Der Geist des Llano Estacado. Karl May

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Der Geist des Llano Estacado - Karl May


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Sie sich gar nicht zu wundern. Früher waren andere Zeiten. Da geschahen gute und schlimme Taten in Menge hier im fernen Westen, und bei den mangelhaften Verbindungen, die es gab, kam die Kunde davon nur langsam vorwärts. Aber wenn jetzt einmal etwas Hervorragendes geleistet wird, fliegt die Nachricht davon im Nu von den Seen bis Mexiko und vom alten Frisco bis nach New York. Ihr kühner Zug nach dem Yellowstone ist bereits weit bekannt und Ihre Namen sind es natürlich auch. In jedem Fort, in jedem Settlement, an jedem Lagerfeuer wurde von Ihrem Ritt erzählt und so dürfen Sie nicht staunen, dass ich Ihren Namen kenne. Ein Fallensteller, der hoch droben am Spotted Tail-Wasser mit Moh-aw, dem Sohn Oihtka-petays, gesprochen hatte und jetzt bis herab ins Fort Arbuckle gekommen war, erzählte allen, die er traf, und zuletzt auch mir die Geschichte so ausführlich, wie er sie selbst gehört hat.“

      „Na“, meinte Hobble-Frank, „wer weiß, was da alles vom Spotted Tail-Wasser bis zum Fort Arbuckle an die Geschichte gehängt worden ist. Da wird aus einer Maus ein Eisbär, aus einem Regenwurm eine Riesenschlange und aus einem bescheidenen Biberjäger gar ein berühmter Hobble-Frank. Ich will ja schon zugeben, dass wir die reinen Herkulesse und Minotaurusse gewesen sind, aber mehr, als wahr is, lasse ich mir nich gern nachsagen. Den Helden ziert die Tugend der rückhaltlosen Bescheidenheit.“

      „Ihre Bescheidenheit stellt Ihre Vorzüge in ein dreifach helles Licht und verzehnfacht mein Vergnügen, Sie hier kennenzulernen. Bitte, geben Sie mir Ihre Hand!“

      Der Juggle-Fred streckte Frank die Rechte entgegen. Der Kleine schlug herzhaft ein und sagte: „Das tu ich gern, denn ich habe von Herrn Helmers erfahren, dass Sie ein weitgereister und kunstsinniger Mann sind. Ich möchte eigentlich wissen, was für eine Laufbahn Sie hinter sich haben!“

      „Das ist bald erzählt! Erst besuchte ich das Gymnasium, wo ich...“

      „O weh! Das is keine Empfehlung für Sie.“

      „Warum nicht?“

      „Weil ich eine starke Abneigung gegen alles habe, was Gymnasiast gewesen ist. Diese Leute überheben sich. Sie glauben nich, dass ein Forschtbeamter auch ein Gelehrter werden kann. Ich habe das schon wiederholt erfahren. Und doch is es mir stets kinderleicht geworden, diese Leute zu überzeugen, dass ich der Mann bin, mit Gigantenschritten über sie hinwegzusteigen. Also so eine kleine Art von Studium haben Sie auch durchgemacht?“

      „Ja. Vom Gymnasium weg widmete ich mich auf den Rat meiner Gönner hin der Malerei und besuchte die Akademie. Ich hatte recht gute Anlagen, aber leider keine Ausdauer. Nur zu bald ermüdete ich und stieg von der wirklichen Kunst zu einer so genannten herab – ich wurde Kunstreiter. Ich war ein flotter Kerl, aber ohne Kraft und inneren Halt. Mit einem Wort, ich war leichtsinnig. Tausendmal habe ich es bereut. Was könnte ich heute sein, wenn ich es fest gewollt hätte!“

      „Nun, die Begabung haben Sie wohl noch heute. Fangen Sie doch wieder an!“

      „Jetzt? Wo die jugendliche Spannkraft verloren gegangen ist? Mein lieber Hobble-Frank, diese Träume sind vorbei. Ich bemühe mich, in meinem Beruf als Scout brav und rechtschaffen zu leben und meinen Mitmenschen dienstbar zu sein. Aber in die Schule dürfen Sie mich alten Kauz nicht mehr schicken wollen! – Wohl dem, der nicht in späten Tagen büßen muss, was er in der Jugend versäumt hat! Sprechen wir, bitte, von etwas anderem!“

      „Ja, sprechen wir von etwas anderem!“, wiederholte der gutmütige Hobble-Frank eifrig. „Von meinen Freunden, die ich in den nächsten Tagen treffen werde, von Old Shatterhand, vom Langen Davy, vom Dicken Jemmy, von Winnetou, der...“

      „Winnetou?“, fiel Fred ein. „Meinen Sie den berühmten Apatschenhäuptling? Wo treffen Sie mit ihm zusammen?“

      „Das hat er nur mit Old Shatterhand besprochen. Vermutlich aber wird es jenseits des Llano Estacado sein.“

      „Hm! Dann hoffe ich, auch ihn zu sehen. Ich will nämlich über die Staked Plains. Ich bin von einer Gesellschaft geworben, die ich hinüber- und dann noch bis El Paso führen soll. Es sind Yankees, die drüben in Arizona ein gutes Geschäft zu machen gedenken.“

