Sophienlust Box 17 – Familienroman. Patricia Vandenberg
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Inhalt
»Sie kommen, sie kommen!«, schrie Henrik von Schoenecker aus Leibeskräften. Er war auf einen Baum geklettert, um den Rolls-Royce auch ganz bestimmt als Erster zu erblicken. Denn für ihn und alle Kinder von Sophienlust war es hochinteressant, dass ein fünfjähriger Junge in einem Rolls-Royce ankommen sollte.
Henrik wusste das von seinem Vater. Alexander von Schoenecker hatte dieselbe Schule besucht wie der Vater von Bastian Schlüter. Bei einem Abituriententreffen waren die beiden einander vor Kurzem wiederbegegnet, nachdem sie sich zuvor vollkommen aus den Augen verloren hatten. Kurt Schlüter hatte Alexander von Schoenecker bei dem Wiedersehen erzählt, dass er für drei Monate auf Reisen gehen wollte. Was hatte da nähergelegen, als dass Alexander von Schoenecker sofort von Sohienlust berichtet und dem Schulkameraden von ehedem die Aufnahme seines Jungen angeboten hatte?
Während der große Wagen sich langsam dem Herrenhaus von Sohienlust näherte, versammelten sich die Kinder in der Nähe des Eingangs, um nur ja die Ankunft Bastian Schlüters nicht zu versäumen.
»Seinen Hund bringt er auch mit. Eine Dogge«, äußerte Dominik von Wellentin-Schoenecker. »Vati hat erzählt, dass es ein besonders wohlerzogener Hund ist.«
Der Lärm, den die Kinder gemacht hatten, war im Hause nicht unbemerkt geblieben. Denise und Alexander von Schoenecker, die beide von Schoeneich nach Sophienlust gekommen waren, um Alexanders Schulfreund mit seinem Sohn willkommen zu heißen, traten in dem Augenblick vors Haus, als der Rolls-Royce gerade vor der Freitreppe hielt. Es war ein imponierender Anblick.
Jetzt sprang ein livrierter Chauffeur aus dem Wagen und riss den Schlag auf. Ein ziemlich korpulenter Mann, den man gut und gern zehn Jahre älter als Alexander von Schoenecker geschätzt hätte, obwohl er doch gleichaltrig sein musste, stieg schwerfällig aus. Er würdigte die Gruppe von Kindern keines Blickes, sodass diese, die sonst die Gäste herzlich begrüßten, es nicht wagten zu lächeln oder gar zu winken.
Nun stieg Bastian Schlüter aus. Er war ein blasser kleiner Kerl mit kurz geschorenen Haaren. Ihm folgte die Dogge Wiking.
Es war vor allem das Verhalten des Tieres, das den Kindern von Sophienlust den Atem verschlug. Der Hund sprang nicht etwa aus dem Auto, sondern stieg langsam aus – jeder Zoll Würde und gutes Benehmen. Dann stolzierte er gemessenen Schrittes einen halben Meter hinter Bastian Schlüter her. Vater, Sohn und Hund wirkten alle drei zusammen wie aufgezogene Puppen.
»Willkommen, Kurt«, sagte Alexander von Schoenecker indessen laut und herzlich. »Denise, das ist also mein ehemaliger Schulkamerad Kurt Schlüter.«
Denise reichte dem dicklichen Herrn mit dem hochmütigen, blasierten Gesicht die Hand. Er gefiel ihr nicht. Aber darauf kam es jetzt nicht an. Es ging schließlich nicht um den Vater, sondern um den Sohn.
»Halte dich gerade, Bastian!«, zischte Kurt Schlüter seinem Sohn zu. »Sag anständig guten Tag.«
Der kleine Kerl reckte sich auf und verbeugte sich wie eine Marionette vor Denise und Alexander.
»Ich habe nicht viel Zeit, gnädige Frau«, verkündete Kurt Schlüter mit wichtiger Miene. »Vielleicht können wir die nötigen geschäftlichen Dinge sofort regeln. Mein Sohn darf wohl inzwischen bei den Kindern warten.«
Die drei Erwachsenen wandten sich dem Haus zu, während Henrik sich ein Herz fasste und auf den Jungen zuging. »Bist du Bastian?«, fragte er.
