Tempowahn. Winfried Wolf

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Tempowahn - Winfried Wolf


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      Winfried Wolf

      Tempowahn

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      © 2021 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien

      Cover: Gisela Scheubmayr/subgrafik, Foto: © shutterstock

      ISBN: 978-3-85371-885-8

      (ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-85371-474-4)

      Der Promedia Verlag im Internet: www.mediashop.at www.verlag-promedia.de

      Inhaltsverzeichnis

       Vorwort

       Kapitel 1: Der Mensch. Die Zeit. Die Uhr

       Kapitel 2: Die Industrialisierung als Zeitmaschine

       Kapitel 3: Kanäle und Eisenbahnen als Transportrevolutionen der Industrialisierung

       Kapitel 4: Die Transportrevolution der Eisenbahnen

       Kapitel 5: Der kleine Mann macht Tempo

       Kapitel 6: Fordismus und Faschismus

       Kapitel 7: Autostrade, Autobahnen, Interstates

       Kapitel 8: PS-Wahn – SUV-Boom – Macho-Tempo

       Kapitel 9: Die Produzenten des Autowahns

       Kapitel 10: Der Flugverkehr – das bislang letzte Kapitel in der Tempowahn-Geschichte

       Kapitel 11: Der Preis des Fetischs Geschwindigkeit. Oder: Das Nullsummenspiel beim Zeitgewinn

       Kapitel 12: Entschleunigung – der Griff zur Notbremse

       Literaturverzeichnis

      Über den Autor

      Winfried Wolf, geboren 1949 in Horb am Neckar, studierte Politikwissenschaften in Freiburg und Berlin und promovierte in Hannover. Von 1994 bis 2002 war er Mitglied des deutschen Bundestags. Er ist Chefredakteur von „Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie“ und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac. Im Promedia Verlag sind von ihm u.a. erschienen: „Verkehr. Umwelt. Klima. Die Globalisierung des Tempowahns“ (2. Auflage 2009) und „Mit dem Elektroauto in die Sackgasse“ (aktualisierte Neuauflage 2020).

      Vorwort

      Als ich das vorliegende Buch plante, war dieses thematisch eher eng angelegt. Im Zentrum sollte der aktuelle Tempowahn stehen, also das, was sich nun vor allem in den Kapiteln 8 und 9 findet. Es waren dann vor allem meine Recherchen hinsichtlich dessen, was ich zu dem Thema bereits einmal teils geschrieben und teils auch selbst erlebt hatte, was zu dem jetzt umgesetzten weit breiteren Themenspektrum führte. In dem 1986, 1987 und 1992 erschienenen Buch „Eisenbahn und Autowahn“ finden sich bereits Abschnitte, die Ivan Illichs Theorie der „gesellschaftlichen Durchschnittsgeschwindigkeit“ aufgreifen. Wobei es dort im Kapitel „Geschwindigkeitsmythos“ noch um Autos geht, „deren Spitzengeschwindigkeiten bis vor zwei Jahrzehnten dem Rennsport vorbehalten waren“. Damit waren jedoch Tempi von „bis zu 200 km/h“ gemeint. Derzeit haben alle drei großen deutschen Autohersteller Modelle mit Spitzengeschwindigkeiten von 300 plus im Angebot. Auch gibt es Autovermieter, die sich auf Pkw mit solchen Spitzengeschwindigkeiten spezialisiert und dabei vor allem junge Männer als potenzielle Kunden (und nicht selten als Mörder respektive als Selbstmörder) im Fokus haben. Das Buch „Verkehr. Umwelt. Klima“, das 2007 und 2009 bei Promedia erschien, hatte bereits den richtungsweisenden Untertitel „Die Globalisierung des Tempowahns“. Und als – erneut bei Promedia – 2020 die dritte Auflage von „Mit dem Elektroauto in die Sackgasse“ erschien, da durfte ich bereits über Elektroautos mit solchen Top-Geschwindigkeiten und „mit 510 PS im Heckmotor, weiteren 263 PS im Frontmotor und einem Leergewicht von 2486 Kilogramm“ berichten. Es geht um das Model X von Tesla, von der EU als „Zero-Emission-Vehicle“ eingestuft.

