Jockele und seine Frau. Max Geißler
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Max Geißler
Jockele und seine Frau
Roman
Saga
Der Doktor Jakobus Sinsheimer — lieber Gott, wer kennt den Doktor Jakobus Sinsheimer nicht! Hat er nicht als „der Jockele“ wegen seines heftigen Betriebes mit den Mädchen die kleine Stadt Weimar in grosse Aufregung versetzt? Der Jockele, der als Zigeunerbüblein von der guten Tante Veronika auf der Schwelle des Hauses am Walde gefunden wurde! Der Jockele, der sich hernach so kraftvoll hineinliebte ins Leben! Der zuerst ein Maler werden wollte, und zu dem dann sein väterlicher Freund Ernst Haeckel in Jena sagte: „Ein rechter Kerl geht nicht unter — auch ohne Matura; deutsche Hochschulprofessoren sind keine Philister, und aus einem Zigeuner wird durch die kluge Sorge seiner alten Tante ein gelehrter Doktor.“
In Bonn, wo er mit Doris Rinkhaus Hochzeit feierte, sprach er ein Wort von grundlegender Bedeutung. Er sagte: „Mit Männern, in deren Leben die Frauen nicht eine ungeheure Rolle spielen, hat es ein Aber.“ Das schmetterte er so über die Hochzeitsgesellschaft hin. Und die Welt hielt davor den Atem an. Eine ältere Dame sagte sogar: „Ooh!“
Papa Rinkhaus, der Fabrikbesitzer, war ein gescheiter, eigenwilliger und reicher Mann. Es kam ihm gar nicht darauf an, den Schwiegersohn gleich an seinem Ehrentag ein bisschen in Reparatur zu nehmen. Seiner väterlichen Würde war sowieso eine harte Probe zugemutet worden, weil seine Tochter Doris ihre Herzensangelegenheit durchaus zu eigener Sache gemacht hatte. Nun konnte er gleich anfangen, das Versäumte nachzuholen; denn — wie gesagt — die Hochzeitsgäste hielten den Atem an. Der Jockele, der aus dem Thüringer Walde gezogen worden wie Moses aus dem Schilfe des Nil, schien ja mit recht netten Grundsätzen in die Ehe zu treten! Oh!
Aber Xaverius Rinkhaus zerplatzte nicht gleich, wie das die ältere Dame erwartet hatte. Nein, nein, er war auch ein vorsichtiger Mann und fragte: „Wie meinen Sie das?“ Es klang steil.
„Ganz anders, als Sie erwarten, meine Herrschaften,“ sagte Jockele mit Genugtuung. „Was mich betrifft, so werde ich mich in die Sonne meiner Frau stellen, wie sich die Erde stellt in das Licht des Frühlingshimmels.“
„Wie schön!“ seufzte die ältere Dame bekehrt. Aber „Na na!“ sagte Fräulein Hanna von Fellner, die ein halbes Jahr mit einem Oberleutnant verlobt gewesen war. Im Grunde war es ihr gar nicht unangenehm, dass man es bei diesem deutsamen „Na na“ nicht bewenden lassen wollte. Sie hatte gegen die Liebesfähigkeit junger Männer ihre Bedenken — zum mindesten gegen die Ausdauer dieser Liebesfähigkeit. Und weil der Hochzeiter Jockele so vergnügt um sie herschien, getraute sie sich, mit ihm eine Lanze zu brechen. Oho!
„Lieber Doktor, Sie sind ja nur in die Enge getrieben worden. Sie wollen Ihre junge Frau nicht ängstlich machen. Und Sie fürchten sich vor dem gewappneten Heer, das um Sie lagert! Wetten wir, dass Sie vor dem ehelichen Dasein alle Bangigkeit befallen hat, die die Männer nun einmal davor aufbringen?“
Es war ein roter neunzehnjähriger Mädchenmund, der das daherredete, wunderhübsch aufgeblüht und wissend — aber nicht zu sehr. Und gar nicht verkümmert in ungestillten Sehnsüchten.
Deshalb setzten namentlich die jungen Frauen der Tafelrunde gleich alle Lichter heraus. Teufel auch — wenn solche Weisheiten zwischen angewelkten Lippen hervorgesickert wären, so hätte man sich verstohlen mit den Füssen ein Zeichen gegeben und hätte gedacht: „Nun ja, die Konzession hat sie nicht bekommen — deshalb verschenkt sie nun den Wermut der Liebe.“ Aber auf Hanna von Fellner traf das nicht zu. Nein, es traf nicht zu — trotz der aufgetrennten Verlobung; denn erstens war sie Dos ausgezeichnete Freundin, und zweitens war sie dieser aufrechten und klaren Do leuchtendes Ebenbild. Wer die beiden nicht kannte, hielt sie für Schwestern.
Der Hochzeiter Jockele hatte, wie man weiss, gerade sein Werk „Der Kunsttrieb der Natur“ vollendet. Deshalb hatte er den Kopf noch bis oben voll von Wissenschaft über „die Entwicklung der Organismen aus eigener Kraft durch die physikalische und chemische Energie der lebendigen Substanz“. Er hätte also präziser antworten können, als er es tat. Aber er wollte der lustig aufgewiegelten Hanna nicht gleich Schach bieten, liess sich in ein Gefecht mit ihr ein und wettete um eine Mark: er hätte nicht halb so viel Angst vor dem ehelichen Dasein, als sie ihm andichte.
