Von kommenden Dingen. Walther Rathenau

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Von kommenden Dingen - Walther Rathenau


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      WALTHER RATHENAU

      VON KOMMENDEN DINGEN

      .

      Impressum

      ISBN 978-3-940621-36-8

       E-Book: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

      Digitalisat basiert auf der Ausgabe von 1929 aus der Bibliothek des Vergangenheitsverlags; bibliografische Angaben:

      Rathenau, Walther, Von kommenden Dingen, in: Gesammelte Schriften, Bd. 3, Berlin 1929

      Digitalisierung: Vergangenheitsverlag. Bearbeitung: Dr. Alexander Schug / Steffi Kühnel

      Die Marke „100% - vollständig, kommentiert, relevant, zitierbar“ steht für den hohen Anspruch, mehrfach kontrollierte Digitalisate klassischer Literatur anzubieten, die – anders als auf den Gegenleseportalen unterschiedlicher Digitalisierungsprojekte – exakt der Vorlage entsprechen. Antrieb für unser Digitalisierungsprojekt war die Erfahrung, dass die im Internet verfügbaren Klassiker meist unvollständig und sehr fehlerhaft sind. Die in eckigen Klammern gesetzten Zahlen markieren die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe; durch die Paginierung ist auch die digitale Version über die Referenz zur gedruckten Ausgabe zitierbar.

      © Vergangenheitsverlag, 2010 – www.vergangenheitsverlag.de

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      DEM GEDÄCHTNIS MEINES VATERS

      Einleitendes Essay

      Einleitendes Essay

      Walther Rathenau, Industrieller und Politiker (geb. in Berlin am 29.9.1867, ermordet am 24.6.1922), war der Sohn von Emil Rathenau, dem Gründer der AEG. Walther Rathenau bekleidete unterschiedliche Posten im Konzern seines Vaters: So war er 1892-99 Direktor der Elektrochemischen Werke Bitterfeld, nach 1899 Vorstandsmitglied der AEG, ab 1915 deren Aufsichtsratsvorsitzender sowie 1902-07 Geschäftsinhaber der Berliner Handelsgesellschaft. Schon früh agierte Rathenau auch als Politiker. 1914 regte er im Kriegsministerium die Einrichtung einer Kriegsrohstoffabteilung an, deren Aufbau er bis 1915 selbst leitete. Obwohl er die allgemeine Kriegsbegeisterung in Europa nicht teilte und noch 1917 ein Befürworter eines Verständigungsfriedens war, forderte er kurz vor der Novemberrevolution 1918 einen „Volkskrieg“ zur Abwendung der drohenden militärischen Niederlage.

      Rathenau bemühte sich nach der Abdankung des Kaisers und der Gründung der Weimarer Republik vergeblich um die Schaffung einer bürgerlichen Sammlungspartei; seine politische Heimat fand er schließlich in der 1918 gegründeten DDP (Deutsche Demokratische Partei). Rathenau war einer der prominentesten Politiker der Weimarer Republik – und anders als viele seiner Zeitgenossen, ein überzeugter Republikaner. Als Industrieller war Rathenau aber auch Pragmatist, eine Haltung, die auch seine Politik prägte. Dass Rathenau sich nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg dafür stark machte, einen politischen Ausgleich mit den ehemals verfeindeten Staaten zu erreichen, wurde ihm jedoch mehr zum Vorwurf gemacht, als dass seine Zeitgenossen dahinter die einzig sinnvolle Handlungsalternative des besiegten Deutschland sehen konnten. Im Rahmen seines von nationalistischer und antisemitischer Propaganda (Rathenau war Jude) als „Erfüllungspolitik“ heftig bekämpften politischen Konzepts, Deutschland nach dem Gedanken den „einen Kontinent wiederherzustellen“ sowie dauerhaft und kooperativ im Kreis der europäischen Demokratien zu verankern, vertrat Rathenau Deutschland auf allen wichtigen politischen Konferenzen. Mit seinem Namen verbindet sich bis heute vor allem der Abschluss des Rapallovertrags, mit dem Rathenau den Osten Europas mit dem Westen zu verbinden suchte.

      1922 fiel er dem Attentat von Mitgliedern der rechtsextremistischen „Organisation Consul“ zum Opfer. Er wurde von den Offizieren Ernst Werner Techow (Fahrer), Erwin Kern und Hermann Fischer aus einem fahrenden Auto heraus mit einer Maschinenpistole und einer Handgranate ermordet.

