Das Wagnis, ein Einzelner zu sein. Michael Heymel

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Das Wagnis, ein Einzelner zu sein - Michael Heymel


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darum lässt sie sich durch den Schrei des Beters nicht verändern, als sei nun alles vorbei, durch seine Feigheit, wenn er es unbequem findet, sich selbst helfen zu können, durch seine falsche Zerknirschung, die ihm doch bald leidtut, wenn die augenblickliche Angst vor der Gefahr vorüber ist.

      Wurde der Beter verändert? Ja, das ist nicht schwer einzusehen; denn er ist der rechte Beter geworden, und der rechte Beter siegt immer, da dies ein und dasselbe ist. Auf unvollkommene Weise war er schon davon überzeugt, denn während er genug |48| Innerlichkeit hatte, um zu beten, war er zugleich überzeugt, daß der Wunsch erfüllt würde, wenn er recht bäte; recht bäte im Verhältnis zum Wunsche, so verstand er es. Nun ist er verändert, aber es ist noch wahr, ja, nun ist es wahr geworden, daß wenn er richtig betet, er dann siegt. Und schon zu Beginn war ihm, daß er bat, zum Gewinn, wie unvollkommen sein Gebet auch war; es half ihm nämlich, seine Seele auf einen Wunsch hin zu sammeln. Leider wünscht ein Mensch im allgemeinen zu viele Dinge, lässt die Seele in jedem Windzug flattern. Aber der, der betet, weiß doch Unterschiede zu machen; er gibt nach und nach auf, was nach seinem irdischen Begriff das unbedeutendere ist, da er damit nicht recht zu Gott kommen darf; und da er nicht wagt, Gottes Güte zu verspielen, indem er immer um dies und jenes bettelt, sondern dagegen dem Begehren ob seines einzigen Wunsches desto mehr Nachdruckt verleiht. Da sammelt er seine Seele Gott gegenüber auf einen Punkt seines Wunsches, und schon darin liegt für ihn eine Veredlung, die Vorbereitung zur Aufgabe aller Dinge, denn allein der kann alles aufgeben, der nur einen einzigen Wunsch hatte. So ist er vorbereitet, im Streit mit Gott gestärkt zu werden und zu siegen, denn der rechte Beter streitet im Gebet und siegt dadurch, daß Gott siegt.63

      Pseudonyme Schriften und Erbauliche Reden von 1844

      Der hier dokumentierte Text zum Streit des Beters mit Gott ist ein Ausschnitt aus einer der vier erbaulichen Reden Kierkegaards64, die am 31.8.1844 im Kopenhagener Buchhandel erschienen. Die vierte Rede, die in der deutschen Übersetzung 25 Seiten umfasst, trägt den Titel »Der rechte Beter streitet im Gebet und siegt – damit, daß Gott siegt«.

      In diesen vier Reden übt Kierkegaard mit seinem Leser die Destruktion des menschlichen Eigensinns ein. Er nennt diese Destruktion »die Vernichtigung des Menschen« und fügt hinzu: das sei »das Höchste, was ein Mensch zu fassen vermag«.65 In der ersten und zweiten Rede wird in der Auslegung von 2 Kor 12 gezeigt, wie des Apostels Wunschdenken zerstört wird, damit die Gnade in der Schwachheit allein regiere. In der dritten Rede wird der Feigheit eine Absage erteilt, die sich mit allzu menschlicher Rücksicht nicht zu dem Guten bekennt, das um Gottes willen an der Zeit ist. In der vierten Rede wird das Gebet thematisiert, das sich auf einen Streit mit Gott einlässt und zu einem Sieg des Beters führt, indem Gott über den Menschen siegt.

      |49| Emanuel Hirsch macht in seiner Einleitung66 zu den vier erbaulichen Reden von 1844 darauf aufmerksam, dass insbesondere die Rede vom Pfahl im Fleisch und die über das Gebet fast wie »Aufzeichnungen aus einem geheimen Tagebuch gelesen werden« dürfen. Hier wie überhaupt in den erbaulichen Reden von 1843–45 trete Kierkegaard dem Leser nicht wie in den pseudonymen Schriften von 1844, in den »Philosophische Brocken« und dem »Begriff Angst« als der »Verhüllte und Unkenntliche« entgegen. Vielmehr lasse er den Leser »an den Meditationen und Selbstgesprächen vor Gott« teilnehmen, in denen er sich selbst zu persönlicher ethischer und religiöser Klarheit durchringe. Die Erlebnisse und Einsichten, die in »Der Begriff Angst« zergliedert und von Vigilius Haufniensis, dem »Wächter Kopenhagens«, fast spielerisch entfaltet seien, würden in den Erbaulichen Reden von 1844 »in das Ganze einer ethisch und religiös tiefen Menschlichkeit eingeordnet«. Deshalb können auch »Der Begriff Angst« und die »Vier erbaulichen Reden von 1844« wie pseudonyme »Protreptik« (Vorbereitung) und religiöse Entfaltung gelesen werden. Die Angst, die »kraft des Glaubens«67 erlösen kann, kommt in den vier erbaulichen Reden mit ihrer wahrhaft erlösenden Kraft zur Entfaltung.