      Insofern kann ich beim Thema Tempowahn aus dem Vollen schöpfen. Das gilt auch für die Notwendigkeit der Entschleunigung. In meiner Jugend verfügte ich über ein Kartenspiel mit dem Titel „Rennen und Rekorde“. Abgebildet war unter anderem der Dampfer „Britannia“, der 1840 die Transatlantik-Querung in der Rekordgeschwindigkeit von zwei Wochen bewältigt hatte. Mit an Bord war immer eine Kuh, damit die Passagiere täglich ihre frische Milch trinken konnten. Man mag füglich bezweifeln, dass dabei das Tierwohl in ausreichendem Umfang beachtet wurde; doch für die Passagiere handelte es sich zweifellos um ein entschleunigtes Reisen. Die leistungsstärksten Schiffe in diesem Quartett waren 18 Knoten oder 33 Stundenkilometer schnell. Es ging um das „Blaue Band“; man sprach damals tatsächlich von Transatlantik-Rennen. Anfang der 1990er-Jahre befuhr ich dann – selbst am Ruder stehend – den Llangollan-Canal in Wales, und las abends auf dem narrow boat die Beschreibung darüber, wie der in dieser Region Anfang des 19. Jahrhunderts erstellte exzellente Käse auf tagelangen Kanalschifffahrtstransporten – am Ende auf dem Shropshire Union Canal – reifte, um schließlich auf dem Wochenmarkt der Stadt Chester verkauft zu werden. In meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter entwickelte ich meine Begeisterung für die Nachtzüge. Ich konnte irgendwo in Baden-Württemberg abends eine Veranstaltung abhalten, danach noch ein oder zwei Viertel Gutedel trinken; Hauptsache ich war bis 23.26 Uhr in Karlsruhe oder bis 0.05 Uhr in Mannheim: Der Talgo-Nachtzug brachte mich dann bis Punkt 8 Uhr früh nach Berlin; das Frühstück im Zugrestaurant war wirklich ausgezeichnet.

      Doch lesen Sie selbst – die Geschichte von Mensch und Geschwindigkeit, Industrialisierung als Zeitdiktat, Ford und Faschismus, Globalisierung und Corona und den „Griff des in einem (rasenden) Zug reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse“, wie Walter Benjamin die notwendige Revolution charakterisierte.

      Für Lektorat und intensiven Austausch bedanke ich mich bei Andreas Jacobson.

      Winfried Wolf, Michendorf, im März 2021

      Kapitel 1: Der Mensch. Die Zeit. Die Uhr

      Zu Beginn des anschließenden Winters jedoch kam ein Weib, das in der Stunde der schlimmsten Hitze Wäsche im Fluss wusch, höchst aufgeregt und laut zeternd durch die Hauptstraße gerannt. »Da kommt was Unheimliches«, stieß sie mühsam hervor, »so was wie eine Küche, die ein Dorf hinterdrein schleppt.«

      In diesem Augenblick erzitterte das Dorf von weithin hallenden Pfiffen und ungeahntem Zischen. […] Als sie sich von dem betäubenden Pfeifen und Keuchen erholt hatten, liefen alle Einwohner auf die Gassen hinaus und sahen gebannt den blumengeschmückten Zug, der zum ersten Mal mit acht Monaten Verspätung eintraf. Der unschuldige gelbe Zug, der so viele […] Verhängnisse und Sehnsüchte nach Macondo bringen sollte.

      »Weißt du, dass einst Zigeuner zusammen mit Melquíades hierher kamen, um euch das Eis zu zeigen?« – »Natürlich! Das erzählt García Márquez


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