Die Schatzinsel. Robert Louis Stevenson

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Die Schatzinsel - Robert Louis Stevenson


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      Robert Louis Stevenson

      Die Schatzinsel

      Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Bossier

      Nachwort von Burkhard Niederhoff

      Reclam

      Englischer Originaltitel:

       Treasure Island

      2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Covergestaltung: Anja Grimm Gestaltung

      Coverabbildung: © Gutentag-Hamburg

      Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Made in Germany 2021

      RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

      ISBN 978-3-15-961858-6

      ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020638-6

       www.reclam.de

      An den unentschlossenen Käufer

      Wenn Seemannsgarn, erzählt zu Seemannsweisen,

      Von Schiffen, Inseln, Winden rauh und hart,

      Vergrabnem Gold, das lockt zu weiten Reisen,

      Von Ausgesetzten und von Kaperfahrt –

      Romantik eben, ganz nach alter Art,

      Wie sie in früher Zeit mich hat bezwungen:

      Wenn derlei auch noch in der Gegenwart

      Euch kann betörn, ihr aufgeweckten Jungen,

      Dann ist das Buch für euch! Lest! – Oder nein?

      Seid gar zu abgeklärt ihr heutgen Knaben?

      Kein Kingston reizt euch mehr, kein Ballantyne?

      Und über Cooper fühlt ihr euch erhaben?

      Ja dann – sei’s drum. Schern euch nicht ihre Gaben

      Und all die Helden, die sie einst ersonnen,

      Soll man, wo sie schon sind, auch mich begraben

      Mitsamt all den Korsarn, die ich ersponnen.

      Lloyd Osbourne,

      dem amerikanischen Gentleman,

      nach dessen traditionskundigem Geschmack

      die folgende Erzählung gestaltet wurde,

      zum Dank für viele angenehme Stunden

      mit den herzlichsten Wünschen

      gewidmet

      von seinem ihm zutiefst verbundenen Freund,

      dem Verfasser

      TEIL I

      Der alte Freibeuter

      Kapitel 1

      Der alte Seebär im Admiral Benbow

      Squire Trelawney, Doktor Livesey und die anderen Gentlemen, die an unserem Abenteuer teilnahmen, haben mich gebeten, die Ereignisse um die Schatzinsel niederzuschreiben, und zwar ganz, von Anfang bis Ende, in allen Einzelheiten; lediglich die genaue Lage der Insel soll ich verschweigen, und auch dies nur, weil dort noch ungehobene Schätze liegen. So ergreife ich denn im Jahre des Heils 17— die Feder und lenke meine Gedanken zurück zu jener Zeit, da mein Vater die Schenke Zum Admiral Benbow führte, und zu jenem Tag, da der braunhäutige Seemann mit der Säbelnarbe unter unserem Dach Quartier bezog.

      Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, wie er sich mühsam zur Gasthaustür hereinschleppte, hinter sich eine Seemannskiste auf einer Schubkarre: ein hochgewachsener Kerl, stark und schwer, das Gesicht nussbraun, quer über einer Wange die schmutzigweiß verschorfte Spur eines Säbelhiebs; die Hände rissig und voller Narben, die Fingernägel schwarz und abgebrochen; ein teeriger Matrosenzopf baumelte ihm auf die Schultern seines fleckigen blauen Rocks. Ich erinnere mich noch genau, wie er forschend über die Bucht blickte; dabei pfiff er erst leise vor sich hin, dann brach er in ein altes Seemannslied aus – wir sollten es später noch oft von ihm hören:

      »Fünfzehn Mann auf dem Totenschrein –

      Jo-ho-ho, und ’ne Buddel voll Rum.«

      Eine hohe, zittrige Stimme war dies, zweifellos vom vielen Singen am Gangspill verschlissen und im Alter brüchig und rauh geworden. Mit dem Stock, auf den er sich stützte und der stark einer Handspake glich, klopfte er an die Tür. Kaum erschien mein Vater, verlangte er barsch ein Glas Rum. Es wurde ihm gebracht, und er trank es langsam, wie ein Kenner, den Geschmack auskostend. Währenddessen blickte er immer wieder zu den Klippen hin und auf unser Wirtshausschild.

