Der Fall Deruga. Ricarda Huch

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Der Fall Deruga - Ricarda Huch


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       Ricarda Huch

      Der Fall Deruga

       Ein Gerichtskrimi

      e-artnow, 2021

       Kontakt: [email protected]

      EAN: 4064066309268

       I

       II

       III

       IV

       V

       VI

       VII

       VIII

       IX

       X

       XI

       XII

       XIII

       XIV

       XV

       XVI

       XVII

       XVIII

      I

       Inhaltsverzeichnis

      »Wer ist der Anwalt, der mit Justizrat Fein hereingekommen ist?« fragte eine Dame im Zuschauerraum ihren Mann, »und warum hat der Angeklagte zwei Anwälte? Fein ist allerdings wohl nur ein Schaustück.«

      »Wenn der Betreffende ein Anwalt wäre, liebes Kind, würde er einen Talar tragen«, antwortete der Gefragte vorwurfsvoll. »Aber wer es ist, kann ich dir auch nicht sagen.« Ein vor dem Ehepaar sitzender Herr drehte sich um und erklärte, der fragliche Herr sei der Angeklagte Dr. Deruga.

      »Ist das möglich?« rief die Dame lebhaft. »Wissen Sie das bestimmt?«

      Der alte Herr lachte vergnügt. »So bestimmt ich weiß, daß ich der Musikinstrumentenmacher Reichardt vom Katzentritt bin; der Herr Doktor wohnt nämlich bei mir.«

      Die Dame machte große Augen. »Läßt man denn einen Mörder frei herumlaufen?« fragte sie. »Ich dachte, er wäre im Gefängnis. Ist es Ihnen nicht unheimlich, einen solchen Menschen in Ihrer Wohnung zu haben?«

      »Ja, sehen Sie, gnädige Frau«, sagte der alte Mann, »der Herr Justizrat Fein hat ihn bei mir eingeführt, weil er mich schon lange kennt und seinen Klienten gut versorgt wissen wollte, und wenn der Herr Justizrat so viel Vertrauen in mich setzt, daß er seine Geigen und Flöten von mir reparieren und sein Töchterchen Unterricht im Zitherspielen bei mir nehmen läßt, so schickt es sich, daß ich auch wieder Vertrauen zu ihm habe. Und er hat mir seinen Klienten wärmstens empfohlen, der sich bis jetzt als ein lieber, gutartiger Mensch gezeigt hat, wenn auch etwas wunderlich.«

      »Du darfst nicht vergessen, liebes Kind«, sagte der Ehemann, »daß ein Angeklagter noch kein Verurteilter ist.«

      »Sehr richtig, sehr richtig«, sagte der Musikinstrumentenmacher und wollte eben allerlei merkwürdige Fälle von Justizirrtümern erzählen, als das Erscheinen der Geschworenen seine Aufmerksamkeit ablenkte.

      Sie finde es doch ungehörig, flüsterte die junge Dame ihrem Manne zu, daß ein des Mordes Verdächtigter sich so frei bewegen dürfe, noch dazu einer, der so aussehe, als ob er zu jedem Verbrechen fähig wäre. »Man soll sich hüten, nach dem Äußeren zu urteilen, liebes Kind«, sagte der Ehemann. »Aber abgesehen davon würde ich auch diesem Menschen nicht über den Weg trauen. Es ist merkwürdig, wie leichtgläubig und wie ungeschickt im Auslegen von Physiognomien das Volk ist.«

      Die meisten Zuschauer hatten denselben ungünstigen Eindruck von Dr. Deruga empfangen, der durch Nachlässigkeit in Kleidung und Haltung und mit seinen neugierig belustigten Blicken, die den Saal durchwanderten, der Majestät und Furchtbarkeit des Ortes zu spotten schien.

      »Ich dachte, er hätte schwarzes, krauses Haar und Feueraugen«, bemerkte die junge Frau lächelnd gegen ihren Mann.

      »Aber Kindchen«, entgegnete dieser, »wir haben doch auch nicht alle blaue Augen und blondes Haar.«

      »Er stammt aus Oberitalien«, mischte sich ein Herr ein, »wo der germanische Einschlag sich bemerkbar macht.« Ein anderer fügte hinzu, er vertrete doch einen durchaus italienischen Typus, nämlich den der verschlagenen, heimtückischen, rachsüchtigen Welschen, wie er seit dem frühen Mittelalter in der Vorstellung der Deutschen gelebt habe.

      Unterdessen war ein Gerichtsdiener an den Angeklagten herangetreten und hatte ihn aufgefordert, sich auf der Anklagebank niederzulassen, was er folgsam tat, um sein Gespräch mit dem Justizrat Fein von dort aus fortzusetzen.

      »Sehen Sie, da kommt der Jäger vor dem Herrn, Dr. Bernburger«, sagte der Justizrat, auf einen jungen Anwalt blickend, der eben den Zuschauerraum betrat. »Den hat die Baronin Truschkowitz auf Ihre Spuren geheftet, und eine gute Spürnase hat er, wie Sie sehen. Er ist Ihr gefährlichster Feind, der Staatsanwalt ist nur ein Popanz.«

      Deruga betrachtete Dr. Bernburger, der angelegentlichst in seine Papiere vertieft schien.

      »Ich glaube, er ist Ihnen ebenso gefährlich wie mir«, sagte er dann mit freundlichstem Spott, die große, bequeme Gestalt des Justizrats betrachtend. »Eigentlich gefiele mir der Bernburger ganz gut, wenn er nicht ein so gemeiner Charakter wäre.«

      Der Justizrat wendete sich um und sagte, den Arm auf das Geländer stützend, das die Anklagebank abschloß: »Bringen Sie mich jetzt nicht zum Lachen, Sie verzweifelter Italiener! Wir haben alle Ursache, uns ein Beispiel an seinen Geiermanieren zu nehmen.« – »Er hat wirklich etwas von einem Raubvogel«, sagte Deruga, »ein feiner Kopf, so möchte ich aussehen. Sehe ich ihm nicht ähnlich?«

      »Benehmen Sie sich ähnlich«, sagte der Justizrat, »und halten Sie Ihre Gedanken zusammen! Mensch, Ihre Sache ist nicht so sicher, wie Sie glauben. Der Bernburger hat zweifellos Material im Hinterhalt, mit dem er uns überrumpeln will; also passen Sie auf!«

      »Aber ja«, sagte Deruga ein wenig ungeduldig. »Ihren Kopf behalten Sie auf alle Fälle, und an meinem braucht Ihnen nicht mehr zu liegen als mir.«

      Jetzt flogen die Türen im Hintergrunde des Saales auf, und der Vorsitzende des Gerichts, Oberlandesgerichtsrat Dr. Zeunemann, trat ein, dem die beiden Beisitzer und der Staatsanwalt folgten. Der Luftzug hob den Talar des rasch Vorwärtsschreitenden, so daß seine stramme und stattliche Gestalt sichtbar wurde. Er grüßte mit einer Gebärde, die weder herablassend noch vertraulich war und eine angemessene


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