Dr. Katzenbergers Badereise. Jean Paul

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Dr. Katzenbergers Badereise - Jean Paul


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dem Bade Maulbronn, das seine Stücke jeden Sommer spielte, den Preis jenes Besuches; nur aber wollt’ er, um seine Abenteuer pikanter und scherzhafter zu haben, allda inkognito unter seinem eignen Namen Niess anlangen, den Badgästen eine musikalisch-deklamatorische Akademie von Theudobachs Stücket geben; und dann gerade, wenn der sämtliche Hörzirkel am Angelhaken der Bewunderung zappelte und schnalzte, sich unversehens langsam in die Höhe richten und mit Rührung und Schamröte sagen: endlich muss mein Herz überfliessen und verraten, um zu danken; denn ich bin selbst der weit überschätzte Theaterdichter Theudobach, der es für unsittlich hält, so aufrichtige Äusserungen, statt sie zu erwidern, an der Türe der Anonymität bloss zu behorchen. Dies war sein leichter dramatischer Entwurf. In einigen Zeitungen veranlasste er deshalb noch den Artikel: der bekannte Theaterdichter Theudobach werde, wie man vernehme, dieses Jahr das Bad Maulbronn gebrauchen.

      Da es gegen meine Absicht wäre, wenn ich durch das Vorige ein zweideutiges Streiflicht auf den Dichter würfe: so versprech ich hier förmlich, weiter unten den Lauf der Geschichte aufzuhalten, um auseinanderzusetzen, warum ein grosser Theaterdichter viel leichter und gerechter ein grosser Narr wird als ein andrer Autor von Gewicht; wozu schon meine Beweise seines grössern Beifalls, hoff ich, ausreichen sollen.

      Niess wusste also recht gut, was er war, nämlich eine Bravour-Arie in der dichterischen Sphärenmusik, ein geistiger Kaisertee, wenn andere (z. B. viele unschuldige Leser dieses) nur braunen Tee vorstellen. Es ist überhaupt ein eignes Gefühl, ein grosser Mann zu sein — ich berufe mich auf der Leser eignes — und den ganzen Tag in einem angebornen geistigen Cour- und Kuranzuge um herzulaufen; aber Niess hatte dieses Gefühl noch stärker und seiner als einer. — Er konnte sein Haar nicht auskämmen, ohne daran zu denken, welchen feurigen Kopf der Kamm (seinen Anbeterinnen vielleicht so kostbar als ein Goldkamm) regle, lichte, egge und beherrsche, und wie eben so manches Goldhaar, um welches sich die Anbeterinnen für Haarringe raufen würden, ganz gleichgültig dem Kamm in den Zähnen stecken bleibe als sonst dem Mexiko das Gold. — Er konnte durch kein Stadttor einfahren, ohne es heimlich zu einem Triumphtor seiner selber und der Einwohner unter dem Schwibbogen auszubauen, weil er aus eigner jugendlicher Erfahrung noch gut wusste, wie sehr ein grosser Mann labe — und sah daher zuweilen dem Namenregistrator des Tors stark ins Gesicht, wenn er gesagt: Theudobach, um zu merken, ob der Tropf jetzt ausser sich komme oder nicht. — Ja er konnte zuletzt in Hotels voll Gäste schwer auf einem gewissen einsitzigen Orte sitzen, ohne zu bedenken, welches Eden vielleicht mancher mit ihm zugleich im Gasthofe übernachtenden Jünglingsseele, die noch jugendlich die Autor-Achtung übertreibt, zuzuwenden wäre, wenn sie sich darauf setzte und erführe, wer früher da gewesen. „Oh, so gerne will ich jeden Winkel heiligen zum gelobten Lande für Seelen, die etwas aus meiner machen — und mit jedem Stiefelabsage auf dem schlimmsten Wege wie ein Heiliger verehrte Fusstapfen ausprägen auf meiner Lebensbahn, sobald ich nur weiss, dass ich Freude errege.“

      Sobald Niess Theodas Brief erhalten — worin die zufällige Hochzeit der Namen Theoda und Thendobach ihn auf beiden Fusssohlen kitzelte —, so nahm er ohne weiteres mit einer Handvoll Extrapostgeld den Umweg über Pira, um der Anbeterin, wie ein homerischer Gott, in der anonymen Wolke zu erscheinen; und sobald er vollends in der vorletzten Station im Piraner Wochenblatte die Anzeige des Doktors gelesen, so war er noch mehr entschieden; dazu nämlich, dass sein Bedienter reiten und sein Wagen heimlich nachkommen sollte.

      In diesen weniger geld- als abgabenreichen Zeiten mag es vielleicht Niessen empfehlen, wenn ich drucken lasse, dass er Geld hatte und danach nichts fragte, und dass er durch Liebe und Wert ihn für alle jene bezahlte und belohnte.