      »Ist ja ’ne gemütliche Bucht«, sagte er schließlich, »und der Grogladen, wirklich hübsch gelegen. Viel Betrieb, Kamerad?«

      Nein, antwortete ihm mein Vater, viel zu wenig, leider.

      »Umso besser«, meinte er, »dann ist das hier der richtige Ankerplatz für mich. He, Jungchen«, rief er dem Mann zu, der die Karre schob, »komm längsseits und bring meine Kiste an Bord. Ich bleib hier mal ’ne Weile«, fuhr er fort, zu uns gewandt. »Bin kein schwieriger Kostgänger. Rum, Speck und Eier, und von der Klippe da oben nach den Schiffen Ausguck halten, mehr will ich gar nicht. – Mein Name? Ach, nennt mich einfach Käpt’n. – Sonst noch was? Ja, ja, kapier schon. Da!« Und er warf drei, vier Goldstücke auf die Schwelle. »Wenn ich die verbraucht hab, sagt ihr Bescheid«, brummte er, stets mit dem Gebaren eines grimmigen Befehlshabers.

      Tatsächlich wirkte er trotz seiner schäbigen Kleidung und seiner ungehobelten Redeweise keineswegs wie jemand, der sein Seefahrerleben vor dem Mast zugebracht hatte, sondern eher wie ein Maat oder gar Kommandant – jedenfalls wie einer, der gewohnt war, dass man ihm gehorchte, und der dreinschlug, wenn dies nicht geschah. Der Mann mit dem Karren erzählte uns, der Fremde sei gestern morgen vor dem Royal George aus der Postkutsche gestiegen und habe sich gleich nach den Wirtshäusern längs der Küste erkundigt. Schließlich habe er sich für unseres entschieden – wegen seines allgemein guten Rufs, nehme ich an, und gewiss wegen seiner einsamen Lage. Mehr bekamen wir über unseren neuen Gast nicht heraus.

      Und er selbst pflegte nicht viel zu reden. Tags nahm er stets sein Messingfernrohr und streifte den Strand entlang oder über die Klippen; abends saß er stets in einer Ecke der Gaststube nahe beim Kamin und trank seinen steifen Grog. Sprach man ihn an, sagte er meist gar nichts, sondern blickte nur kurz auf und schnaubte wütend durch die Nase, dass es klang wie ein Nebelhorn. Wir und die Leute, die unser Haus besuchten, merkten bald, dass man ihn wohl besser zufrieden ließ. Jeden Tag, wenn er von seinem Gang zurückkehrte, erkundigte er sich, ob nicht vielleicht Seeleute vorbeigekommen seien. Zunächst dachten wir, er frage dies, weil er gern seinesgleichen um sich gehabt hätte; später begriffen wir jedoch, dass er einer solchen Begegnung gerade ausweichen wollte. Wenn tatsächlich einmal ein Seemann im Admiral Benbow einkehrte – und das geschah dann und wann, schließlich lagen wir an der Küstenstraße nach Bristol –, betrachtete er ihn immer erst eine Weile durch den Türvorhang, bevor er die Gaststube betrat, und man konnte sicher sein, dass er mucksmäuschenstill blieb, solange der Fremde dort verweilte. Mir zumindest erschien sein Verhalten durchaus nicht rätselhaft – kein Wunder, war ich doch gewissermaßen ein Profiteur seiner Besorgnis. Er hatte mich eines Tages beiseite genommen und mir ein Geschäft vorgeschlagen. Ich solle in unserer Gegend »scharf Ausguck halten« nach einer bestimmten Person, und zwar »’nem Seemann, dem ein Bein fehlt.« Wenn so einer auftauche, müsse ich ihm gleich Bescheid sagen. Ein kleiner Dienst, für den er mich aber, versprochen, jeden Monatsersten mit einem silbernen Vierpennystück entlohnen werde. Freilich zahlte er längst nicht immer pünktlich; wenn ich ihn dann mahnte, schnaubte er mich nur an und warf mir einen drohenden Starrblick zu, der mich verstummen ließ.


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