Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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doch ist es allerdings so! Bertram ist nicht im Stande, seine Unschuld zu beweisen, und so befindet er sich ganz in den Händen Ihres Mannes, nach dessen Aussagen gerichtet wird.«

      Die Frau blickte verlegen vor sich nieder.

      »Es ist ihm zuzutrauen,« sagte sie. »Er ist rücksichtslos im höchsten Grade. Wer ihn in einem Vorhaben schädigt oder stört, den verdirbt er, falls es nur möglich ist. Er wird bei seiner unwahren Aussage bleiben.«

      »Wäre er denn nicht zu vermögen, die Wahrheit zu gestehen?«

      »Nein. Kein Mensch bringt das fertig.«

      »Aber, Sie sprachen vorhin von diesem Knaben –!«

      »Was soll der? Er kann nicht sprechen. Er kann den Vater doch nicht bitten, die Wahrheit zu bekennen!«

      »Nein; direct kann er keine solche Bitte aussprechen. Aber wenn der Vater seinen Sohn sieht, wenn er ihn auf den Armen hat, wird sich seiner vielleicht ein milderes Gefühl bemächtigen, eine Rührung, welche ihn veranlassen könnte, die Anschuldigung zurückzunehmen.«

      Die Wangen der Frau rötheten sich. Sie nickte zustimmend, antwortete jedoch:

      »Das wäre freilich möglich; aber der Vater wird eben seinen Sohn nicht zu sehen bekommen.«

      »Warum nicht?«

      »Ich habe schon mehrere Male den Untersuchungsrichter gebeten, meinen Mann sehen zu dürfen, aber es wurde mir stets abgeschlagen.«

      »Lag Ihnen denn an einer solchen Zusammenkunft mit Ihrem gefangenen Manne?«

      »Natürlich. Ich habe so Verschiedenes zu fragen. Ich bin so hilflos und verlassen. Es giebt hundert Dinge, über die nur er mir Auskunft geben kann, Familien- und Wirthschaftsangelegenheiten. Und sodann dachte ich allerdings auch daran, daß es vielleicht meinem Worte gelingen könne, sein Herz zu erweichen, damit aus ihm ein anderer und besserer Mensch werden möge. Ich hätte es sehr, sehr gern gesehen, wenn ich hätte mit ihm sprechen können; aber es geht das nicht, denn man will es mir ja nicht erlauben.«

      Der natürliche Scharfsinn Fanny's hatte die Unterhaltung jetzt auf den Punkt gebracht, um welchen es sich handelte. Sie sagte, wie nur so nebenbei:

      »Nicht wahr, der Untersuchungsrichter ist Assessor von Schubert?«

      »Ja.«

      »Er ist mir bekannt. Ich glaube, daß er Ihnen erlauben würde, mit Ihrem Manne zu sprechen, wenn ich ihn darum bäte.«

      »O, wenn Sie das thun wollten!« fiel die Frau schnell ein.

      »Warum nicht? Aber dies müßte bald geschehen. Ich stehe jetzt eben im Begriff, zu ihm zu fahren. Wollen Sie sich mir anschließen?«

      »Fahren? Ach, gnädiges Fräulein, das wäre eine zu große Güte oder vielmehr Gnade von Ihnen!«

      »O nein! Ich thue es ja auch im Interesse des unschuldig Angeschuldigten. Also, wenn es Ihnen recht ist, so machen Sie sich fertig!«

      Die Frau wußte gar nicht, wie ihr geschah, als eine so vornehme Dame in dieser Weise mit ihr redete; aber sie wurde von Fanny gedrängt und griff in Folge dessen nach dem Umschlagtuche, dem Einzigen, was sie außer der Kleidung, welche sie trug, noch besaß. Sie legte es um, nahm das Kind unter dasselbe, damit es nicht frieren solle, und folgte Fanny nach der Straße, wo der Fürst mit seiner Equipage hielt.

      Er hatte vorgezogen, unten zu warten, anstatt durch sein Miterscheinen die Verlegenheit der armen Frau zu vergrößern.

      Diese machte allerdings große Augen, als sie die vornehme Kutsche erblickte, in welche sie steigen sollte, und den Herrn, der in derselben saß. Sie machte Miene, zurückzutreten, wurde jedoch vom Diener hineingeschoben.

      »Dieser Herr ist Seine Durchlaucht, der Fürst von Befour,« sagte Fanny.

      Die Frau erröthete und erbleichte abwechselnd vor Befangenheit, doch sprach der Fürst während der Fahrt so mild und ermunternd zu ihr, daß sie Vertrauen gewann.

