Lagerkoller: Sechs erotische Novellen. Ane-Marie Kjeldberg

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Lagerkoller: Sechs erotische Novellen - Ane-Marie Kjeldberg


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      Ane-Marie Kjeldberg

      Lagerkoller: sechs erotische Novellen

      Lust

      Lagerkoller: sechs erotische Novellen ÜbersetzterPatrick Zöller Original: Sommerfolket

      Coverbild/Illustration: ShutterstockCopyright © 2017, 2019 Ane-Marie Kjeldberg und LUST All rights reserved ISBN: 9788726684292

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von LUST gestattet.

Lagerkoller 1: In Stein gemeißelt

      Sommer 1968

      Solbjørg schlüpfte in das neue, weiße Asani-Höschen und zog das ebenso neue, türkisblaue Negligé über. Es war leicht wie ein Windhauch und legte sich schmeichelnd über ihre kleinen Brüste und die schmale Hüften. Die kurzen, luftigen Ärmel verbargen ihre kräftigen Schultern leicht. Sie betrachtete sich im Spiegel. Sie hatte die Figur einer Balletttänzerin, das konnte sie nicht leugnen. Noch ein paar Spritzer von Elizabeth Ardens Blue Grass an strategisch wichtigen Stellen. Ulf hatte ihr das Parfüm geschenkt, im Mai, nach ihrer letzten Vorstellung.

      Ulf hatte sich bereits ins Bett gelegt. Er las in Geschichte einer Seele der katholischen Nonnen Thérèse de Lisieux.

      Mit einem Seufzer legte Solbjørg sich zu ihm ins Doppelbett. Sie waren am selben Abend im Ferienhaus angekommen, und sie freute sich auf den gemeinsamen Urlaub, der Startschuss eines ganz neuen Kapitels in ihrem Leben sein sollte. Ulf sah sie an und lächelte. Dann blätterte er um und las weiter.

      Sie schob eine Hand unter seine Decke, fand den Spalt zwischen zwei Knöpfen seiner Pyjamajacke und strich über seine glatte Brust.

      Ulf legte das Buch auf den Nachttisch, nahm die Brille ab und schaltete das Licht aus.

      „Ich bin einfach nur müde.“ Er küsste sie auf die Stirn. „Gute Nacht, meine Liebste.“ Er drehte sich auf die Seite und in der hellen Nacht konnte sie nur noch die Silhouette seines Rückens erahnen, die sich vor den weißen Gardinen abzeichnete.

      Am nächsten Morgen war die Luft frisch und duftete nach feuchtem Sand. Am Strand lagen große, klare Fischrogen, um die sich in der ablaufenden Flut v-förmige Trichter gebildet hatten. Ulf schlief noch, als sie das Haus verließ. In der Ferne bemerkte Solbjørg ein paar andere morgenfrische Wanderer, die langsam näherkamen, ansonsten war der Strand menschenleer.

      Sie atmete tief ein und ihre Füße und ihr ganzer Körper verspürten mit einem Mal die Lust zu tanzen. Ach, die ersten Lektionen am Barren. Es war eine einzige Freude gewesen, die in jeden Winkel ihres Körpers gedrungen war. Erste Position, zweite, dritte. Und dann: plié, changement, grande battements. Es war so lange her, aber jetzt gerade war es lebendig, spürte sie es mit jeder Faser, genau wie damals, als sie sechs Jahre alt gewesen war. Sie konnte nicht anders und nahm die vierte Position ein, ganz kurz nur und ohne den Arm en haute, was zu einem Balanceproblem führte und ihr unwillkürlich ein leises, kicherndes Lachen entlockte.

      Als sie wieder nach unten blickte, lag er da, einer der vom Wasser geschliffenen Feuersteine, die sie sammelte. Dieser hier trug eine Kalkablagerung in Form eines J in sich.

      Jetzt bemerkte sie, dass oben in den Dünen vor Havstuen jemand stand. Es schien Doktor Svart zu sein, ihr Arzt und Ferienhausnachbar. Sie erkannte seine hochgewachsene Statur und das dichte, kräftige Haar, das weder Kamm noch Brylcreem zähmen konnten. Solbjørg hob die Hand und winkte, aber er sah sie nicht, starrte nur über die graublaue Nordsee.

      „Schau mal, was ich gefunden habe“, sagte sie, als sie zurück im Ferienhaus war, wo Ulf in seinem blaugestreiften Pyjama saß und Zeitung las.