      Die vierte Rede, die dem Streit des Gebetes gewidmet ist, beginnt mit einer ausführlichen Einleitung, in der auf die Dialektik eingestimmt wird, dass es einen Streit gibt, bei dem man durch Verlieren gewinnen kann. Von einem biblischen Text ist explizit keine Rede. Die innere Beziehung auf Jesu Wort aus Mk 8,35ff. kommt in den Blick: »Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinet- und des Evangeliums willen, der wird’s erhalten«. Wie geht diese Dialektik von Verlieren und Erhalten im Streit des Gebetes vor sich? Beten heißt für Kierkegaard allem voran: Sich-ergeben, und nicht jemanden angreifen oder sich selbst verteidigen, um sich zu erhalten! Wer sich betend hingebe, der streite nicht; gebe er sich aber nicht hin, so bete er auch nicht. Ein Gebet, das keine Ergebung sei, die in dem inwendigen Menschen geschieht, kommt für Kierkegaard als Gebet gar nicht in Betracht. So ein Gebet komme auch bei Gott gar nicht an, so wenig wie ein Brief ankomme, der falsch adressiert sei. Wie soll es dann aber möglich sein, dass ein Gebet zur Waffe wider Gott werden kann?

      Kierkegaard setzt bei dem Beten eines Kindes ein. Das Kind gerate in keinen Streit mit Gott: Es bitte Gott um das Gute, danke Gott für das Gute, das nach der Vorstellung des Kindes gut sei. Bekommt es zu Weihnachten das ersehnte Spielzeug, so dankt es Gott. Das Traurige, Unangenehme werde aber vom Kind nicht auf Gott zurückgeführt, sondern anders erklärt, zumeist mit der Vorstellung von bösen Menschen. Stirbt dem Kind der Vater, so hat es eigentlich keine Vorstellung davon, was der Tod sein mag. Man sagt dem Kind, dass der Vater bei Gott im Himmel sei, und schon ist das Kind wieder mit Gott zufrieden. Den Tod aber mit all seinen Schwierigkeiten überspringe das Kind. Es werde ihm schwerlich einfallen, den Tod Gott zuzuschreiben.

      Auf die Mutter des Kindes aber kommen Schwierigkeiten im Gebet zu, wenn sie den Tod ihres Mannes mit Gott zusammenzudenken versuche und sich dabei nicht mit den Erklärungen begnüge, die sie ihrem Kind gegeben hat. Das wäre in Kierkegaards Augen kindisch, wenn ein Erwachsener der Schwierigkeit auswiche, den Tod, das Böse und das Widrige mit Gott zusammenzubringen, auf den doch zuletzt alles zurückgeführt werden müsse. Irgendwann müsse ein Gebet erwachsen werden. Die reife, erwachsene Innerlichkeit des Gebetes bestehe darin, alles mit Gott zusammenzubringen, alles auf Gott zurückzuführen, den Tod ebenso wie das Leben, das Böse ebenso wie das Gute. Das sei in widerwärtigen Fällen zuweilen sehr schwer, wie das Beispiel des Hiob zeigt. Das Gebet wird dann zu einem Streit mit Gott nach der Art, wie Jakob am Jabbok gekämpft hat: »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn« (Gen 32). Das zeichne ein erwachsenes Gebet aus, dass es mit Gott ringt, kämpft und streitet, um ihn für das menschliche Anliegen zu gewinnen und von Gott recht zu bekommen. Wie soll aber so ein Streit aussehen? Wie kann ein Mensch in diesem Streit siegen, indem Gott über ihn siegt, und er, der Mensch, unterliegt und eben dadurch der rechte Beter wird?

      Mit einer direkten Anrede des Lesers zeigt Kierkegaard an, dass er nun in das Zentrum seiner Rede eintritt, auf das sich auch der exemplarische Textausschnitt in diesem Kapitel bezieht. Ein Vergleich steht im Mittelpunkt, wie ihn Kierkegaard oft wählt, wenn er bei seinem Leser eine Evidenz des Gedankens und die Phantasie der Einbildungskraft entzünden will: »Mein Leser, hast du niemals mit einem Menschen gesprochen, der an Weisheit dir weit überlegen dennoch es wohl mit dir meinte, ja mehr oder doch besser (und somit mehr) besorgt war um dein Wohl als du selbst; hast du es nicht, |51| nun wohl so bedenke, was dir wie mir widerfahren könnte, so wie ich es nun darlegen will.«

      Es ist des Vaters dialektische Kunst, auf die Kierkegaard hier anspielt.68 Der Vater ist der Weise, der im Streit die Übersicht behält, während sein Widerpart heftig wird, um den Vater für seine Ansicht zu gewinnen. Als am Ende des Streits der Punkt klar ist, auf den es ankommt, gibt der Weise zu verstehen: »Das war es ja, was ich von Anfang an sagte, während du in der Hitze des Gefechts mich nicht verstehen konntest noch wolltest.« Dennoch war der Streit nicht vergebens, denn er führt dazu, dass der dem Weisen Unterlegene selber zur Einsicht kommt und entdeckt, was dem Weisen von Anfang an klar war.

      Kierkegaard folgert


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