und meine Sommerferien mit der Familie und natürlich auch Nima auf Greenway zu verbringen. Ich kann zwar nicht behaupten, dass mir irgendein großes Gartenfest im Gedächtnis geblieben ist, aber ich erinnere mich auf jeden Fall noch an kleinere Gesellschaften, denn seinerzeit kam ein zunehmend größerer Freundeskreis aus der Welt der Literatur und des Theaters nach Greenway zu Besuch (es war die Blütezeit von Nimas Karriere als West-End-Bühnenautorin) und obendrein auch noch viele Freunde meines Stiefgroßvaters Max Mallowan aus der Welt der Archäologie. Nima stützte sich bei der Charakterzeichnung ihrer Figuren nie vollständig auf reale Vorbilder, aber ich würde lügen, wenn ich behauptete, Dialogfetzen von Sir George, Lady Stubbs und insbesondere Mrs Folliat nicht ganz konkreten Personen aus ihrem Umkreis zuordnen zu können. Und auch, dass in Mord mit verteilten Rollen Anhalter auftreten, hat mich nicht überrascht, denn gelegentlich begegneten wir in jenen Tagen Trampern aus der nahe gelegenen Jugendherberge Maypool.
Letztendlich ruft der Roman jedoch zwei besonders bewegende Jugenderinnerungen in mir wach: eine an einen Menschen und eine an einen Ort. Bei dem Menschen handelt es sich um Ariadne Oliver, die zwar um einiges exzentrischer ist, als Nima es jemals gewesen wäre, aber gleichzeitig doch etwas von ihrem Enthusiasmus hat und auch von ihrer Vorliebe für Äpfel und die Neugier einer Schriftstellerin besitzt, die mich sehr stark an Nima selbst erinnert. Sie tritt in sieben Romanen auf, sechsmal davon gemeinsam mit Poirot, und wird in den Filmen ganz hervorragend von Zoë Wanamaker gespielt. Der Ort ist das Bootshaus von Greenway, in dem das arme Mordopfer gefunden wird. Oft gingen Nima und ich nachmittags gemeinsam zum Bootshaus hinunter und sahen zu, wie die Ausflugsdampfer vorbeifuhren – die Kiloran, die Pride of Paignton, die Brixham Belle sowie all die wunderbaren Raddampfer, von denen einer zu meiner großen Freude noch immer funktionstüchtig ist. Die Fremdenführer auf diesen Schiffen nannten Greenway zumeist irrtümlich Agatha Christies Wohnsitz (statt, genauer gesagt, ihren Sommersitz), und obwohl wir ihre Stimmen hören konnten, kann ich mich nicht daran entsinnen, dass irgendjemand Nima im Vorbeifahren jemals erkannt hätte, wie sie mit ihrem Enkel unauffällig im Bootshaus saß!
Während ich den Roman jetzt noch einmal lese, glaube ich mich daran zu erinnern, wie ich ihn als junger Teenager gleich nach der Veröffentlichung las und vielleicht zum ersten Mal etwas mehr von der Konstruktion einer Detektivgeschichte im Verhältnis zu realen Menschen und Orten begriff, da mir einige der Figuren und Lokalitäten in diesem Buch vertraut waren. Genau diese Authentizität ist natürlich einer der Gründe, weshalb Nimas Werke noch heute so realistisch und überzeugend sind. Damals waren die Bücher, die sich um Archäologie drehten und im Nahen Osten spielten, für mich reine Fiktion, obwohl Nima darin genau dieselbe Technik angewendet hatte, nämlich dass sie der Geschichte, so wie in Mord mit verteilten Rollen, charakteristische Merkmale realer Personen und Örtlichkeiten zugrunde legte und eine fiktionale Dimension hinzufügte. Ich hoffe, irgendwann einmal Nimrud, die ägyptischen Pyramiden oder einige andere Gegenden, die Nima inspiriert haben, besuchen zu können, damit ich sie so sehen kann, wie sie sie gesehen hat. Kürzlich war ich auf den Kanarischen Inseln und sah mir einen Ort auf Teneriffa an, der sie besonders stark inspiriert hatte, nämlich den Schauplatz einer Harley-Quin-Story mit dem Titel The Man from the Sea (dt. Der Mann im Meer) aus dem Band The Mysterious Mr Quin (dt. Der seltsame Mister Quin) – eine großartige Kurzgeschichte, die mir jetzt, wo ich dort war, noch viel besser gefällt.
Eine andere Familienerinnerung in Sachen Mord mit verteilten Rollen betrifft die literarischen Quellen. Der Roman ist die erweiterte Fassung einer Novelle mit dem Titel The Greenshore Folly. Ursprünglich hatte Nima die Tantiemen für diese Geschichte der Diözese von Exeter versprochen, weil sie zur Finanzierung von neuen Bleiglasfenstern in ihrer Gemeindekirche in Churston in der Nähe von Greenway beitragen wollte. Da die Novelle jedoch länger als ihre anderen Kurzgeschichten war, gelang es ihrem Agenten bedauerlicherweise nicht, sie in einer der gewohnten Zeitschriften zu platzieren, was dazu führte, dass man in Exeter, wo der Kauf der Fenster bereits beschlossene Sache war, ungeduldig wurde! Schließlich schrieb Nima für die Diözese eine Kurzgeschichte mit dem Titel Greenshaw’s Folly (mit Miss Marple statt Poirot; dt. Greenshaws Folly im Großen Miss-Marple-Buch) und beschloss, The Greenshore Folly zu einem Roman, dem späteren Dead Man’s Folly (dt. Mord mit verteilten Rollen), auszuarbeiten. So bekamen letztendlich alle das, was sie sich wünschten. Sollten Sie Greenway besuchen, müssen Sie sich unbedingt auch die Churston Church ansehen, denn die Fenster sind wirklich herrlich. (Und falls Sie sich für die ursprüngliche Novelle von 1954 interessieren, sie wurde 60 Jahre später, 2014, unter dem Titel Hercule Poirot and the Greenshore Folly veröffentlicht; dt. Das Geheimnis von Greenshore Garden. Ein Fall für Poirot.)
Wie Sie wahrscheinlich wissen, übereignete meine Familie Greenway 1999 dem National Trust, weshalb der Landsitz nun fast das ganze Jahr über der Öffentlichkeit zugänglich ist. Man kann jetzt das Bootshaus besichtigen, in dem der Mord stattfand, sich in einem Liegestuhl ganz in der Nähe der Stelle entspannen, wo Hattie Stubbs saß, oder den Wanderern, die das Anwesen jetzt betreten dürfen, einen Gruß zurufen! Außerdem findet man im Laden des National Trust die beste Auswahl an Agatha-Christie-Titeln in ganz Westengland. Obwohl die Tatsache, dass Mord mit verteilten Rollen so eindeutig an einem realen Schauplatz spielt, den Roman durchaus ungewöhnlich macht, ist es nicht das einzige Buch Agatha Christies, das an Greenway erinnert. Gefällt es Ihnen, so sollten Sie auf jeden Fall auch Five