      „Doch nicht etwa in Diamanten?“

      „Ja, gerade in dieser Ware. Sie scheinen bedeutende Summen bei sich zu führen, um die Steine an Ort und Stelle billig einzukaufen.“

      Helmers schüttelte den Kopf und mischte sich ein: „Glaubst du denn an diese Diamantenfunde? Ich meinerseits halte die ganze Geschichte für einen riesigen Humbug.“

      Er hatte ganz Recht. Zu jener Zeit tauchten plötzlich Gerüchte auf, dass in Arizona Diamantfelder entdeckt worden seien. Es wurden Namen von Personen genannt, die durch glückliche Funde in wenigen Tagen steinreich geworden seien. Man zeigte auch Diamanten vor, zum Teil sehr kostbare Stücke, die dort gefunden worden sein sollten. Dieses Gerücht ging durch die ganze Breite des Festlandes im Lauf einiger Wochen, ja einiger Tage. Die Diggers von Kalifornien und der nördlichen Bezirke verließen ihre einträglichen Diggins und eilten nach Arizona. Aber schon hatte sich die Spekulation des Feldes bemächtigt. Es waren in aller Eile Gesellschaften gebildet worden, denen Millionen zur Verfügung standen. Die Diamantfelder sollten angekauft werden, damit man die Ausbeute im Großen betreiben könne. Kein Claim sollte abgegeben werden. Agenten flogen hin und her, mit Diamantproben in der Hand, die man an den betreffenden Stellen nur so aufgelesen haben wollte. Sie schürten aus allen Kräften und in kürzester Zeit wurde das Diamantfieber hochgradiger, als das Goldfieber jemals gewesen war. Vorsichtige Leute aber hielten ihre Taschen zu, und der Rückschlag, den sie voraussagten, trat auch sehr bald ein. Der ganze, große Schwindel war von einigen wenigen, aber höchst smarten Yankees in Szene gesetzt worden. Sie waren aufgetaucht, ohne dass man sie kannte, und sie verschwanden wieder, ohne dass man sie inzwischen kennengelernt hatte. Mit ihnen waren natürlich auch die Millionen verschwunden. Die Aktionäre fluchten vergeblich. Die meisten leugneten, Aktien besessen zu haben. Sie wollten sich nicht auch noch auslachen lassen. Die so schnell berühmt gewordenen Diamantfelder lagen wieder öde wie vorher und die enttäuschten Goldgräber kehrten zu ihren Diggins zurück, um dort zu erkennen, dass sich indessen andere da eingenistet hatten, die klüger gewesen waren als sie. Damit war die Sache zu Ende und niemand sprach mehr davon.

      Es war kurz nach Beginn des Diamantfiebers, als sich die bisher geschilderten Ereignisse vor der Tür von Helmers’ Home abspielten. Der Farmer gehörte zu denen, die dem Gerücht keinen Glauben schenkten. Der Juggle-Fred hingegen meinte: „Ich will jetzt noch nicht an der Wahrheit zweifeln. Hat man anderswo Diamanten gefunden, warum sollten nicht auch in Arizona welche liegen? Mich freilich gehen sie nichts an. Ich habe anderes zu tun. Was sagen Sie dazu, Mister Frank? Das Urteil eines Mannes von Ihrem Scharfsinn, Ihren Erfahrungen und Kenntnissen kann uns maßgebend sein.“

      Hobble-Frank merkte den leichten, aber gutmütigen Spott nicht und entgegnete geschmeichelt: „Es freut mich, dass Sie sich so vertrauensvoll an mich wenden, denn bei mir sind Sie an die richtige Schmiede gekommen. Ich bin nämlich der Ansicht, dass es um den Diamanten freilich eine ganz schöne Sache is; aber es gibt außer ihm noch andere Dinge, die ebenso hübsch sind. Im Augenblick des Heißhungers is mir eine geräucherte Thüringer Zervelatwurst lieber als der größte Diamant. Und habe ich Durst, so kann ich ihn mit keinem Brillanten löschen. Und kann der Mensch etwa mehr, als sich satt essen und satt trinken? Ich bin mit mir und mit meinem Schicksal leidlich zufrieden und brauche keine Edelsteine. Oder sollte ich sie etwa zum Staat an meinen Amazonenhut hängen? Da habe ich eine Feder druff und die genügt. Also wenn ich wüsste, dass ich drüben in Arizona einen Edelstein fände, so groß wie ungefähr das Heidelberger Fass oder wenigstens wie ein ausgewachsener Kürbis von drei Zentnern Schwere, da ginge ich hinüber und holte ihn mir. Kleiner aber möchte ich ihn gar nich haben. Das wäre mir viel zu kläglich. Nun aber gar nich zu wissen, ob man überhaupt was findet, und wenn man wirklich Glück hat, dann is es ein Knirps, so winzig wie ein Mohnkörnchen, nee, da bringt mich kein Mensch nach den Diamantfeldern. Wir sind Deutsche und brauchen keine Diamanten, denn ein jeder von uns hat schon einen Edelstein in seiner Brust, nämlich das treue deutsche Herz, von dem der Dichter sagt: ‚Kein Demant ist, der diesem gleicht, so weit der liebe Himmel reicht‘.“

      „Brav gesprochen!“, rief Helmers, indem er dem kleinen Sachsen die Hand


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