Der Schützling. Dirk Koch

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Der Schützling - Dirk Koch


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ja gefährlich für Kohl und Konsorten geworden. Seine Aufgabe in der Bonner Stabsstelle an der Hausdorffstraße sei es gewesen, so Wolf, für Flick bei Parteien und Regierung Informationen zu sammeln und politisch im Sinne des Konzerns Einfluss zu nehmen. »Ähnliches erwarteten auch wir von ihm. […] Dem Vertreter des Flick-Konzerns vertrauten Politiker Geheimnisse an, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.«

      Kanter durfte darauf setzen, dass ihn sein Wissen schützen würde. Kurz vor Eröffnung der Hauptverhandlung vor dem Koblenzer Oberlandesgericht legte von Brauchitsch im Preis des Schweigens dar, »besaß Kanter die Stirn, mich in Zürich anzurufen. Ich war perplex und drängte darauf, das Gespräch sofort abzubrechen. Er wolle mir doch nur sagen, daß ich mir keine Sorgen zu machen brauchte. ›Ich habe zwei Eisen im Feuer. Ich werde auspacken, und dann müssen die sehen, wie sie damit fertigwerden.‹«

      Kanters Drohung zeigte Wirkung, er konnte seine Eisen im Feuer belassen. Richter Vonnahme hütete sich, in seiner Urteilsbegründung das Treiben Kanters bis in die Einzelheiten zu schildern. Ein Geheimprozess, so Richter Vonnahme, sei es »aber nicht so ganz gewesen«. Presse und Publikum hätten allerdings des Öfteren ausgeschlossen werden müssen, »wenn es um VS-Sachen ging«, um vertrauliche Verschlusssachen. Also fast immer. Denn während des ganzen Verfahrens ging es ja um Geheimdienstliches, also Verschlusssachen. Man hatte es darauf angelegt, dass bei den Journalisten, die häufig bei geschlossener Gerichtssitzung draußen warten mussten, nach einer Weile das Interesse erlahmen würde. Die Rechnung ging auf. Als das Urteil verlesen wurde, war keine Presse im Raum.

      Wie nutzte Ostberlin seinen von Kanter gelieferten Wissensschatz? »Lange bevor die illegale Spendenpraxis des Flick-Konzerns der Öffentlichkeit bekannt wurde, waren wir bis in die Details informiert«, schreibt Wolf. »Was ›Fichtel‹ uns an Informationen über die Verbindung von Kapital und Politik lieferte, illustrierte die marxistische Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus recht deutlich. Schon um unsere Quelle zu schützen, widerstanden wir der Versuchung, das Material westdeutschen Medien zuzuspielen. Zur Aufdeckung des Parteispendenskandals im Jahr 1981 hat mein Dienst nicht beigetragen. Allerdings wurde auch damals nur die Spitze eines Eisbergs bekannt.«

      Nur die Spitze des Eisbergs. Stimmt. Der Chef der Auslandsspionage der DDR wusste sehr viel mehr über diesen Bundeskanzler und seine beileibe nicht makellose Vergangenheit, als je in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Hatte Wolf den Pfälzer Kohl doch schon seit dessen Zeiten in der Jungen Union aus dem Dunkel heraus begleitet, gesteuert, finanziell fördern lassen. Über Kanter alias »Fichtel«. Was nicht sehr schwierig war. Kohl hatte früh kapiert: Für Aufstieg in der Politik und Erfolge auf dem Weg nach oben braucht es Geld. Um sich davon viel zu verschaffen, ließ er sich mit den Zwielichtigen Kanter und von Brauchitsch ein, und als Viertem im Bunde, wenn auch unwissentlich, mit Markus Wolf. Der saß bestens informiert unsichtbar mit am Tisch, wenn Kanter und von Brauchitsch ihre Pläne ausheckten, wie sich über vorgeblich gemeinnützige Einrichtungen wie die »Europäische Vereinigung für gegenseitigen Meinungsaustausch« Spenden beschaffen und waschen ließen.

      Wolf lügt nicht, wenn er schreibt, die DDR hätte beim Aufdecken des Flick-Skandals nicht mitgefingert. Von Brauchitsch sah sich ja gerne als Opfer Ostberliner Durchstecherei. Er irrte. Der Autor weiß, wie die Parteispendenaffäre ins Rollen kam, er hat sie ja als Spiegel-Mann in Bonn mit seinen Kollegen angeschoben. Die allerersten Unterlagen sind ihm in der Tiefgarage unter der Kölner Domplatte in sein Auto hineingereicht worden. Von einem Unbekannten. Dass die DDR uns das Material hat unterjubeln wollen, war der erste Verdacht, als wir in unserer Redaktion die Papiere prüften. Waren sie gefälscht? Recherchen ergaben, das Material war echt, seinem Inhalt und seiner Beschaffenheit nach konnte es nur entweder von der Steuerfahndung oder der Staatsanwaltschaft oder teils, teils von beiden stammen. Beide Institutionen hatten dasselbe Motiv, sich hilfesuchend an die Öffentlichkeit zu wenden: Sie wurden massiv von den Regierungen und Parteizentralen in Bonn und Düsseldorf, wo die Nutznießer der Flick-Gelder saßen, in ihrer Arbeit behindert. Dass wir auf den Komplex Flick stießen, hat sich erst Zug um Zug bei den recht mühsamen weiteren Recherchen ergeben.

