Die Musikantenstadt. Max Geißler

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Die Musikantenstadt - Max Geißler


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ihm durch den Wald und sahen, wie er sich unter ihrer Begleitung erholte. Nun gelangten sie auf den Hang, auf dem der Weg zum Steinhof herniederführte. Da stand der Veit im grünen Spitzhütlein mit dem keckgebogenen Spielhahnstoss und einem sauberen, morgenfröhlichen Gesicht schon wieder neben der jungen Pechschaberin im rauchenden Golde der Frühe. Die Annemirl hielt sich am Joppenärmel des Wildschützen fest, wie sie aufwärts blickte:

      „Jessmarie, gefangen haben sie ihn!“

      Aber der Pechschaber hatte ihre Angst schon wahrgenommen, wie sie aus dem Holz auf die Blösse traten. Deshalb tat er vergnügt, schlug dem einen seiner Begleiter auf die Schulter und stieg, während die Waldhüter herniederschritten, auf einen Fichtenstumpf. Von dort warf er einen Juchezer in die Welt, der der Annemirl das Herz froh machte. Bald darauf standen sie in einem Trupp vor dem Haus, und der Pechschaber reichte den Grünröcken die Hände:

      „Brave Leut seid’s miteinander, das Leben habt ihr mir gerettet! Nur die Flöte, Annemirl, und die Morgenmusik, die sind zum Teufel!“

      Da machten der Veit und die Annemirl erschreckte Gesichter. „Jessmarie, Pechschaber!“ erschrak die Frau.

      „B’hüt Gott miteinander die Herren!“ rief der Girgl. Und: „Jetzt, einen Kaffee, Weibl! Was dem Blaser Pechschaber in dieser Nacht widerfahren ist, das muss ich dir erzählen.“

      8.

      So trieben sie’s im Grenzdorfe des Waldgebirges? Gingen auf den Schmuggel und schlichen auf der Wildbahn? Stahlen dem Herrgott die Tage und beugten in der Nacht Recht und Gesetz? Waren es solche, die im Dunkel des nächtlichen Bergwalds, wenn sie sich umstellt sahen, sich nicht scheuten, mit dem eisernen Rohr auch einem Menschen das Lebenslicht auszublasen? — Es muss eine Antwort sein auf diese Fragen. Da ist sie:

      Es geht im Gebirg eine Kunde, die Leute in jenem Dorfe hätten nächtlicherweile die Glocken zusammengestohlen, die auf dem Turme des Waldkirchleins so voll und feierlich in die Sonntagmorgen rufen, dass die Wipfel im Forst über dem Läuten zu schwingen anheben.

      Das Gotteshaus ragt am anderen Ende des Dorfes auf einer waldigen Bergkuppe empor. Und wenn die Männer mit Axt und Säge und der Kraxe auf dem Rücken von der Arbeit heimkehren, dann legen sie das Werkzeug an der Stiege vor dem Waldkirchlein ab, tun die Kappen herunter und knien sich auf ein Vaterunser in das Haus; so kommen sie heim und haben einen rechten Feiertag in ihren Herzen. Sie treten im Abendschein an den Brunnentrog, in den der klingende Strahl Bergwasser rauscht, und waschen sich den Staub des Alltags von Gesicht und Armen. Dann sitzen sie im vergehenden Lichte der Sonne, oder sie sitzen im silberblanken Mondschein vor ihren Hütten, schaukeln ihre Kinder auf den Knien oder nehmen ihr Singspiel zur Hand und klingen die Saiten an, bis sie auch ihr Herz hineingestimmt haben. Zuletzt fällt ihnen ein Lied ein zum Preise des Waldlands oder zum Preis ihres kargen Glückes.

      Ja, wenn immer eine Arbeit wär’ im Waldgebirg! Aber — wenn sie im Tiefland die Ernte einbringen, schwer wie Gold, braust auf der Höhe der Sturm; und wenn drunten noch das Sonnenlicht wärmt, klirrt im Bergwald schon das fliegende Silber des Schnees. Dann haben die Waldleute die Schwämme eingetragen und haben Beeren und Hagebutten gesammelt, davon sie im Winter leben wollen. Sie haben Holz auf ihren Rücken eingetragen, damit in der kalten Zeit der Kachelofen warm sei. Und die kalte Zeit dauert sieben Monate im Jahr. Ist aber nicht einmal in den fünf anderen immer bezahlte Arbeit im Wald. Und die Erdäpfel bleiben oft über Winter im Feld, weil sie nicht reif geworden sind. Hernach wenn die Not gross ist und die Kinder um Brot schreien, dann beissen die Männer die Zähne zusammen und langen die alte Büchse vom Nagel herab, dem Kaiser in seinem Wald ein Wild zu stehlen. Oder sie sorgen schon im Sommer dafür und hängen es in den Rauch; denn sie wissen: im Winter findet keiner den Weg durch den bergetiefen Schnee als der Tod.

      9.

      Wie der Herbst gekommen war, hatten die Pechschaberleut im Walddorf sich heimisch gemacht.

