Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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war das?« fragte einer der Gensdarmen. »Man hat zweimal geschossen. Der Förster kann es nicht gewesen sein. Es ist in der Richtung jenes Weges gewesen, welcher dort nach dem Schlosse führt. Vorwärts! Wir müssen sehen, wer es war!«

      Er eilte fort, und die Mehrzahl der Anwesenden folgte ihm. Auf halbem Wege kam ihnen der Baron entgegen. Er schien sehr erschreckt und echauffirt zu sein.

      »Ah, welch ein Glück, daß Gensdarmen anwesend sind!« rief er. »Meine Herren, soeben bin ich Zeuge eines gräßlichen Mordes gewesen.«

      »Eines Mordes?« fragte der Gensdarm. »Wir haben zwei Schüsse gehört. Wer ist erschossen worden?«

      »Der Hauptmann von Hellenbach.«

      »Alle Teufel! Von wem denn?«

      »Von Gustav Brandt, dem Sohne des hiesigen Försters.«

      Der Beamte fuhr ganz erschrocken zurück.

      »Das ist unmöglich! Das muß ein Irrthum sein!« sagte er.

      »Herr, ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.«

      »Und dennoch kann ich es kaum glauben, begreifen aber gar nicht. Herr Brandt ist Jurist; er ist in der Residenz angestellt; er ist von dort nach hier beordert worden, um das Verbrechen zu steuern, er kann nicht selbst ein Verbrecher sein!«

      Da maß der Baron den Sprecher mit seinem stolzesten Blicke, machte eine sehr geringschätzende Bewegung der Achsel und sagte:

      »Hat es noch keinen Juristen, keinen Beamten gegeben, welcher ein Verbrecher war? Eine Ansicht, eine Meinung kann nichts gelten, wo das Auge gesehen und das Ohr gehört hat, was geschehen ist. Sie sind Polizeibeamter; als solcher erhalten Sie von mir die Mittheilung, daß Brandt den Baron vor meinen Augen erschossen hat, und ich fordere Sie allen Ernstes auf, Ihre Pflicht zu thun!«

      »Habe ich gesagt, daß ich sie nicht thun will? Wo liegt der Todte?«

      »Da drin auf dem Wege.«

      »Und wo befindet sich der Mörder?«

      »Als ich fort eilte, befand er sich noch in der Nähe der Leiche.«

      »Das wäre unbegreiflich. Ein Mörder flieht und verbirgt sich. Er bleibt nicht bei seinem Opfer stehen, besonders wenn er weiß, daß man die That gesehen hat.«

      »Er weiß nicht, daß ich Zeuge derselben bin. Ich sah, daß er den Hauptmann niederschoß und daß Baronesse Alma dazu kam. Ich wußte, daß sich Beamte in der Schlucht befinden und eilte, um ihnen Anzeige zu machen.«

      »Ah, die Baronesse kam dazu? Was sagte, und was that sie? Wo befindet sie sich?«

      »Sie nannte ihn einen Mörder und wurde dann ohnmächtig. Der Ermordete war ihr Verlobter. Ich fordere Sie auf, zu eilen, damit der Mörder nicht entkommen kann.«

      »So kommen Sie!«

      Als sie den Platz erreichten, an welchem die Leiche lag, kniete Gustav, mit Alma beschäftigt, noch immer auf der Erde. Er sah kaum, daß Menschen daher kamen; er beachtete sie gar nicht. Eben öffnete sie die Augen. Sie sah, daß sie in seinen Armen lag; sie sah auch die Anwesenden, und eine jähe Röthe flog über ihr Gesicht. Dann jedoch fiel ihr Blick auf den Todten. Das Blut trat aus ihren Wangen zurück; ihre Züge nahmen den Ausdruck der Furcht, des Abscheues an; sie machte eine Bewegung des Widerwillens, wand sich aus seinen Armen, vermied es, den Blick abermals auf den Ermordeten fallen zu lassen und sagte:

      »Unglücklicher! Laß mich! Deine Hände rauchen von dem Blute, welches Du vergossen hast!«

      Diese Worte erst ließen ihn an die Gefahr denken, in welcher er sich befand. Er wendete seinen Blick von ihr weg auf die Anderen und sagte:

      »Ich? Ich soll dieses Blut vergossen haben? Das ist ein Irrthum, ein großer, ein ungeheurer Irrthum!«

      Da trat der Gensdarm zu ihm heran und fragte:

      »Herr Brandt, Sie stellen in Abrede, die beiden tödtlichen Schüsse abgefeuert zu haben?«

      »Ja, ganz entschieden! Aber, bitte, untersuchen wir erst den Hauptmann! Vielleicht ist noch Leben in ihm. Er würde es mir bezeugen, daß ich die That nicht begangen habe.«

