Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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gegenüber zuweilen anzuschlagen pflegen. »Ich möchte Sie als Mama sehen!«

      »Und ich Sie als Papa!« antwortete sie, halb schnippisch, halb kokett. »Jedenfalls würden Sie sich dazu besser als zum Cousin eignen.«

      Es mußte in ihren Worten oder in ihrem Tone Etwas liegen, was ihn frappirte, denn er trat einen halben Schritt zurück und fragte:

      »Wie meinen Sie das, Sie schöne, räthselhafte Teufelin?«

      »Nun, fragen Sie sich selbst, ob Sie so gern der Cousin dieses kleinen Vetters hier sind! Oder sind Sie etwa so sehr enthusiasmirt für ihn?«

      »Schlange! Das sollen Sie mir bezahlen!«

      Er streckte den Arm aus, um ihn um ihre Hüften zu legen; sie aber entschlüpfte ihm mit einer allerdings schlangenhaften Bewegung.

      »Habe ich nicht Recht?« raunte sie ihm noch zu. »Ich denke, wir kennen uns!«

      Dann eilte sie weiter und verschwand hinter der Thür des Kinderzimmers.

      »Ein famoses Frauenzimmer,« flüsterte er, leise mit der Zunge schnalzend. »Ueppig, schön, feurig und klug, aber leider fast ein wenig zu klug. Sie hat einen angeborenen Scharfsinn, der unter Umständen gefährlich werden kann. Es ist nicht gut, sie zur Feindin zu haben. Woher weiß sie doch nur, daß mir dieser fatale Junge ein Dorn im Auge ist? Ich habe mir ja nicht das Geringste merken lassen, obgleich mich dieses nachgeborene Vetterchen um die erhoffte Erbschaft bringt.«

      Er stieg höchst nachdenklich die Freitreppe, welche nach dem Schloßhofe führte, hinab.

      Der Förster war in das Zimmer der Baronesse getreten. Sie kam ihm freundlich entgegen, reichte ihm die Hand und fragte:

      »Sie bringen mir Antwort aus dem Forsthause, Papa Brandt?«

      »Ja, gnädiges Fräulein. Meine Frau läßt sagen, daß sie kommen wird. Das versteht sich ja ganz von selbst!«

      »Das freut mich sehr. Ich brauche die gute Mama sehr nothwendig. Der König kommt mit Gefolge; viele andere Gäste sind zur Jagd geladen, so muß ich also alle verfügbaren Hände aufbieten. Sie waren bei meinem Papa?«

      »Ja. Ich habe die letzten Anweisungen des gnädigen Herrn Barons betreffs des Jagdarrangements erhalten. Wir bieten den hohen Gästen zu Ehren Alles auf, was wir vermögen. Ein Gast aber wird kommen, welcher mir lieber ist, als alle diese vornehmen Herren.«

      Er zwinkerte dabei vertraulich listig mit den Augen, als ob es sich um ein angenehmes Geheimniß handle.

      »Lieber als diese Alle? Wer mag das sein?« fragte sie.

      »Hm! Eigentlich sollte ich es nicht verrathen, aber die Freude macht mir das Schweigen zur Unmöglichkeit. Da, lesen Sie, gnädiges Fräulein!«

      Er zog einen Brief aus der Tasche, den er ihr gab. Sie hatte kaum einen Blick auf die Unterschrift geworfen, so flog das Roth der Freude über ihre Wangen.

      »Gustav!« rief sie. »Ah, Gustav kommt! Wie schön das ist! Wir haben uns so sehr lange nicht gesehen!«

      »Und ich ihn noch viel länger nicht!«

      »Ja; ich habe in der Residenz mit ihm gesprochen. Es ist zum Besuche, daß er kommt?«

      »Nein. Bitte, lesen Sie!«

      Sie wendete den Brief hin und her. Ueber ihr schönes Gesicht flog es beinahe wie eine kleine Verlegenheit, doch überwand sie dieselbe schnell.

      »Was von Gustav kommt, darf nicht so flüchtig abgethan werden, lieber Papa Brandt« sagte sie. »Wollen Sie mir den Brief nicht hier lassen? Ich bin jetzt anderweit so sehr in Anspruch genommen.«

      Man sah es dem guten Manne an, daß ihn der Wunsch des schönen Mädchens ganz glücklich machte.

