Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May
Читать онлайн книгу.ob ein Vater oder ein schmachtender Seladon diese Worte sagt. Ein Mädchen soll sich schmücken, soll aber auch wissen, für wen es sich schmückt. Hast Du Dir diese Frage vielleicht schon aufrichtig vorgelegt?«
Trotz der soeben gehörten Ermahnung des Vaters trat eine erneute Gluth auf die Wangen des reizenden Mädchens. Was wollte, was beabsichtigte er? Wozu und warum diese eigenthümliche Frage?
»Nun, magst Du mir nicht antworten?« fuhr er fort.
»Aber Papa, ich verstehe Dich nicht,« sagte sie, indem sie sich bestrebte, ihr inneres Gleichgewicht zu behalten.
»Täusche Dich nicht selbst. Ich bin überzeugt, daß Du mich verstehst!«
»Nun, verstehe ich Dich recht, so meinst du, ob es eine bestimmte Person giebt, für welche ich mich schmücken möchte?«
»Ja, das meine ich allerdings.«
»Es giebt keine solche.«
»Das ist mir in gewisser Beziehung lieb, denn es erleichtert mir die Mitteilung, welche ich Dir zu machen beabsichtige. Du bist ein verständiges Mädchen; ich habe nie bemerkt, daß Du zu Phantastereien hinneigst. Du wirst ganz meiner Ansicht sein, daß unser bevorzugter Stand Rücksichten fordert, welche wir ihm nicht verweigern dürfen. Es kann vorkommen, daß diese Rücksichten mit unserem Herzen, mit unseren Sympathien in Conflict kommen; aber wir sind dennoch gezwungen, ihnen Rechnung zu tragen.«
Er hielt einen Augenblick inne, wie um zu sehen, welchen Eindruck seine Worte auf die Tochter hervorgebracht hätten. Sie stand still vor ihm; ihre Augen ruhten fragend auf seinem Gesichte. Sie war um einen Schatten bleicher geworden, aber sie sagte nichts. Darum fuhr er fort:
»Weißt Du bereits, daß ich den Hauptmann von Hellenbach geladen habe?«
»Sein Name stand mit auf der Liste der Gäste.«
»Nun, ich verfolge mit ihm einen ganz besonderen Zweck, der für Dich von allergrößtem Interesse ist. Sein Vater war mein intimster Freund, mein liebster Kamerad. Als er starb, machte er mich zum Vormund seines Sohnes und legte mir das Schicksal dieses Letzteren an das Herz. Was hältst Du von dem Hauptmanne?«
»Er ist kein Genie, aber ein Ehrenmann.«
»Ich sehe zu meiner Freude, daß Du ihn richtig beurtheilst. Genie's pflegen die Ihrigen selten glücklich zu machen; ein Ehrenmann aber ist stets und vor allen Dingen darauf bedacht, seine beruflichen und familiären Pflichten zu erfüllen. Der Hauptmann ist Dein Verlobter seit langer Zeit!«
Jetzt machte Alma eine Bewegung größter Ueberraschung. Ein einziger Augenblick hatte genügt, alles Blut aus ihren Wangen zu treiben.
»Mein – Ver – lobter?« fragte sie beinahe stammelnd.
»Ja. Ich habe das seinem sterbenden Vater in die Hand versprochen. Du, als brave und verständige Tochter, wirst mir die Erfüllung meines Wortes nicht erschweren. Oder hättest Du Etwas gegen Hellenbach?«
»Nein,« antwortete sie, noch immer unter dem Eindrucke eines Schreckes, den sie zu verbergen suchte. »Ich habe nichts für und nichts gegen ihn.«
»Das ist die richtige Stimmung. Standesehen geht man kühl ein. Es ist das eine der wohlberechtigten Eigenschaften unseres Standes. Ich freue mich, daß Du meine Eröffnung ohne alle Leidenschaftlichkeit entgegennimmst. Deine Antwort ist natürlich eine zustimmende, denn diese Verbindung erfüllt alle Ansprüche, welche man auf beiden Seiten vernünftigerweise zu machen berechtigt ist.«
Jetzt hatte Alma ihre Fassung vollständig wiedererlangt. Sie kannte ihren Vater. Er selbst hatte eine Convenienzheirath eingegangen und mit ihrer Mutter in Eintracht, doch auch nicht in übermäßigem Glücke gelebt. Er trennte sich schwer von einem Plane; offener Widerstand erhitzte ihn. Im gegenwärtigen Falle war es am Gerathensten, äußerlich kühl zu bleiben und über das Weitere in aller Ruhe nachzudenken. Es war ihr, als hätte sie ein Schlag getroffen, ein Schlag in's tiefste Leben hinein, da hinein, wo bisher ein Geheimniß geruht hatte, dessen Lösung ihr noch niemals nahegelegt worden war. Sie verbarg das Gefühl eines plötzlichen Schmerzes, welches so schreckhaft über sie gekommen war, und fragte in möglichst gleichgültigem Tone:
»Hat der Hauptmann davon gewußt?«
»Längst.«
»Und er hielt es nicht für der Mühe werth, mir eine Andeutung zu machen oder mich merken zu lassen, daß er ein nicht ganz gewöhnliches Interesse für mich hegt?«
»Wozu? Du warst ihm ebenso sicher wie er Dir. Er ist ein stiller, überlegsamer Charakter und kein Brausekopf. Er weiß, daß Ihr vortrefflich zusammenpaßt und hat ruhig abgewartet. Nun die Zeit gekommen ist, wird er mit Dir sprechen. Er trifft bereits heute hier ein, und wie ich ihn kenne, kannst Du dann sofort seine Eröffnung erwarten.«
Es legte sich ein beinahe bitteres Lächeln um ihren schönen Mund; ihre Finger zuckten krampfhaft in den seidenen Falten des Kleides, und ihr Busen hob sich unter einem tiefen Seufzer, den sie nicht zu unterdrücken vermochte.