      Dass Wolf seine Quelle »Fichtel« nicht gefährden wollte, mag so gewesen sein. Doch es gab noch einen gewichtigeren Grund für die Zurückhaltung der Stasi. Aus dem Herrschaftswissen ließ sich anders Kapital schlagen, viel lohnender für die DDR. Werner Großmann, der Nachfolger Wolfs an der Spitze der HVA, deutete nach der Wende an, wie und was da lief: »Aus politischer Rücksichtnahme« habe man auf die Weitergabe von Informationen über Flicks Politikerkauf an die westdeutsche Presse verzichtet. »Politische Rücksichtnahme«? Was sollte die Roten in Ostberlin zu »politischer Rücksichtnahme« auf die schwarze Kohl-Regierung getrieben haben? Der Grund ist einfach: Weil man Geld aus Bonn brauchte, in rauen Mengen. Der erste Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden stand kurz vor der Pleite.

      Helmut Schmidt und Erich Honecker hatten Ende der 1970er-Jahre hinter dem Rücken ihrer jeweiligen Vormacht – USA und Sowjetunion – eine Politik der Annäherung betrieben, bei der es erst einmal um wirtschaftliche Hilfen aus dem Westen gegen Ostberliner Erleichterungen im deutsch-deutschen Reiseverkehr ging. Seit Helmut Schmidts Zeiten und später, nach dem Regierungswechsel zu Kohl, tauschten sich die beiden deutschen Regierungen streng vertraulich über Möglichkeiten einer großzügigen Finanzhilfe und einer weiteren deutsch-deutschen Annäherung bis hin zu einer Konföderation der beiden Staaten aus. Nicht außerhalb jeder Realität: Die Mauer hätte schon in den frühen 1980er-Jahren fallen können. Die Chance zerrann, auch wegen Kanter.

      Geheimprojekt »Zürcher Modell«. Jürgen Nitz, als DDR-Wirtschaftswissenschaftler in Ost-West-Kontakten eingesetzt, auch bei Gesprächen mit Vertretern des Bundeskanzleramts, umriss 1995 in einem Vortrag in Pankow, was unter diesem Code lief: »Der Büroleiter von CDU-Kanzleramtsminister Jenninger, Dr. Gundelach, schilderte retrospektiv das Vorhaben [vor einem Bundestagsuntersuchungsausschuss, D. K.] richtig: eine Art deutsch-deutscher Bank mit Sitz in der Schweiz; bei der sich die DDR so in einer Größenordnung von drei bis vier Milliarden DM hätte bedienen können, also im Sinne von Kreditgewährung; wenn es dafür im Gegenzug wirklich substantielle Verbesserungen im Bereich menschlicher Erleichterungen gegeben hätte; zum Beispiel das Rentnerreisealter um fünf Jahre zu senken und im Mindestaustausch für bundesdeutsche Besucher bei DDR-Reisen etwas zu tun. In die Bank sollte die milliardenschwere Kreditanstalt für Wiederaufbau eintreten, eine Finanzinstitution im Eigentum des Bundes, potent, um Milliarden für die DDR zu beschaffen.« Gundelach habe ferner erklärt: »Soweit ich weiß, hat Herr Jenninger auch den Bundeskanzler in der Regel mündlich informiert, vielleicht mal mit einem handgeschriebenen Blatt mit den entscheidenden Punkten.«

      Über ein vertrauliches Treffen in der Schweiz mit einem Abgesandten des Bundeskanzleramtes trug Nitz in Pankow weiter vor: »Wie sah Jenninger damals die Chancen? Ich zitiere aus meinem Stenogramm beim Gespräch in Zürich: ›Wenn die DDR zum freien Reiseverkehr übergehen will und dies anbietet, könnte sich der Kanzler dem nicht verschließen. Er müßte die Frage einer Grundgesetzänderung durch den Bundestag neu beantworten lassen. Der Kanzler würde sich nicht der Realisierung einer Position, der zufolge sich die Deutschen nach so langer Trennung an jedem beliebigen Ort wieder zusammenfinden könnten, entgegenstellen.« In jenem engen Beziehungsgeflecht Bonn/Ostberlin außerhalb von Protokoll und Propaganda hatte sich auch die Idee eines Staatenbundes der beiden Deutschlands nach voller völkerrechtlicher Anerkennung der DDR ergeben, einer deutschdeutschen Konföderation. Codename: »Länderspiel«. Der Preis, Fall der Mauer und Freizügigkeit, schien Honecker nicht unter allen Umständen zu hoch. Doch es war ein zähes Gezerre, auch in den jeweils eigenen Lagern zwischen Betonschädeln und Reformern. Die CDU/CSU tat sich schwer mit der finanziellen Rettung der DDR, die DDR tat sich schwer mit den geforderten menschlichen Erleichterungen, die Breschen in ihre Grenze zur BRD reißen würden.

      Beim Bonner Regierungswechsel hatte Kanzler Kohl vom Vorgänger Schmidt das deutsch-deutsche Geheimprojekt übernommen, ohne sich groß um das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes zu scheren. Einer seiner Beauftragten für den vertraulichen Draht zum DDR-Regime wurde Philipp Jenninger als Staatsminister im Kanzleramt. Der war aus alten Oppositionszeiten gut Freund mit diesem spendablen Flick-Manager Kanter, dem er sich auch weiterhin eng verbunden fühlte, als der bei Flick ausschied und sich in Bonn als Politikberater und Publizist selbstständig machte. Jenninger und Kanter trafen sich wiederholt


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