      Nun brach der Spätwind die Stämme im Forst und riss die korallenroten Vogelbeeren aus dem Gezweig. Die Ziemer flogen in Scharen und fielen in die Netze. Und dann trieb das wilde Spiel der Flocken über das Gebirg. Da waren keine Menschen draussen im Wald, wenn sie nicht schmuggelten; denn der Sturm warf mit hundertjährigen Stämmen nach ihnen. Sie hatten die Hütten bis an die Fensterstöcke mit einer Wand aus Reisig und Astholz versetzt; sie hatten die Schneefänge vor ihren Türen dick mit Tannengrün bekleidet. Der Wind sprang über die Dächer, riss den Rauch der Schornsteine in Fetzen und spielte sein klapperndes Spiel mit den Schindeln.

      Es war kein Mensch draussen in diesem wilden aufgehenden Tag; aber die Sorge lief ihren Weg und fand sich in die Hütten.

      Und war noch nicht einmal ganz hell. Da kam ein junges Weib mit einem wimmernden Kind auf dem Arm, das sie in ein schützendes Wolltuch gehüllt hatte, vom Dorf her nach dem Steinhofhause herauf. Die Steinhöferin wärmte sich schon am Kachelofen bei den Pechschaberleuten; deshalb kam die Bärbel mit dem Kleinen daherein. Die Frau war das Tochterkind der Alten und hatte vor einem Jahre mit dem Johann Bratel, dem Sohne der runden Frau Dorothea aus dem schwarzen Kreuzhause, Hochzeit gemacht. Den Mann hiessen sie im Walddorf den „Schani“.

      „Ich mein’ gar, du weinetest?“ fragte die Steinhöferin erschreckt.

      „Das wohl,“ schluchzte die Bärbel so grausam wehleidig, dass einer ihre haselnussbraunen Augen nicht mehr sehen konnte, in denen immer ein seltsamer Glanz war, und die so geheimnisvoll sein konnten wie ein Waldbrunnen.

      Weil sie die Herzensnot der Frau sahen, nahm ihr die Pechschaberin das Kind ab und herzte es und sagte der Bärbel rasch ins Ohr, dass sie wohl übers Jahr auch so ein feines haben werde.

      Wie die Frau das vernahm, rieb sie sich mit dem Schürzenzipfel die Augen aus; aber es perlten schon wieder neue Tränen hervor. Da trat der Pechschaber vor sie hin und legte ihr die Hände auf die Hüften.

      „So red’ ein Wort, Bärbel! Ist dir was geschehen?“

      Die Pechschaberin schaukelte das Kind auf ihrem Knie, und die Bärbel sank neben der Steinhöferin auf die Ofenbank:

      „Denkt’s an, der Schani ist mir nicht heimgekommen in dieser Nacht!“

      Wie der Girgl das hörte, wurde er einen halben Kopf länger und machte wilde Augen:

      „Das hat der neue Grenzwächter getan; konterband hat er ihn gemacht, wie er mit seinem Sack voll Armut den Grenzwald hereingekommen ist! Und in solch einer Nacht geht der Wächter aus, einen in den Kotter zu bringen?“

      Während sie noch redeten und der Pechschaber sich den Steig beschreiben liess, auf dem der Johann Bratel sein Säcklein hatte heimschmuggeln wollen, fuhr er in die Stiefel und tat sich die Joppe an. Auch ein Zündzeug nahm er mit auf den Weg. Erst ging er auf eine halbe Pfeife Tabak ins Haus beim schwarzen Kreuz und fand den Gemeindevorsteher und sein Weib, schweigsam und voll Angst um den Sohn, am Ofen. Wie sie sich miteinander über den Fall beredet hatten, nahm der Pechschaber beim Wildschützen Veit Einstand; die beiden gingen ein Haus weiter, und eine Stunde später waren sie ihrer vier und verschwanden im Forst. Der Schnee fiel und der Sturm jagte.

      Kaum waren sie ein Stück den Hang emporgestiegen, so schlugen sie im Dickicht ein Feuer, schwärzten ihre Gesichter mit Kienruss und rissen den Bergfichten die Bärte ab. Die klebten sie sich mit flüssigem Harz in die Gesichter. Die hingen sie in langen Zotteln über ihre Haare und drückten die Hüte darauf. Nun leuchteten nur die Augen wild aus den Flechten hervor. Sie redeten heimlich miteinander, jeder nahm noch einen Ast auf, und dann legten sie sich auf die Lauer. Der Sturm raste durch den Wald, und nahe donnerte das Waldwasser. Sie waren aber gar nicht weit den Hang emporgestiegen; denn der Grenzwächter wusste: in der Nähe der Waldhäuser liess sich niemals einer von ihm ertappen; darum trug der dort sein Gewehr in Ruhe über dem Rücken und war sorglos; am Tage ging er übrigens allein; des Nachts aber gingen sie zwei und zwei.

      Nicht lange, so kam der Wächter den pfadlosen Hang im Holze daher; er ging so dicht an den Jungfichten, in denen die Männer auf der Lauer lagen, dass die Bäume ihn mit den Zweigen schlugen.

      Plötzlich brach’s hinter ihm im Busch; aber eh er


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