»Habt Ihr Beide nicht ein wenig unvorsichtig gehandelt, lieber Vater?« fragte sie. »Ich wußte nichts von eurem Plane. Wie nun, wenn ein Anderer unterdessen meine Sympathie gewonnen hätte?«
»Sympathie, Zuneigung, Liebe – pah! Eine Baronesse von Helfenstein kennt ihren Rang und weiß ihn auch gegen solche menschliche Schwachheiten zu behaupten. Mir genügt die Ueberzeugung, daß ich mit Dir zufrieden sein werde!«
Er war ein guter, freundlicher und splenditer Vater, aber vor allen Dingen Edelmann. Die Standesrücksicht stand ihm wenigstens ebenso hoch wie die Sorge um das Wohl der Seinigen. Alma war wohl zwanzig Jahre lang sein einziges Kind gewesen, und er hatte ihr während dieser Zeit möglichst jeden Wunsch erfüllt. Nun aber verlangte er auch, daß sie sich heute seiner Verordnung füge. Er liebte sie, aber Robert, das nachgeborene Söhnchen, stand als Stammhalter seiner Sorge dennoch näher als sie. Darum befand sich das Kinderzimmer in unmittelbarer Nähe seines eigenen Cabinets, und darum nahm er jetzt den Gehorsam seiner Tochter als etwas ganz Selbstverständliches an. Er sprach noch einen kurzen, nicht mehr als freundlichen Gruß aus und entfernte sich dann.
Alma blieb allein zurück. Sie brauchte sich nicht mehr zu beherrschen. Der Ausdruck kalter Gleichgiltigkeit wich aus ihrem Gesichte, und ihre Züge sprachen nun unverhohlen den Schreck aus, welcher sie bei der Eröffnung des Vaters ergriffen hatte.
»Hellenbach's Braut!« flüsterte sie, indem sie sich leise schüttelte. »Und das so ganz plötzlich, so unvorbereitet! Man hat es nicht einmal für nöthig befunden, es mich während dieser langen Zeit wissen zu lassen! Man hat über mich verfügt so eigenmächtig, wie man über die Besitzveränderung eines Pferdes bestimmt. Soll ich mich fügen? Kann ich mich fügen? Kann ich mit gutem Gewissen die Frau eines Mannes werden, dessen Glück mir nicht mehr am Herzen liegt, wie dasjenige eines jeden anderen Menschen?«
Sie trat an den Tisch und öffnete ein Album. Unter den darin befindlichen Photographien befand sich auch diejenige Hellenbach's. Sie betrachtete dieselbe.
»Nicht schön und nicht häßlich, nicht einmal interessant. Er ist ein Offizier gewöhnlicher Begabung, der seine Pflicht thut und in dreißig Jahren sich als Oberst pensioniren lassen wird. An diese unbefriedigende Existenz soll ich gefesselt sein! Was aber kann ich dagegen thun? O, Mutter, Mutter, lebtest Du noch! An Deinem Herzen würde ich nicht umsonst nach Rath und Trost verlangen. Diese kalte Selbstverständlichkeit des Vaters ist weit schlimmer, als wenn er hart und grausam wäre. Ich habe einen Vater, und dennoch bin ich einsam. Mein Herz ist ohne Schutz und Fürsprecher, und gleichwohl ist es ganz allein das Herz, welches über Glück und Unglück zu bestimmen hat.«
Ihr feucht gewordenes Auge war auf das Album gerichtet, in welchem ihre Hand planlos weiterblätterte. Da plötzlich belebte sich ihr Blick. Sie hatte ein Bild aufgeschlagen, welches wie eine stumme und doch beredte Antwort auf ihre Klage ihr entgegenblickte. Es war die Photographie eines Jünglings mit schönen, hochinteressanten, geistreichen Zügen. Seine großen, dunklen Augen sprachen ebensowohl von einer tief empfindenden Seele wie von einer eigenartig ausgeprägten und hoch ausgebildeten Intelligenz. Das Auge des Beschauers