Mach dein Glück! Geh nach Berlin!. Horst Bosetzky
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Horst Bosetzky
Mach dein Glück! Geh nach Berlin!
Dokumentarischer Roman über Ernst Schering
Impressum
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN: 978-3-86408-236-8
Coverabbildung: Schering Archiv, Bayer AG (Porträt Schering); Eduard Gärtner, Berlin, Opernhaus und Unter den Linden, 1845, (gemeinfrei) (Hintergrund)
© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2017
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Die besten Gardebataillone der Menschheit sind die Toten, die, biographisch wiederbelebt, unter uns wandeln.
Theodor Fontane
Ein Bilderbuch scheint alles, was vergangen
Joseph von Eichendorff
Prolog
Am Anfang stand die Alchemie
1889
Ernst Schering war ein großer Name in Berlin. Jeder kannte den Königlichen Kommerzienrat und seine „Chemische Fabrik auf Actien“ im Wedding an der Müllerstraße. Als am 27. Dezember 1889 bekannt wurde, dass Schering soeben verstorben war, griffen viele Männer zur Feder, um einen Nachruf auf ihn zu verfassen, so auch der Schriftsteller und Volkspädagoge Ferdinand Schmidt. Dessen Erinnerungen gingen um mehr als fünf Jahrzehnte zurück ...
1837
Das Kloster Neuzelle war im Jahre 1268 vom sächsischen Markgrafen Heinrich dem Erlauchten gegründet worden, um einmal seiner verstorbenen Ehefrau Agnes zu gedenken und um zum anderen den von den polnischen Piasten erworbenen Landstrich zwischen Oder und Schlaube wirtschaftlich besser zu erschließen. Zwischen 1300 und 1330 entstand auf einem Bergsporn, der in die Oderniederung ragte, eine prächtige dreischiffige Hallenkirche. Nach einer wechselvollen Geschichte kam die sächsische Niederlausitz 1814/15 als Folge des Wiener Kongresses an Preußen und wurde von Friedrich Wilhelm III. säkularisiert. Im Waisenhaus des Klosters wurde ein Lehrerseminar eingerichtet.
Hier nun verbrachte Ferdinand Schmidt entscheidende Jahre seiner Jugend. Er war am 2. Oktober 1816 in Frankfurt an der Oder auf die Welt gekommen und hatte seine Jugend im Klosterort Neuzelle verbracht, wo sein Vater die Stelle eines Kornschreibers innehatte. Früh hatte er sich als Pädagoge versucht und war schon im Alter von nur 15 Jahren in einer nahen Oberförsterei als Hauslehrer engagiert geworden. Nach dem Tode seines Vaters hatte er in sein Elternhaus zurückkehren müssen, nun aber besuchte er das evangelische Lehrerseminar, um staatlich anerkannte Lehrkraft zu werden. „Volkspädagoge, das steckt mir so im Blut“, pflegte er zu sagen, doch irgendwie wollte er auch als Schriftsteller reüssieren.
An diesem Vormittag nun galt es, ein Referat über die ebenso unheimliche wie faszinierende Alchemie und die berühmtesten Alchemisten zu halten. Er begann mit schwankender und etwas zu hoher Stimme, wurde dann aber zunehmend sicherer.