      Rathenau war einer der interessantesten Köpfe der politischen und kulturellen Szene im Deutschland der 1910er und 20er Jahre. Er war nicht nur Lenker eines Firmenimperiums, nicht nur bloßer Politiker, sondern glühender Vertreter liberalen Gedankentums und der Republik, der ersten auf deutschem Boden. Als sozial- und kulturphilosophischer Schriftsteller war er ebenfalls einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit. Sein großes Thema als Autor waren die Gefahren der Mechanisierung und des materialistischen Denkens der Menschen in den modernen Gesellschaften. Bemüht, liberal-individuelle und sozialistische Elemente miteinander zu verbinden, entwarf er immer wieder die Utopie einer Gesellschaft jenseits von Kapitalismus und Sozialismus, um die Arbeiter aus ihrer unzeitgemäßen „Erbknechtschaft“ zu holen. Mit solchen Ansätzen setzte er sich weit ab von dem verbreiteten Lagerdenken seiner Zeit. Damals war man Sozialdemokrat, Kommunist oder vielleicht Monarchist – alles festgefahrene Kategorien, die Rathenau aufzusprengen versuchte. Mit diesem Versuch blieb er – wenn auch heiß diskutiert in der Öffentlichkeit – jedoch weitgehend unverstanden. Die Zeit des politischen Ausgleichs der Gruppeninteressen, die Zeit eines gesellschaftlichen Konsenses jenseits alter Grabenkämpfe war noch nicht gekommen. Rathenau galt den rechten, nationalistischen und monarchistischen Gruppierungen in der Weimarer Republik als Gefahr, seine visionären Gedanken überforderten die politische Debatte.

      Das vorliegende Buch, „Von kommenden Dingen“, erschien 1917 – kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs, der die gesamte Ordnung der westlichen Welt auf den Kopf stellen sollte. Rathenau, ein genauer Beobachter seiner Zeit, nahm die Gemengelage zum Anlass, sein gesellschaftliches Konzept pointierter und ausführlicher als in den Schriften zuvor als wegweisende Alternative für die Zukunft darzustellen. Es ist ein visionäres Buch, gleichzeitig ein erhellendes Zeitdokument über das Ende des Kaiserreichs und den Beginn der ersten demokratischen Ordnung in Deutschland.

      Einleitung

      Einleitung

      [13] Dieses Buch handelt von materiellen Dingen, jedoch um des Geistes willen. Es handelt von Arbeit, Not und Erwerb, von Gütern, Rechten und Macht, von technischem, wirtschaftlichem und politischem Bau, doch es setzt und schätzt diese Begriffe nicht als Endwerte.

      Es ist recht zu fragen, ob nicht vielmehr Bedrückung und Armut, Not, Sorge und Unbill die echtesten Kräfte im Menschen befreien, die Seelen erlösen und das Gottesreich herniedertragen. Es steht frei zu antworten, daß die Glaubenspflicht und Wandlungskraft des Menschen nicht erschwert, sondern erleichtert werden soll, daß die Kälte des Elends alle Keime starrt, daß Wachstum und Blüte zulänglicher Erwärmung und Bestrahlung bedürfen. Doch diese Frage und Antwort wird nicht gestellt. Weder um das Bestehende zu stützen und zu beschönigen, noch um Wünsche und Bedingungen emporzulocken, läßt sich der Geist mißbrauchen; seine Mächte sind stark genug, um zu jeder Zeit die Eintracht zwischen Gestaltung und Gestaltendem zu erzwingen. Dieses Verhältnis aber ist eindeutig wie das Verhältnis organischer Gebilde zur Summe der Lebensbedingungen; jeder neue Geist schafft sich seine Welt, und jede seiner [14] Evolutionen verwirklicht sich in neuem Umschwung des Lebens.

      Nicht die Forderung geht dem Umschwung voran, sondern die Verkündung, die schon in sich den ersten Anbruch der Erfüllung birgt. Die Verkündung aber ist nicht wahrsagerische Träumerei, sondern die Durchdringung des erschauten irdischen Zustandes mit der Gewißheit des geistigen Gesetzes.

      Deshalb ist es nicht müßiges Gedankenflechten, sondern Pflicht und Recht, den Blick von der Betrachtung des bewegten Geistes zum Schattenspiel der Einrichtungen und Lebensformen zu wenden, denn Strahl und Schatten begreifen und beschreiben sich wechselweise. Unsre Zeit, die das kleinste dessen, was sie Tatsache nennt, so wichtig nimmt, erschrickt davor, aus ihrem Herzen ihr Geschick zu lesen; lenkt sie spielend und verantwortungslos bisweilen ihr Denken ins Künftige, so schafft sie aus umgekehrten Tagessorgen und Mißvergnüglichkeiten mechanische Utopien, die, vom Hermesstabe der Technik bewegt, aus der alten Wochenreihe einen kärglichen Sonntag zaubern.

      Woher nimmt diese Zeit noch den Mut, von Entwicklung, Zukunft und Zielen zu reden, die Hälfte ihres Tuns dem Kommenden zuzuwenden, für Nachkommenschaften zu wirken, Gesetze zu erfinden, Werte zu setzen, Güter zu speichern? Sie wird


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