Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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der Kleine, der seinen Hunger ganz und gar vergessen hatte.

      In den Augen des Riesen standen Thränen. Es war eine Stimmung über ihn gekommen, wie er sie kaum in seinen Kinderjahren an sich bemerkt hatte.

      »Und dann, Gustel, noch Eins!« sagte er. »Wenn der Junge heranwächst und verständiger wird, dann wird er nach seinem Vater fragen. Was wirst Du ihm antworten?«

      »Daß Du in Amerika bist.«

      »Nicht im Zuchthause?«

      »Nein. Er soll seinen Vater lieben und achten können.«

      »Herrgott, was habe ich für eine gute, gute Frau! Und was für ein schlechter Kerl bin ich gewesen! Aber das soll nun anders sein! Ich werde in dem Zucht – na, in dem Hause arbeiten, daß mir das Bast von den Fingern fällt. Ich werde mir Geld verdienen und eine gute Censur. Und wenn dann die Jahre, die langen, die ewig langen Jahre vorüber sind, und ich komme nach Hause, dann, dann – Donnerwetter, dieses Glück könnte ich schon längst gehabt haben, wenn ich klüger gewesen, klüger und besser und nicht in die Hände dieses Hauptmannes gefallen wäre! Verdammt sei er in alle Ewigkeit!«

      Sie legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm.

      »Sei ruhig, Wilhelm!« sagte sie. »Du wirst nicht so lange gefangen sein!«

      »Ah, denkst Du, daß ich weniger bekomme?«

      »Das weiß ich nicht; aber Du wirst ein Gnadengesuch machen.«

      »Das wird mir verdammt wenig helfen!«

      »O doch! Und vielleicht, wenn Du jetzt bereits ein Wenig einsichtsvoll sein wolltest, würde man Dir die Strafe nicht gar so hoch zumessen!«

      »Einsichtsvoll? Inwiefern denn?«

      »Man hält Dich für einen ganz und gar gottlosen Menschen, weil Du Unschuldige mit in's Elend bringst. Gerade deshalb wird man zur schärfsten Strafe greifen.«

      »Unschuldige? Wen meinst Du denn?«

      »Nun, diesen Bertram.«

      »Hält man ihn denn für unschuldig?«

      »Alle Welt sagt, daß er unschuldig sei?«

      »Aber wie kommt er denn in meiner Gesellschaft in das Zimmer der Baronesse?«

      »Er hat Dich bemerkt und ist Dir nachgestiegen, um das gnädige Fräulein zu retten!«

      »Hm! Das hat man sich gut ausgesonnen! Gar nicht so übel!«

      Das sollte Ironie oder gar Hohn sein; aber es wollte ihm doch nicht gelingen, den richtigen Ton zu treffen.

      »Willst Du spotten?« fragte sie. »Man sagt, daß Du nur aus Rache angegeben hast, daß er Dein Mitschuldiger sei! Du willst ihn mit in das Verderben ziehen. Das zeichnet Dich als ganz und gar schlechten und gottlosen Menschen. Darum wird man Dir die höchste Strafe geben, und dort in – na, in jenem Hause wirst Du dann wohl recht sehr schlimm behandelt werden.«

      »Hm!«meinte er nachdenklich. »Mein Kopf wird mir ganz schwach; aber es ist mir so, als ob Du Recht haben könntest. Hält der Assessor den Bertram auch für unschuldig?«

      »Ja.«

      »Und die Baronesse?«

      »Auch.«

      »Was kann denn Die wissen! Ueberhaupt darfst Du ihr nicht trauen!«

      »Nicht trauen? Wilhelm, ich habe gehungert, und auch das Kind hat kaum genug zu essen gehabt –«

      »Was? Wie?« brauste er auf. »Das Kind nicht genug zu essen? Hast Du denn nicht gearbeitet?«

      »Ich hatte keine Arbeit. Wo ich früher plättete, lohnte man mich ab, und wo ich sonst hinkam, wollte man von der Frau des Riesen nichts wissen. Stehlen wollte ich nicht. Ich gab dem Kinde gerade die letzte Rinde, als die Baronesse kam. Weißt Du, was sie that?«