      Mit dem ersten Blick hatte er den ganzen Doktor ausgegründet, der mit schlagen grauen Blitzangen vor ihn trat, den Säbelschnäbler streichelnd; Niess legte — nach einer kurzen Anzeige seiner Person und seines Gesuchs — ein Röllchen Gold auf den Nähtisch mit dem Schwure: ,nur unter dieser Bedingung aller Auslagen nehm’ er das Glück an, einem der grössten Zergliederer gegenüber zu sein‘. — „Fiat! Es gefällt mir ganz, dass Sie rückwärts fahren, ohne zu vomieren; dazu bin ich verdorben durch die Jahre.“ Der Doktor fügte noch bei, dass er sich freue, mit dem Freunde eines berühmten Dichters zu fahren, da er von jeher Dichter fleissig gelesen, obwohl mehr für physiologische und anatomische Zwecke und oft fast bloss zum Spasse über sie. „Es soll mir überhaupt lieb sein“, fuhr er fort, „wenn wir uns gegenseitig fassen und wie Salze einander neutralisieren. Leider hab ich das Unglück, dass ich, wenn ich im Wagen oder sonst jemand etwas sogenanntes Unangenehmes sage, für satirisch verschrien werde, als ob man nicht jedem ohne alle Satire das ins Gesicht sagen könne, was er aus Dummheit ist. Indes gefällt Ihnen der Vater nicht, so sitzt doch die Tochter da, nämlich meine, die nach keinem Manne fragt, nicht einmal nach dem Vater; misslingt der Winterban, sagen die Wetterkundigen, so gerät der Sommerbau. Ich fand’s oft.“

      Dem Dichter Niess gefiel dieses akademische Petrefakt unendlich, und er wünschte nur, der Mann trieb’ es noch ärger, damit er ihn gar studieren und vermauern könnte in ein Possenspiel als komische Maske und Karyatide. „Vielleicht ist auch die Tochter zu verbrauchen in einem Trauerspiele“, dacht’ er, als Theoda eintraf, die von nachweinender Liebe und von Jugendfrische glänzte, und die durch die frohe Nachricht seiner Mitfahrt neue Strahlen bekam. Jetzo wollte er sich in ein interessantes Gespräch mit ihr verwickeln; aber der Doktor, dem die Aussicht auf einen Abendgast nicht heiter vorkam, schnitt es ab durch den Befehl, sie solle sein Kästchen mit Pockengift, Fleischbrühtafeln und Zergliederungszeuge packen. „Wir brechen mit dem Tage auf“, sagte er, „und ich lege mich nach wenigen Stunden nieder. Sic vale!“

      Der Menschenkenner Niess entfernte sich mit dem eiligsten Gehorsam; er hatte sogleich heraus, dass er für den Doktor keine Gesellschaft sei — leichter dieser eine für ihn. Allerdings äusserte Katzenberger gern einige Grobheit gegen Gäste, bei denen nichts Gelehrtes zu holen war, und er gab sogar den Tisch lieber her als die Zeit. Es war für jeden angenehm zu sehen, was er bei einem Fremden, der, weder besonders ausgezeichnet durch Gelehrsamkeit doch durch Krankheit, gar nicht abgehen wollte, für Seitensprünge machte, um ihn zum Lebewohl und Abscheiden zu bringen; wie er die Uhr aufzog, in Schweigen einsank oder in ein Horchen nach einem nahen lautlosen Zimmer, oder wie er die unschuldigste Bewegung des Fremden auf dem Kanapee sogleich zu einem Vorläufer des Aufbruchs verdrehte und scheidend selber in die Höhe sprang mit der Frage, warum er denn so eile. Beide Meckel hingegen, die Anatomen, Vater und Sohn zugleich, hätte der Doktor tagelang mit Luft bewirtet.

      6. Summula

      Fortsetzung der Abreise durch Fortsetzung des Abschieds

      Am Morgen tat oder war Theoda in der weiblichen Weltgeschichte nicht nur das achte Wunder der Welt — sie war nämlich so früh fertig als die Männer —, sondern auch das neunte, sie war noch eher fertig. Gleichwohl musste man auf sie warten — wie auf jede. Es war ihr nämlich die ganze Nacht vorgekommen, dass sie gestern sich durch ihren Freudenungestüm und ihre reisetrunkne Eilfertigkeit bei einem Abschiede von einer Freundin vollends versündigt, deren helle ungetrübte Besonnenheit bisher die Leiterin ihres Brauseherzens gewesen — so wie wieder die Leiterin des zu überwölkten Gattenkopfs — und welche ihre versteckte Wärme immer bloss in ein kaltes Lichtgeben eingekleidet; — und von dieser Freundin so nahe an der Klippe des weiblichen Lebens eilig und freudig geschieden zu sein — dieser Gedanke trieb Theoda gewaltsam noch einmal in der Morgendämmerung zu ihr. Sie fand das Haus offen (Mehlhorn war früh verreiset), und sie kam ungehindert in Bonas Schlafgemach. Blass wie eine von der Nacht geschlossene Lilie ruhte ihr stilles Gesicht im altväterischen Stuhle umgesunken angelehnt. Theoda küsste eine Locke — dann leise die Stirn — dann, als sie zu schnarchen anfing, gar den Mund.

      Aber plötzlich hob die Verstellte die Arme auf und umschlang die Freundin: „Bist du denn wieder zurück, Liebe“, sagte wie traumtrunken Bona, „und bloss wohl, weil du deinen Dichter nicht da gefunden?”

      „Oh, spotte viel stärker über die Sünderin, tue mir recht innig weh, denn ich verdiene es wohl von gestern her!“ antwortete sie und nannte ihr alles, was ihr feuriges Herz drückte. Bona legte die Wange an ihre und konnte, vom vorfrühen Aufstehen ohnehin sehr aufgelöset, nichts sagen, bis Theoda heftig sagte: „Schilt oder vergib!“ so dass jener die heissen Tränen aus sen Augen schossen und nun beide sich in einer Entzückung


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