      Man folgte diesen Worten, aber es zeigte sich leider, daß nicht eine Spur von Leben mehr vorhanden war. Alma hatte abseits gestanden, an einen Baum gelehnt. Ihr Gesicht war bleich; es zeigte eine fast wächserne Blutleere. Der Gensdarm trat zu ihr und sagte:

      »Gnädiges Fräulein, Sie werden diesen Ort gern verlassen wollen; ich muß Sie jedoch vorher um die Beantwortung einiger Fragen ersuchen. Halten Sie Herrn Brandt für schuldig?«

      Ihr Auge suchte den Angeklagten. Liebe, Mitleid und Abscheu kämpften in ihrem Blicke. Sie zögerte zu antworten, und sagte erst nach einer langen Pause:

      »Muß ich denn eine Antwort geben?«

      »Ja, Sie müssen.«

      »Mein Gott, welch' eine Qual!« Sie legte die Hand auf das Herz und fuhr dann, in ein lautes Schluchzen ausbrechend, fort: »Ich kann, ich darf es nicht leugnen; ich muß die Wahrheit sagen: ja, er ist es gewesen.«

      Dabei umfaßte sie den Stamm des Baumes, um nicht umzusinken.

      Gustav hatte sein Auge mit Siegeszuversicht auf sie gerichtet gehabt; jetzt fuhr er zusammen und griff sich mit beiden Händen an die Stirn, als ob ihn dort ein Schlag getroffen habe.

      »Alma!« rief er, nicht im Tone des Vorwurfs, sondern mit einem Ausdrucke, welcher sich gar nicht beschreiben läßt.

      »Bitte, schweigen Sie jetzt!« gebot ihm der Gensdarm. Und sich an den Baron wendend, fuhr er zu diesem fort: »Herr von Helfenstein, ich muß ganz dieselbe Frage auch an Sie richten.«

      »Auch ich bin Zeuge, daß er der Mörder ist«, antwortete der Gefragte in einem Tone, der gar keinen Widerspruch aufkommen ließ.

      »Herr Baron!« rief Gustav zornig. »Wahren Sie Ihre Zunge. Sie sind ja gar nicht dabei gewesen!«

      »Das wird untersucht werden«, meinte der Gensdarm. »Herr von Helfenstein, Sie haben vielleicht die Güte, das gnädige Fräulein nach dem Schlosse zu begleiten. Wir werden nachkommen.«

      Der Baron bot Alma den Arm; sie nahm denselben an.

      »Alma! Schwester!« rief Gustav. »Willst Du mich wirklich verlassen, mit diesem Verdachte im Herzen?«

      Sie wendete ihm noch einmal den Blick der schönen Augen zu. Ihr Busen wogte heftig auf und nieder. Sie kämpfte einen schweren Kampf, der ihr Herz, ihr ganzes Innere zerfleischte. Dann aber antwortete sie:

      »Ich darf nicht lügen! Es ist kein Verdacht, es ist die unbestreitbare Gewißheit, daß Du der Thäter bist. Lebe wohl, auf ewig!«

      Sie ging mit dem Baron. Gustav wußte nicht, was er thun, was er sagen sollte. Das, was er jetzt erlebte, war so ungeheuerlich, daß es ihn fast betäubte. Es brauste ihm um die Ohren, als ob er sich inmitten einer tosenden Brandung befinde, und nur wie im Traume, nur wie aus weiter Ferne vernahm er die Frage des Gensdarmen:

      »Aus welchem Gewehre sind die Kugeln gekommen, Herr Brandt?«

      »Aus diesem«, antwortete er, auf seine Büchse deutend.

      »Es ist das Ihrige?«

      »Ja. Ich lag da drinnen zwischen den Bäumen. Die Büchse lehnte an einem Stamme. Ich sah die Baronesse kommen und trat auf den Weg fort; da kam der Hauptmann. Während wir uns unterhielten, fielen zwei Schüsse; sie trafen ihn in die Brust. Er war todt. Ich sprang dahin, wo ich mein Gewehr gelassen hatte. Es lag abgeschossen am Boden, aber Niemand war da. Der Mörder war augenblicklich entflohen. Ihm nachzueilen, wäre vergebens gewesen. Ich kehrte darum zu dem Hauptmanne zurück, um zu sehen, ob er wirklich todt sei. Ich hatte das Gewehr noch in der Hand. In diesem Augenblicke kam die Baronesse retour. Sie hatte die Schüsse gehört. Sie sah mich mit der Büchse, sie erblickte den Todten; ich sehe ein, daß sie mich für den Mörder halten mußte, zumal ich gestern mit dem Hauptmanne einen Wortwechsel hatte. Sie fiel


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