      »Ja, gern, sehr gern!« antwortete er. »Behalten Sie ihn hier, gnädiges Fräulein. Und da Sie so beschäftigt sind, will ich sogleich die Flucht ergreifen.«

      »Doch nicht, ohne daß ich Ihnen vorher einen Gruß an die gute Mama Brandt mitgebe. Sie wird sich freuen, Gustav wieder zu sehen.«

      Sie reichte ihm die Hand entgegen, die er zwischen die seine nahm, als ob sich diese Vertraulichkeit ganz von selbst verstehe. Und so war es auch. Sie hatte, von einer schwächlichen Mutter geboren, als Kind an der Brust der Försterin gelegen, und war somit die Milchschwester des Förstersohnes geworden, dessen Brief sie jetzt in den Händen hielt. Nach langer, langer Zeit, vor noch nicht ganz einem Jahre, war dann das kleine Brüderchen nachgekommen, doch hatte leider die Mutter, die Baronin von Helfenstein, die Geburt desselben mit dem Leben bezahlen müssen.

      Kaum hatte sich der Förster entfernt, so eilte die Baronesse an das Fenster. Aus den Augen, welche auf dem Briefe ruhten, brach ein Blick des Glückes, so froh und hell wie ein warmer Sonnenstrahl.

      »Gustav, Gustav kommt!« flüsterte sie. »Wie herrlich! Er ist der Einzige, der mich versteht, er und seine guten Eltern! Papa ist so ernst und seit Mamas Tode so verschlossen, und die Anderen – ah, fast scheint es mir, als ob es nicht gar viele Menschen gebe, die man lieben darf!«

      Sie öffnete den Brief und las ihn. Von Zeile zu Zeile erhöhte sich der glückliche Ausdruck ihres Gesichtes.

      »Ja, ja,« sagte sie dann zu sich. »Das stand zu erwarten. Er ist reich, sehr reich begabt und wird schnell Carrière machen. Er schreibt so bescheiden, aber man kennt ja seinen Werth!«

      War es schwesterliche Freude oder war es etwas noch Anderes – sie gab sich darüber keine Rechenschaft, aber ganz unwillkürlich hob sich ihre Hand mit dem Briefe, und ihre Lippen berührten die Stelle desselben, auf welcher sich die Unterschrift befand. Aber fast ganz in demselben Augenblicke senkte sich die Hand blitzschnell wieder herab: Die Zofe war eingetreten, einen Carton in den Händen tragend. Sie hatte den Kuß gesehen, that jedoch so, als ob sie nichts bemerkt habe.

      »Hier ist das Paket, gnädiges Fräulein,« sagte sie. »Darf ich öffnen?«

      »Ja, thue es,« antwortete die Baronesse.

      Sie hatte sich, dem Könige zu Ehren, welcher morgen zur Jagd erwartet wurde, aus der Residenz eine prachtvolle Robe verschrieben, welche jetzt dem Carton entnommen wurde. Die Blicke der Zofe hingen bewundernd an dem schweren Seidenstoffe und dem reichen Ausputze des Kleides, und als sie das Letztere nun der Herrin zur Probe anlegen mußte, fand sie, daß sie ihrer ganzen Selbstbeherrschung bedurfte, um nicht den Neid bemerken zu lassen, der jetzt ihre Seele erfüllte. Dann, als die letzte Hand angelegt war, rief sie im Tone aufrichtiger Freude:

      »Wie herrlich! Wie köstlich! Das gnädige Fräulein können sich mit den Prinzessinnen aller königlichen und kaiserlichen Höfe messen. Dieses Kleid sitzt zum Entzücken schön. Seine Majestät werden die gnädige Baronesse Alma von Helfenstein reizend und bewundernswerth finden!«

      »Doch leider Dich nicht auch!«

      Diese Worte erklangen von der Portière her. Dort stand der Baron Otto von Helfenstein, welcher, von Beiden unbemerkt, eingetreten und die Worte der Zofe vernommen hatte. Seine Antwort hatte einen unfreundlichen, beinahe harten Klang. Er gab der Zofe einen Wink, sich zu entfernen und trat dann, als sie gehorcht hatte, näher. Jetzt erst wurde sein ernstes Gesicht freundlicher.

      »Es ist wahr, liebe Alma,« sagte er »diese Robe kleidet Dich ausgezeichnet. Aber diese Ella lobt zu überschwänglich. Sie hat mir nie gefallen. Sie hat so ein aalglattes, übergeschmeidiges Wesen, und ich kann mich für solche Charaktere nicht erwärmen. Ich glaube, sie ist falsch und heuchelt. Doch nicht, um Dir dies zu sagen, komme ich zu Dir, sondern aus einem anderen Grunde.«

      Es geschah selten, außerordentlich selten, daß der Baron einmal die Gemächer seiner Tochter betrat. Geschah es ja einmal, so gab es ganz gewiß etwas sehr Wichtiges zu verhandeln. Daß dies jetzt auch der Fall sei, war ihm anzusehen.

      Er schritt nach einem Fauteuil, nahm bedächtig darauf Platz und musterte dann die Gestalt Alma's, welche in Erwartung des Kommenden leicht an dem Damenschreibtische lehnend stand.

      »Ich muß wirklich


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