»Ja, ich bin Bastian Schlüter, der Sohn des Generaldirektors Schlüter.« Dabei warf der Junge seinem Vater einen ängstlichen Blick zu, als wollte er fragen, ob es so auch recht sei.
Die großen Kinder fingen an zu kichern. Deutlich konnte man dann Pünktchens Stimme vernehmen. »Der hat wohl eine mittelgroße Meise. Das interessiert uns doch überhaupt nicht.«
Vicky war so entrüstet, dass sie den erschrockenen Jungen grob anfuhr: »Was dein Vater ist, hat auf Sophienlust gar keine Bedeutung. Es ist uns schnuppe und wurscht. Das kannst du dir gleich hinter die Ohren schreiben. Wir sind hier alle dasselbe – Kinder von Sophienlust. Wem das nicht genug ist, der braucht gar nicht erst zu kommen. Überlege dir lieber noch, ob du mit eurem piekfeinen Chauffeur nicht lieber wieder zurückfahren willst. Deinen affigen Köter kannst du auch gleich mitnehmen. Der hat wohl einen Quirl verschluckt? Oder ist er etwa krank?«
Bevor der arme Bastian etwas erwidern konnte, war Denise schon umgekehrt und hatte ihren Arm um den kleinen Buben gelegt. Davon, dass der Generaldirektor rot anlief vor Ärger, nahm sie keine Notiz, aber Bastians Reaktion bereitete ihr Sorgen. Der Junge war ganz blass geworden.
»Vicky«, sagte Denise mahnend und sah das kleine Mädchen dabei vorwurfsvoll an, sodass Vicky beschämt die Augen senkte. Das Temperament war mit ihr durchgegangen. Zu spät fiel ihr ein, dass man Gästen gegenüber höflich sein musste, auch wenn einem nicht alles richtig erschien, was sie taten.
»Bastian wollte uns nur sagen, wie er heißt und was sein Vater ist. Jetzt wissen wir es, Vicky«, meinte Denise und strich dem Buben über das kurze Haar. »Er bildet sich bestimmt nichts darauf ein. So dumm ist Bastian nicht.«
Ein dankbarer Blick aus den treuherzigen braunen Jungenaugen traf Denise. Rasch ermutigte sie das Kind. »Du wirst dich schon mit ihnen vertragen, Bastian. Ich kümmere mich später noch um dich. Jetzt muss ich erst mit deinem Vater sprechen, weil er nicht viel Zeit hat.«
»Ja, gnädige Frau. Vati hat nie viel Zeit«, antwortete Bastian.
»Du brauchst nicht gnädige Frau zu mir sagen«, entgegnete Denise lächelnd. »Alle Kinder in Sophienlust nennen mich Tante Isi. Also bis später, Bastian.«
»Was für ein freches, vorlautes kleines Mädchen«, äußerte der Generaldirektor abfällig, bevor er mit den anderen Erwachsenen das Herrenhaus betrat.
Henrik streckte Bastian die Hand hin. »Willkommen in Sophienlust. Es wird dir bestimmt bei uns gefallen. Wir haben viele Tiere hier, und dein Hund wird sich sicher auch bald bei uns zu Hause fühlen. Wie heißt er denn?«
Henrik gab sich alle Mühe, den ungünstigen Eindruck, den Vickys spontane Äußerung hervorgerufen hatte, zu verwischen. Ihm imponierte der Rolls-Royce, wenn er auch das Verhalten der Schlüters und ihres Hundes reichlich verwunderlich fand.
»Wie heißt du, bitte?«, fragte Bastian höflich. »Der Hund heißt Wiking. Er ist ein gut erzogenes Tier und darf immer mit am Tisch essen.«
»Stimmt das?«, fragte Nick mit krauser Stirn. »Das gibt es doch gar nicht. Und wenn, dann ist es ziemlich unappetitlich.«
»Es ist gar nicht unappetitlich. Wiking wartet, bis seine Wurst in kleine Stückchen geschnitten ist. Dann nimmt er sie ganz manierlich vom Teller«, verkündete Bastian, dessen erschüttertes Selbstbewusstsein allmählich wiederkehrte.
»Na, wir werden es ja erleben«, entgegnete Angelika zweifelnd. »Außerdem bleibt die Frage, ob Tante Ma das duldet.«
Sofort füllten sich Bastians Augen mit Tränen. »Wenn mein Wiking nicht bei mir sein