      »Nein.«

      »Sie schenkte mir zehn Gulden.«

      »Donnerwetter! Für die schlage ich zehn Kerle todt!«

      »Sie versprach mir Arbeit, und dann nahm sie mich mit in ihre Equipage – denke Dir nur, sie schämte sich nicht! – und kaufte dem Kleinen den Anzug hier, damit er nicht frieren sollte.«

      Erst jetzt bemerkte der Riese den Anzug. Er betrachtete sich denselben und sagte dann:

      »Das hat sie gethan? Aus freien Stücken?«

      »Ja. Sie will auch weiter für das Kind sorgen.«

      Da nahm er seine Frau bei der Hand und sagte:

      »Gustel, es ist wahr, es giebt noch gute Menschen, und darum ist es auch möglich, daß es einen Gott im Himmel giebt. Mein Junge soll nicht hören müssen, daß sein Vater ein gottloser, unverbesserlicher Bösewicht ist. Ich werde den Leuten beweisen, daß es nicht so schlimm mit mir steht, wie sie denken.«

      »Wolltest Du das? Wirklich, lieber Wilhelm?«

      »Ja, das will ich. Aber schnell muß es geschehen. Der Schnaps greift mir schon wieder nach dem Kopfe. Ich muß meine Gedanken zusammennehmen. Es geht Etwas mit mir vor. Vielleicht ist's dann zu spät. Gehe also jetzt, und sage dem Assessor, er soll kommen; ich hätte ihm ein Geständniß zu machen!«

      »Er wird Dich ins Verhörzimmer rufen!«

      »Nein. Ich kann nicht; ich bin krank. Er soll den Protokollanten mitbringen. Aber, hörst Du, während ich rede, will ich den Jungen bei mir haben, hier auf meinen Armen. Dann bleibe ich stark. Gehe, eile!«

      Sie verließ die Zelle und fand den Assessor bereits am Eingange des Corridors ihrer wartend. Sie sagte ihm, was ihr aufgetragen worden war.

      »Um Gotteswillen!« meinte er. »Er ist mit dem Kinde allein! Er wird doch nicht –«

      »O nein!« antwortete sie. »Er würde sich eher tödten als dem Jungen das geringste Leid anthun.«

      »So kehren Sie zu ihm zurück. Ich werde in ganz kurzer Zeit nachfolgen.«

      Als er nach einigen Minuten mit dem Protokollanten in die Zelle trat, saß das Ehepaar verschlungen auf der harten Pritsche. Der Gefangene hatte den Knaben auf seinem Schooße sitzen. Er erhob sich.

      »Bleiben Sie sitzen, Herr Bormann! Sie sind ja krank!« sagte der Assessor in freundlichem Tone.

      Das war dem Einbrecher noch nicht passirt. Es ging wie ein Glanz innerer Freude über sein Gesicht.

      »Meinen Sie, daß Ihre Frau bei dem, was Sie mir zu sagen haben, zugegen sein kann?« fragte Schubert.

      »Darf sie denn?«

      »Eigentlich ist es gegen die Regel, aber ich denke es verantworten zu können, wenn ich hier einmal eine Ausnahme mache.«

      Es war aber ein psychologischer Coup von ihm, die Gegenwart der Frau zu gestatten. Er dachte, daß der Gefangene dadurch in der rechten Stimmung erhalten bleiben werde.

      »Sie darf alles hören,« sagte Bormann.

      Es wurde ein Tisch mit zwei Stühlen herbei gebracht, und die beiden Beamten nahmen Platz. Der Schließer zog sich zurück.

      »Mein Kopf schmerzt mich, und ich habe Fieber,« meinte Bormann. »Es wird mir schwer, nachzudenken. Darum bitte ich, es möglichst kurz zu machen, meine Herren.«

      »Ich werde Ihnen diesen Wunsch gern erfüllen,« antwortete der Assessor. »Also, was haben Sie mir mitzutheilen?«

      »Ich will Ihnen gestehen, daß der Bertram unschuldig ist.«

      »Er ist also Ihr Complice nicht?«

      »Nein.«

      »Aber Sie kennen ihn?«

      »Ich hatte ihn vorher nie gesehen.«

      »Wie aber kam er an jenem Abende mit Ihnen in das betreffende Zimmer?«

      »Ich weiß es nicht.


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