Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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meinen Paschern eine eiserne Disciplin eingeführt. Sogar von der Todesstrafe mache ich Gebrauch. Einen Feind, der unsere Sicherheit bedroht, werde ich natürlich noch weniger schonen als einen meiner Untergebenen. Uebrigens werden wir wohl nicht so leicht miteinander in Collision gerathen. Ich beabsichtige in unseren Unternehmungen eine längere Pause eintreten zu lassen, bis das Militär wieder zurückgezogen worden ist. Heute abend wird der letzte Coup ausgeführt, der aber auch ein ganz bedeutender ist. Es handelt sich um viele, viele Tausende, welche wir verdienen. Dann mag Brandt kommen. Er wird hier sitzen und keine Spur eines Paschers finden. Uebrigens bin ich auch aus einem anderen Grunde zu einer längeren Pause gezwungen. Ich habe unter meinen Leuten einige Kerls, denen ich nicht traue. Ich mußte den Bruder des Einen erschießen lassen; der Grund ist Nebensache; nun glaube ich gar, daß ich selbst nicht mehr meines Lebens sicher bin.«

      »Du bist zu hart, zu streng gewesen. Man darf die Saiten nicht zu stark anspannen, sonst reißen sie.«

      »Unsinn! Bei dem Volke, welches ich commandire, muß Strenge sein. Jetzt lebe wohl! Ich habe Wichtigeres zu thun, als hier zu plaudern.«

      Sie ging. Es gab so Vieles zu denken und zu überlegen; so geschah es, daß sie von dem geraden Wege nach dem Schlosse abkam. Und als sie das bemerkte, bog sie noch nicht in bessere Richtung ein. Sie hatte eine nachsichtige Herrin, es kam gar nicht darauf an, ob sie eine Stunde früher oder später zurückkehrte.

      So folgte sie dem Waldwege, den sie nun einmal eingeschlagen hatte. Baron Franz von Helfenstein war es besonders, welcher ihr zu denken gab. Sie war eine wohlhabende Bauerstochter und nur deshalb in den Dienst der Baronesse Alma getreten, weil das herrschaftliche Leben ihr besser gefiel, als das Wohnen und Verkümmern im einsamen Gebirgsdorfe. Sie wußte, daß sie schön war; sie hatte gesehen, welche Macht die Schönheit besitzt, und sie wollte emporsteigen. Wie nun, wenn dieser Cousin Franz von Helfenstein auf irgend eine Weise, durch Liebe oder Zwang, vermocht werden könnte, ihr die Hand zu geben? Dann war sie Baronin, allerdings nicht reich, aber – – hm, konnte nicht der kleine Robert sterben?

      Es waren wunderliche, vielleicht sogar gefährliche Gedanken, mit denen sie sich beschäftigte. Sie achtete gar nicht mehr auf ihre Umgebung, bis sie rasche Schritte vor sich vernahm. Sie blickte auf und zuckte zusammen. Vor ihr stand ein junger Mann, ganz in Grau gekleidet, mit einem ledernen Ränzchen auf dem Rücken und einem Knotenstocke in der Hand. Hätte er anstatt des breitkrämpigen Hutes eine farbige Mütze auf dem Kopfe gehabt, so wäre er sehr leicht für einen wandernden Musensohn zu nehmen gewesen.

      Sie erkannte ihn sofort; sie waren ja in demselben Orte geboren und erzogen. Sie nannten sich sogar »Du«. Es war Gustav Brandt, der erwartete Polizeibeamte aus der Residenz. Da er Alma's Milchbruder war, hatte der Baron, ihr Vater, ihn studiren lassen, eine Unterstützung, welche auf sehr fruchtbaren Boden gefallen war. Sein Gesicht glich ganz der Photographie in Alma's Album. Er war bereits jetzt höchst interessant und versprach, ein schöner Mann zu werden.

      Ella war bis zum Nacken herab erröthet, als sie ihn erblickte.

      »Gustav!« entfuhr es ihr unwillkürlich.

      Sie streckte ihm beide Hände entgegen, wie man einen lieben, vertrauten Freund begrüßt; er aber gab ihr kühl nur die Rechte.

      »Du hier? Mitten im Walde?« fragte er.

      »Du ebenso!« antwortete sie. »Wer uns hier erblickt, muß denken, wir haben ein Stelldichein verabredet.«

      »Wer das denkt, kann nicht viel Geist besitzen.«

      »Nicht? Nun, wäre denn ein Stelldichein zwischen uns Beiden etwas so ganz und gar Unmögliches oder Unnatürliches?«

      Es war die alte, heimliche Liebe über sie gekommen. In ihren dunklen Augen loderte eine leidenschaftliche Gluth. Am Liebsten hätte sie sich an die Brust des jungen Mannes geworfen. Er wußte das und sah es auch.

      »Das sind müßige Fragen,« antwortete er.