Schon wegen der Wette um die Mark bekam er die Lacher auf seine Seite. Für Hanna von Fellner dagegen wurde die Lage unbequem.
„Lassen Sie sich nicht aus dem Sattel werfen, Hannachen!“ reizte Herr Xaverius Rinkhaus.
Nun, der Jockele war ja seit drei Stunden verheiratet; und Hanna gehörte zu seiner Frau — sie gehörte also auch zu ihm. Deshalb durfte sie das schon wagen. „Also,“ trumpfte sie heraus, „meine Wette hab’ ich gewonnen: ein bisschen Angst haben Sie schon zugegeben! Sie sind aber auch ein viel zu junger und interessanter Mann, als dass es Ihnen nicht bange sein müsste vor der Hürde der Ehe. Wie lautet doch die Weisheit junger Leute Ihres Schlages? Sie schupfen verstellungsfroh die Schultern, lieber Doktor! So will ich Ihnen auf die Sprünge helfen. Sie alle fürchten sich vor dem geordneten Leben ...“
„Stempeln Sie mit diesem kühnen Satze nicht jeden unverheirateten Mann zu einem Zigeuner?“
Das sorglos gleitende Schiff Hannas war gegen eine Klippe gefahren. „Nun, so will ich sagen: Junge Männer, wenn sie glauben, dass sie richtig gehen, lieben die fröhliche Wildnis, und sie meinen, in der Ehe verkümmern ihnen unentbehrliche Blüten des Lebens.“
Es war keine Erörterung für eine Hochzeitstafel; auch dann nicht, wenn man schon bei den Knackmandeln war. Und doch geriet weder die vortreffliche Stimmung noch einer der Gäste dabei in Gefahr. Nicht einmal Hanna selbst. Aber sie war klug und wollte für diesmal nicht recht behalten. Sie warf dem Jockele also noch rasch einige Perlen aus der Kette ihrer Gedanken zu und rief: „Geben Sie acht, Doktor, dass Ihnen keine davon fortkommt! Auf der Insel der Auferstehung oder im Riesengebirge oder im Gartenhaus am Horn in Weimar wollen wir sie wieder schön auf den Faden reihen.“
Die Insel der Auferstehung ist ein Eiland im Hardanger Fjord. Der Name war von einem Kreise junger Menschen erfunden, die in jener Zeit daselbst hausten. Eine Vereinigung von Künstlern, Träumern und lebensfrohen Kämpfern, die sich „Sturmschwalben“ nannten.
Hanna von Fellner hatte nach ihrem rückgängig gewordenen Verlöbnis zwei Wochen auf dieser seligen Insel gelebt. Sie war von einer Freundin dorthin gerufen worden, die die Düsseldorfer Akademie besuchte und einen Sommer lang am Strande Norwegens malte. „Ich gehörte zu den Träumern unter den Sturmschwalben,“ sagte Hanna.
„Nun ja, damals!“ lachte Jockele.
Und sie berichtete, wie herrlich, gross und einsam die Welt dort wäre. Die Insel der Auferstehung sollte das erste Reiseziel des Doktors und seiner jungen Frau sein. Hannas beredter Mund hatte viel zu reizvoll von dem Fjord und den Sturmschwalben geplaudert. Dort im nordischen Sunde auf dem Sonneneiland flog Jugend aus vielen Ländern zusammen. Es gab keine gedruckten Vereinsgesetze, keinen Vorstand und keinen Kassierer, keinen Monatsbeitrag und keinerlei andere Verpflichtungen. Die Feste, der Ernst und der Frohmut, das Weilen und das Wandern waren dort Eingebungen des Augenblicks.
Im Hochzeitstag am Rheine tauchte das Bild der Insel der Auferstehung empor und ging unter in Tanz und Glück. Vor Mitternacht — aber lange nicht als die letzten — verschwanden auch Jockele und Do. Danach blieben sie einige Zeit verschollen. Das erste Lebenszeichen sandten sie aus dem Blockhaus am Fjordstrand, in dem sie ihre Koffer, ihre Daseinslust und ihre Neugier einstweilen verstaut hatten. Von Hanna wussten sie: ein Gasthaus gab es auf der kleinen Insel nicht. Auch nach ihrem Namen forschten sie bei den Fischern vergeblich. Selbst auf dem Dampfboote, das sie durch den Fjord trug, hatte kein Mensch eine Ahnung von dem Eilande der Auferstehung. Nur das Gehöft Krokengaard kannte man. Das lag drüben am Fjordufer über der Sägemühle. Das hatte ihnen Hanna als Ziel ihrer Fahrt genannt. Es schäumte nahe dabei in jähem Sturz ein Bergfluss über Schründe und Zacken und zerschlug sich zu einem Schleier von Staub.
Am anderen Morgen ergingen sich Do und Jockele am Strande vor dem Plätschern der schimmernden Wasser. Da glitt ein Boot mit einem braunen Segel herüber, und Nane Thord stieg heraus. Sie trug ein schwarzes Wollgewand und eine weisse Haube.
Auf