Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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Zeit sind die rechten. Wo ich Sie treffe, da rede ich mit Ihnen, also gegenwärtig hier. Wir befanden uns im Bade. Wir trafen uns beim Spiele. Sie baten mich um zweitausend Gulden auf vierundzwanzig Stunden und Ehrenwort. Des anderen Tages waren Sie verschwunden, ohne mich bezahlt zu haben. Und weshalb? Weil es bekannt geworden war, daß Sie ein Schurke sind, welcher es versteht, dem Glücke –«

      »Herr von Hellenbach!« rief der Baron.

      Er war bleich geworden wie eine Leiche. Sein Ton sollte ein drohender sein, doch machte er einen ganz entgegengesetzten Eindruck. Hellenbach zuckte die Achsel und sagte:

      »Schreien Sie nicht so laut! Ich habe mit Ihnen zu sprechen, und was ich Ihnen zu sagen habe, werde ich Ihnen unter allen Umständen mittheilen, selbst wenn Sie die sämmtliche Dienerschaft herbei schreien sollten! Also, fahren wir fort: – weil Sie es verstanden hatten, dem Glücke des Spieles durch gewisse Manipulationen nachzuhelfen. Jetzt treffe ich hier ein, und der Erste, welcher mir begegnet, sind Sie. Ihr Cousin ist ein Ehrenmann und mein Freund; auch habe ich noch einen anderweiten Grund, Ärgerniß von ihm fern zu halten. Darum habe ich bisher gegen ihn über Sie geschwiegen. Aber an einem und demselben Orte kann ich mit einem Manne, der kein Ehrenwort mehr hat, nicht bleiben. Natürlich bin ich es nicht, der weichen wird, sondern Sie werden es sein. Aus Rücksicht auf Ihren Herrn Cousin will ich Ihnen noch eine Gnadenfrist geben. Zahlen Sie mir binnen jetzt und vierundzwanzig Stunden, also bis morgen um dieselbe Tageszeit, die zweitausend Gulden, so soll kein Mensch von dieser Angelegenheit erfahren. Sie dürfen dann abreisen, ohne von mir blamirt zu werden; denn von Ihrem Hierbleiben ist auch in diesem günstigen Falle keine Rede. Zahlen Sie aber nicht, so decke ich Ihre Ehrlosigkeit vor allen anwesenden Jagdgästen auf!«

      Das war eine lange, scharfe Rede. Der Baron hatte sie mit keinem Worte, mit keiner Sylbe unterbrochen. Er schien überhaupt die Fähigkeit der Sprache für den Augenblick verloren zu haben. Desto beredter aber waren seine Züge. Auf seinem Gesichte kamen und gingen alle Arten negativer Empfindungen. Scham, Zorn, Furcht und Muth wechselten mit einander ab. Jedenfalls kannte er den Hauptmann. Er wußte, daß derselbe die Wahrheit gesprochen habe und daß so einem eisenfesten, ehrenwerthen Charakter nicht ein Jota abzuringen sei. Er hätte ihn am liebsten massakrirt; aber er wußte auch sehr genau, daß ihn nur die äußerste Selbstbeherrschung retten könne. Er zwang also seinen Grimm zurück und sagte, indem seine Stimme allerdings vor innerer Aufregung bebte:

      »Sie können sich denken, daß ich gegen Ihre Anschuldigungen und die Bedingungen, welche Sie mir stellen, kein Wort der Entgegnung habe. Die Angelegenheit wird bis morgen geordnet sein; nur bedinge ich mir Ihr Ehrenwort, daß kein Mensch etwas von der Sache weiß oder bis morgen zu der angegebenen Zeit von ihr erfahren wird.«

      »Sie haben das Ehrenwort. Adieu!«

      Nach diesen unter einem verächtlichen Achselzucken gesprochenen Worten drehte sich der Hauptmann ab. Er gehörte zu denjenigen Characteren, welche alles Falsche unerbittlich hassen und verfolgen, weil an ihnen selbst kein Falsch ist.

      Franz von Helfenstein hatte in sein Zimmer zurückkehren wollen; die Begegnung mit Hellenbach aber gab seinen Schritten eine ganz andere, neue Richtung. Er stieg die Freitreppe hinab und verließ das Jagdschloß, um seiner Erregung im kühlen Walde Herr zu werden. Er sann und sann, um zu einem Resultate zu kommen. Endlich blieb er stehen und sagte, mit der geballten Faust nach dem Schlosse zurück drohend:

      »Einen Schurken hat er mich genannt, einen ehrlosen Menschen! Hölle, Tod und Teufel, das wird gerächt, fürchterlich gerächt! Ich muß ihn bezahlen; aber woher das Geld nehmen? Der Cousin hilft mir nicht mehr aus der Noth. Ich verlangte heute früh lumpige fünfhundert Gulden von ihm, und er verweigerte sie mir, weil er nicht länger Tropfen in's Meer tragen wolle. Wie würde er erstaunen, wenn ich jetzt zweitausend verlangte! Er hat Geld, massenhaft Geld! Ihm ist ja Alles zugefallen, die ganze Herrschaft, während wir Anderen mit einer elenden Kleinigkeit abgefunden wurden. Wäre er todt, und hätte er diesen Knaben nicht, so hätte Alma einige Hunderttausende zu erwarten, und das Andere wäre Alles, Alles mein! Könnte man doch dem Schicksale nachhelfen! Hm! Giebt es denn gar keine Möglichkeit? Sie soll Hellenbach heirathen, und das muß ich hintertreiben. Sie liebt ihn keinesfalls. Ha! Ist es denn nicht möglich, daß ich ihr lieber wäre als er? Dann wäre mir geholfen! Welch' ein Streich! Sie kann sich nicht glücklich fühlen; ich erlöse sie von diesem Hellenbach, indem ich sie für mich erobere; ich trete als ihr Retter auf. Ich bin überzeugt, daß ihr mein Antrag hoch willkommen ist. Zwar soll sie diesem widerwärtigen Brandt gut sein; aber das ist ja gar nicht zu rechnen. Die Baronesse Alma von Helfenstein und ein Polizeibeamter! Pah! Das ist eine Liebelei, die ich vergeben kann, da ja auch ich den Freuden der Liebe nicht abgeneigt bin. Sie ist auf dem Tannenstein. Also hin zu ihr!«

      Er wendete sich dem letztgenannten Orte zu.

      Der Hauptmann von Hellenbach hatte sich direct zum Besitzer des Schlosses begeben wollen, um seine Ankunft zu melden; da aber war die Zofe Ella aus der Thür getreten. Sie hatte grüßend an ihm vorüber gewollt; er aber hielt sie durch eine Handbewegung an und fragte:

      »Ist das gnädige Fräulein zu sprechen?«

      »Nein. Sie ist ausgegangen.«

      »Wohin?«

      »Nach dem Tannensteine.«

      »Aber der Herr Baron ist disponibel?«

      Da fuhr ihr ein Gedanke durch den Kopf. Wie nun, wenn sie ihrer Herrin den verhaßten Verlobten sofort auf den Hals hetzte? Alma war gegangen, um sich innere Ruhe zu holen; es mußte ihr äußerst unangenehm sein, dem aufgezwungenen Bräutigam zu begegnen. Darum antwortete Ella auf Hellenbach's Frage:

      »Ich glaube kaum. Der Herr Baron sind jetzt noch von den Dispositionen für die Jagd außerordentlich in Anspruch genommen. Aber das gnädige Fräulein würde sich gewiß freuen, Ihnen auf dem Tannensteine zu begegnen. Es ist so einsam dort, und die Gegend ist seit einiger Zeit fast unsicher zu nennen.«

      »Ah! Wirklich? Hm! Ich erinnere mich des Tannensteines. Ich werde ihn finden, Sie haben Recht. Ich darf den Baron nicht stören.«

      Er ging. Es war keine glühende Leidenschaft, welche er bisher für Alma gefühlt hatte. Sie war schön, reich und von reinem alten Adel. Die Verbindung war eine vortheilhafte zu nennen. So hatte er sich gesagt. Aber als er nun durch den Wald ging, um das schöne Mädchen aufzusuchen und mit demselben von dieser Verbindung zu sprechen, da wurde es ihm denn doch recht eigenthümlich zu Muthe. Es war ihm, als sei Alma bereits ein Stück von ihm selbst geworden, ein Theil seines eigenen Wesens, auf den er unmöglich verzichten könne. Er ahnte es nicht; aber er trug doch eine tiefe Liebe zu dem herrlichen Mädchen in seinem Herzen.

      Bei einem früheren Besuche hatte er den Tannenstein kennen gelernt. Er hatte jetzt geglaubt, den Weg leicht finden zu können, aber er mußte bald einsehen, daß er in die Irre gegangen sei. Er mußte seine Richtung ändern, und so dauerte es ziemlich lange Zeit, ehe er sein Ziel erreichte.

      Unterdessen hatte auch die Zofe Ella das Schloß verlassen. Sie wollte ihr Vorhaben ausführen und ihren Bruder vor Gustav Brandt warnen.

      Gar nicht weit von dem Jagdschlosse Hirschenau lag das kleine Dörfchen Helfenstein, in welchem ihr Bruder wohnte. Er war der gegenwärtige Anführer der Schmuggler. Ella wußte das, hütete sich aber natürlich, es zu verrathen. Sie fand ihn daheim und erzählte ihm, was in dem Briefe Brandt's gestanden hatte. Er lachte höhnisch und sagte:

      »Deine Warnung ist überflüssig; ich bin bereits unterrichtet. Wir haben in der Residenz unsere Spione, welche uns gut bedienen, weil sie gut bezahlt werden. Daß Brandt kommen wird, habe ich ebenso genau gewußt, wie daß man uns auch Militär senden wird. Brandt ist ein junger Kerl aber trotzdem ein gescheidter Kopf. Er hat sich bereits vielfach ausgezeichnet und steht in Ansehen bei seinen Vorgesetzten. Er wird sehr schnell Carrière machen; aber er soll sich hüten, mit uns anzubinden. Sie senden gerade ihn, weil er hier geboren ist und alle Schliche kennt; aber mir ist er doch nicht gewachsen. Wenn er mir unbequem wird, hat es mit ihm ein Ende.«

      Sie erschrak. Brandt war eine Zeitlang heimlich ihr Abgott gewesen; sie liebte ihn eigentlich noch; er aber hatte alle ihre Bemühungen, ihn in ihre Netze zu ziehen, siegreich abgeschlagen. Jetzt drohte ihm


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