      »Für den Einen wohl, aber nicht für den Andern. Du freilich wirst Deine Augen niemals auf ein Dorfmädchen werfen. Du willst höher hinaus. Du wirst Dir einmal eine Prinzessin suchen.«

      Ihr Ton war bei diesen Worten etwas höhnisch gewesen. Er schüttelte mit überlegenem Lächeln den Kopf und antwortete:

      »Ich kann jetzt nicht an Liebe denken, nach einer Prinzessin strebe ich nicht. Ich weiß nur so viel, daß Diejenige, welcher meine Liebe gehören soll, sittlich rein sein und ein gutes Herz besitzen muß.«

      »Ah! Meinst Du nicht, daß ich ein gutes Herz besitze?«

      »Nein,« antwortete er gleichmüthig.

      »Und sittlich rein – –?«

      »Bist Du auch nicht.«

      Da flammte ihr Auge ihm zornig entgegen.

      »Wie kannst Du das behaupten?« herrschte sie ihn an.

      »Ich weiß es, Ella. Es ist schade um die Reichthümer, welche Dir von der Natur verliehen worden sind. Sie waren bestimmt, Dich und Andere glücklich zu machen, Du aber wirst diesen Zweck verfehlen. Lebe wohl!«

      Er schritt an ihr vorüber.

      »Gustav! Brandt!« rief sie ihm nach. »Ah! Ich weiß, wo die sittlich Reine ist! Gehe hinauf zum Tannenstein; dort wirst Du sie jetzt mit ihrem Bräutigam finden!«

      Sie setzte ihren Weg rasch fort, innerlich voller Wut und Rachgier für die Zurückweisung, die ihr abermals von ihm geworden war.

      Er hatte ihren letzten Ruf vernommen. Er hatte eigentlich nach dem Forsthause zu den Eltern gewollt. Jetzt aber fragte er sich:

      »Die sittlich Reine? Auf dem Tannenstein? Sollte da Alma gemeint sein? Und mit ihrem Bräutigam?«

      Das letzte Wort ging ihm wie der Schlag einer electrischen Batterie durch den Körper. Es war ja das Etwas, an dessen Möglichkeit er noch nicht gedacht hatte.

      »Alma einen Bräutigam? Herrgott, ich gehe nach dem Tannensteine!«

      Er wich vom Wege ab und eilte mitten in den Wald hinein.

      Der Tannenstein war eine mit Bäumen und Sträuchern bestandene steile Felsenhöhe, welche von den Bewohnern der Umgegend gern besucht wurde, weil von seiner Kuppe aus sich ein weiter Umblick in das Niederland eröffnete. Vor dem Auge dehnten sich da in scheinbarer Endlosigkeit die grün bewaldeten Bergeskuppen wie plötzlich erstarrte Meereswogen in weite Ferne hin. Es war, als stehe man am Strande der See und blicke hinaus auf den unendlichen Ocean. Rund um den Aussichtspunkt war ein starkes Geländer angebracht, damit kein Unglück geschehe. An diesem Geländer hatte Gustav Brandt oft verwegene Turnkünste geübt, wobei Alma mancher Schrei der Angst entfahren war. Rechts führte der Weg langsam abfallend nach Schloß Hirschenau, während links ein höchst steiler Pfad zur Tiefe ging nach einer wilden, langen und schmalen Schlucht, welche die Tannenschlucht genannt wurde.

      Auf diese Schlucht schritt Brandt jetzt zu, um dann von ihr aus die beinahe senkrecht ansteigende Höhe zu erklimmen. Der weiche Waldesboden machte seine Schritte beinahe unhörbar. So kam es, daß ihm ein menschlicher Laut auffiel, der ihm sonst entgangen wäre. Er hatte ein unterdrücktes Husten gehört. Wer sein Husten unterdrückt, beabsichtigt, nicht bemerkt zu werden, hat also Heimlichkeiten vor. Das sagte sich Brandt als Polizist sogleich. Hier gab es also Jemand, der verborgen bleiben wollte.

      Er schlich nach der Gegend hin, in welcher das Husten erklungen war. Da, fast wäre er mit dem Manne zusammen gestoßen – er hatte um einen Strauch kriechen wollen, hinter welchem ein ihm fremder Mann saß. Der Platz war so gewählt, daß man von ihm aus einen Theil der Schlucht überblicken konnte.

      Gustav wich natürlich sofort zurück; er war nicht bemerkt worden. Indem er über den Grund der Anwesenheit dieses Mannes nachdachte, ertönte in nicht allzu großer Ferne ein halblauter, kurzer Pfiff, welcher von dem Manne erwidert wurde, und eine Minute später kam ein zweiter Mensch langsam aus der Schlucht herbei geklettert.

      »Verdammte Langeweile!« sagte er. »Wenn man doch nur wenigstens rauchen dürfte!«

      »Der Geruch kann


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