„Das Wort Alchemie leitet sich wohl vom Arabischen al-kīmiyā ab, und schon seit Jahrtausenden üben die Alchemie und die Alchemisten eine erhebliche Faszination auf uns alle aus. Gemeinhin wird angenommen, dass es das einzige Ziel der Alchemisten gewesen sei, aus unedlen Stoffen Gold zu machen – Gold, das schon in der babylonischen Philosophie als das Metall der Erlösung gegolten hat. Für diese Umwandlung, auch Transmutation genannt, brauchte man eine besondere Tinktur – das war der berühmte Stein der Weisen.“ Er machte eine Pause, um sich die Lippen zu befeuchten. „Heute würden wir sagen, die Alchemisten seien allesamt Irrwege gegangen und gehörten ins Irrenhaus, aber ihnen verdanken wir die Erfindung des Porzellans, des Bologneser Leuchtsteins und des Schwarzpulvers, jedenfalls was Europa betrifft. Der berühmteste Alchemist in unseren Breiten war wohl Markgraf Johann von Brandenburg, der von 1406 bis 1464 gelebt hat, aber auch unserem Prinzen Friedrich Wilhelm Ludwig von Preußen sagt man diesbezügliche Neigungen nach.“ Jetzt holte er weit aus und kam auf die philosophische Dimension der Alchemie zu sprechen, was aber seine Zuhörer nicht sonderlich interessierte. „In unseren Tagen“, so schloss er nach etwa einer halben Stunde unter dem Gelächter seiner Zuhörer, „sind die Apotheker und die Chemiker an die Stelle der Alchemisten getreten.“
Einige Tage nach diesem Vortrag unternahm das Lehrerseminar einen Ausflug ins uckermärkische Prenzlau. Unten am Ufer der Oder lagen zwei Boote bereit, und auf denen ging es bis nach Schwedt, wo auf Pferdewagen umzusteigen war.
Ihr Mentor war die ganze Zeit über damit beschäftigt, ihre Allgemeinbildung zu verbessern.
„Nennt mir berühmte Männer und Frauen, die in Prenzlau das Licht der Welt erblickt haben?“
„Keinen und Niemand“, kam es aus den hinteren Reihen.
„Doch!“ rief der Mentor und zählte dann einige Söhne und Töchter Prenzlaus auf, die er für Berühmtheiten hielt. „Christian Friedrich Schwan, Verleger und Buchhändler. Jacob Philipp Hackert, Landschaftsmaler. Friederike von Hessen-Darmstadt, Königin von Preußen ...“
„Gott!“ lachte einer. „Die war doch furchtbar unscheinbar und völlig unbegabt.“
„Ruhe! Dann haben wir noch Wilhelmina von Hessen-Darmstadt, Gattin des Zaren Paul I.“
Ferdinand Schmidt meldete sich zu Wort. „Das verstehe ich nicht: Was hat denn Prenzlau mit Hessen-Darmstadt zu tun?“
„Ganz einfach: Die Damen wurden in Prenzlau geboren, weil ihre Väter in preußischen Diensten standen und hier stationiert waren.“
„Ach, haben die Väter sie zur Welt gebracht?“
„Ich verbitte mir diese Scherze!“
Der Mentor fand, dass es einigen der Seminaristen doch erheblich an sittlicher Reife mangele. Der nächste Scherz kam ihm zum Glück gar nicht erst zu Ohren. Beim Stichwort Darmstadt fragte nämlich einer der Zöglinge Ferdinand Schmidt, ob der denn wisse, was ein Furz sei?
„Nein.“
„Eine Botschaft von Pforzheim nach Darmstadt, dass eine Fuhre Dung unterwegs ist.“
Ferdinand Schmidt sah den Kameraden tadelnd an. „An dir ist noch viel zu veredeln, bevor du auf die Jugend losgelassen wirst, sie zu veredeln.“
„Ach, in dem, was aus dem Volke kommt, steckt mehr Kraft drin als in all unserer Gelehrsamkeit.“
„Hm ...“ Ferdinand Schmidt ging mit dem Gedanken schwanger, eine Preußische Vaterlandskunde für Schule und Haus zu verfassen, so sein Arbeitstitel, und da war es vielleicht gar nicht schlecht, Wendungen und Bilder aus dem Alltag zu benutzen, um die Leser zu ködern.
Endlich waren am Horizont die Türme Prenzlaus zu erkennen, und auf dem Marktplatz angekommen, wurde der Wunsch geäußert, in ein Gasthaus einzukehren, denn man sei nach der langen Reise ausgehungert und vor allem durstig geworden.
„Abschlägig beschieden!“, rief der Mentor. „Erst treten wir an zur Stadtbesichtigung.“
Dann ging es los mit den Kirchen: St. Sabini, St. Jacobi, St. Marien, St. Nikolai …
„Und ich komme aus St. Endal“, brummte der Seminarist, der das mit der Fuhre Dung zum Besten gegeben hatte.
„Mein Vater aus St. Uttgart“, fügte ein anderer hinzu.
Ferdinand