      Unterwegs erblickte Fanny einen Laden, an dessen Fenster fertige Kinderanzüge ausgelegt waren. Sie ließ sofort halten und forderte die Frau auf, mit ihr auszusteigen. Sie traten in den Laden, und als sie wieder erschienen, steckte der Knabe in einem hübschen Anzuge, der ihm allerliebst stand, und der Mutter standen die Thränen der Freude in den Augen.

      Als sie das Gerichtsgebäude erreichten, begaben sie sich in das Wartezimmer, und Fanny ließ sich beim Assessor melden. Dieser empfing sie, indem er lächelnd sagte:

      »Ich ahnte, daß Sie so bald wiederkommen würden. Sie waren bei Bormanns Frau?«

      »Errathen! Sie scheint sehr brav zu sein.«

      »Sie ist es ohne allen Zweifel. Ist sie mitgekommen?«

      »Ja. Darf sie ihren Mann sprechen?«

      »Ja, natürlich aber in meiner Gegenwart. Hat sie das Kind mit?«

      »Ja, einen allerliebsten kleinen Knaben. Aber, Herr Assessor, wird Ihre Gegenwart nicht –?«

      Sie hielt inne. Er errieth sie und sagte:

      »Sie meinen, daß meine Gegenwart Ihre Absicht gefährden könne? Das ist allerdings der Fall. Wie ich den Riesen kenne, so besitzt er zu viel falschen Stolz, als daß er in meiner Anwesenheit eine Rührung zeigen würde. Aber ich werde versuchen, die Sache zu arrangiren. Sind Seine Durchlaucht auch wieder mitgekommen?«

      »Ja. Wir Beide empfinden für diesen Fall ein so lebhaftes Interesse, daß wir wünschen, die Entwicklung möge eine möglichst eilige sein.«

      »Auch ich stimme bei. Ist Bertram wirklich unschuldig, so kann es nur mein Wunsch sein, mich baldigst davon zu überzeugen.«

      Er klingelte und ließ Frau Bormann vorführen.

      »Diese Dame,« sagte er, auf Fanny deutend, »hat mich von Ihrem Wunsche, mit Ihrem Manne zu sprechen, unterrichtet. Ich habe Ihnen denselben wiederholt abgeschlagen, bin aber jetzt auf die Befürwortung hin bereit, ihn zu erfüllen. Aber Ihr Mann ist Untersuchungsgefangener. Eigentlich sollte ich bei der Unterredung gegenwärtig sein; da ich aber glaube, daß meine Gegenwart die Entwicklung besserer Gefühle verhindern würde, so sollen Sie allein mit ihm sein; doch stelle ich natürlich meine Bedingungen.«

      »Sagen Sie mir, was ich zu thun habe, Herr Assessor!« bat die Frau.

      »Sie gehen nicht auf einen Fluchtversuch ein?«

      »Mein Gott, das kann mir gar nicht einfallen!«

      »Sie nehmen auch keinen Auftrag von ihm an, welcher der Untersuchung schädlich sein würde!«

      »Nein.«

      »Sie suchen ihn nicht auszuforschen. Das würde sein Mißtrauen hervorrufen, wie ich ihn kenne.«

      »Herr Assessor, ich kenne ihn noch genauer. Ich werde ihn nur nach häuslichen Angelegenheiten fragen. Erst dann, wenn ich sehe, daß er nicht bei ganz schlimmer Meinung ist, werde ich ihn bitten, sich seine Lage nicht durch Starrsinn zu verschlimmern.«

      »So werden Sie richtig handeln. Ich wünsche besonders, daß er in betreff Bertram's die Wahrheit sagen möge. Suchen Sie darauf hinzuwirken, wenn dies ohne Gefahr möglich ist!«

      Jetzt führte er sie selbst nach derjenigen Abtheilung des Gerichtsgebäudes, in welcher die Gefangenen untergebracht waren, und gab dem Gefängnißmeister seine Instruction. Nachdem die Ausgänge besetzt worden waren, führte ein Schließer die Frau nach der betreffenden Zelle, schloß dieselbe auf und zog sich dann zurück.

      Bormann lag lang ausgestreckt auf der bloßen Diele. Er athmete schwer und schien es gar nicht bemerkt zu haben, daß die Thür geöffnet worden war. Seiner Frau wurde es ganz unbeschreiblich wehe zu Muthe. Durch das Fenster fiel nicht übermäßig Licht herein, aber es reichte doch zu, sie Alles erkennen zu lassen. Sie kämpfte die Thränen, welche aus ihren Augen brechen wollten, muthig nieder.

      »Wilhelm!« sagte sie.

      Er


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