      „Mm“, brummte er und blickte kurz auf. „Wie schön. Wie viele hast du eigentlich inzwischen?“

      „Keine Ahnung. Die meisten haben Buchstaben, ein paar auch Zahlen. Davon gibt's nicht viele, glaube ich, oder vielleicht habe ich nur keinen Blick dafür.“

      „Hm. Ich habe Tee gemacht.“ Er deutete auf den orangefarbenen Teewärmer, den sie ins Haus geschmuggelt hatte. Die Teekanne hingegen stammte noch aus der Zeit von Ulfs Großeltern mütterlicherseits, und das gleiche galt für das weiße Porzellan mit dem hellblauen Blumenmotiv.

      „Danke, Ulf“, sagte sie, ging zu ihm und beugte sich vor, um ihn auf die Wange zu küssen.

      Er wandte den Kopf ab, nur ein paar Millimeter, aber sie hatte sein Manöver bemerkt. Sie schnitt ein paar Scheiben Baguette und nahm Käse und Milch aus dem kleinen Kühlschrank. Dann setzte sie sich an den Esstisch und tat so, als würde sie die Politiken lesen.

      Schließlich legte sie die Zeitung beiseite.

      „Ulf, was ist eigentlich los?“

      Er sah auf. Seine Gesichtszüge waren angespannt.

      „Nichts“, antwortete er. „Warum denkst du andauernd, es sei irgendetwas los?“

      „Du weist mich ab“, sagte sie leise.

      „Und wann soll ich das getan haben?“

      „Gestern Abend. Und gerade eben.“

      Er seufzte, faltete das Kristeligt Dagblad zusammen und legte die Zeitung auf den Tisch. „Du weißt, dass ich in letzter Zeit sehr viel gebetet habe. Und Gott hat zu mir gesprochen.“ Er schwieg.

      „Und?“, fragte sie.

      „Ich werde die nächsten zwei Jahre enthaltsam sein.“

      „Enthaltsam? Aber du trinkst doch sowieso so gut wie nie Alkohol.“

      „Es geht nicht um Alkohol, Solbjørg. Ich werde im Zölibat leben.“

      „Im Zölibat? Aber warum denn? Deine Gemeinde ist ja nicht mal katholisch. Das können sie doch nicht von dir verlangen.“

      „Es hat auch nichts mit der Gemeinde zu tun. Es geht um die Pläne, die Gott mit mir hat“, antwortete Ulf.

      „Und was ist mit unseren Plänen?“

      „Ich kann mich Gott nicht widersetzen“, entgegnete er.

      „Und wie sollen wir dann …?“ Sie konnte den Satz nicht beenden.

      „Das müssen wir auf später verschieben.“

      „Ich bin fast vierzig.“ Sie spürte, wie ihre Augen zu brennen begannen.

      „Nein, Solbjørg, fang jetzt bitte nicht wieder an zu heulen“, sagte er mit unverändert milder Stimme. Nur seine Worte waren schärfer geworden. „Gott kommt zuerst. Und das wusstest du auch ganz genau, als du mich geheiratet hast.“

      Nach dem Frühstück ging sie wieder an den Strand. Ulf wollte nicht mitkommen, er zog sich zum Gebet zurück. Ein paar Badende und Spaziergänger waren unterwegs. Unterhalb der Dünen legte sie das grüne Badetuch ab und zog das Strandkleid aus. Darunter trug sie ihren weißen Badeanzug. Ohne zu zögern lief sie zum Wasser, streifte die Sandalen ab und sprang in die Brandung. Das Wasser war kalt, aber sie biss die Zähne zusammen und stürzte sich in die Wellen.

      Geduld ist eine Tugend, dachte sie, während sie parallel zur Küste schwamm. Und Ulf war geduldig mit ihr gewesen. Das hatte ihre Schwiegermutter stets betont, und Solbjørgs Mutter hatte ihr beigepflichtet. Die meisten Frauen ihrer Generation, ob Balletttänzerin oder nicht, hatten Arbeit und Karriere aufgegeben und sich um ihr Zuhause und ihre Familie gekümmert, sobald sie verheiratet waren. Doch Ulf hatte sich großmütig gezeigt, als Solbjørg ihren Wunsch äußerte, nach der Trauung ihre Laufbahn als Solotänzerin fortsetzen zu wollen. In diesem Punkt war er außergewöhnlich. Vielleicht musste sie jetzt geduldig mit ihm sein.

      Vielleicht machte es auch gar keinen großen Unterschied.

      Ihr Liebesleben war nie besonders ereignisreich gewesen.

      Sie schwamm zum Ufer, watete an Land.

      Jetzt


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