Wenn alle Stricke reißen. Beate Vera

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Wenn alle Stricke reißen - Beate Vera


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getroffen. Die beiden sahen ganz schön fertig aus.«

      »Wirklich? Dabei trinkt Tobi nur ganz selten einen über den Durst. Er darf doch nicht viel Alkohol trinken wegen des Ritalins. Ich werde ihn mal wieder bei Facebook anstupsen. Mum, ich wollte dich fragen, ob Nina und ich am nächsten Wochenende nach Berlin kommen können.«

      Lea kamen die Details wieder in Erinnerung. Tobi hatte in der neunten Klasse arge Probleme bekommen. Ein Tadel jagte den nächsten, und irgendwann stand er kurz vor dem Schulverweis, nachdem er die Turnhalle mit Graffiti dekoriert hatte. Alle dachten damals, der ohnehin als Klassenclown bekannte Junge sei einfach nur pubertär und ungezogen. Es hatte über ein Jahr gedauert, bis die Diagnose ADHS gestellt wurde. Tobi hatte das Schuljahr wiederholen müssen. Er trieb seitdem regelmäßig und mit großem Eifer Sport und hatte vor Beginn der Oberstufe noch ein Jahr auf einer Schule in England verbracht, um seine miserablen Englischkenntnisse zu verbessern. Beinahe hätte Lea Duncans Frage ignoriert, dabei wartete sie schon seit ein paar Monaten darauf, seine Freundin Nina kennenzulernen, eine Kommilitonin aus Hamburg. »Klar, ihr seid hier jederzeit willkommen. Dann kannst du mir Nina endlich vorstellen. Und ich dir Glander.«

      »Ahhh, den Herrn Kriminalhauptkommissar!«

      »Not anymore. Ex-Kommissar. Jetzt ist er Chef der Detektei Celik & Glander.«

      »Whatever, ich bin sehr gespannt auf ihn.« Duncan zögerte kurz und fragte dann: »Bist du verliebt?«

      Lea betrachtete sich im Flurspiegel: Ihre graugrünen Augen leuchteten, ihr kastanienbraunes Haar glänzte, und ein Dauerlächeln zierte ihr Gesicht. Sie fühlte sich rundum phantastisch, daran bestand kein Zweifel. »Ja, Schatz, ich bin verliebt.« Überraschend, bis über beide Ohren und mit einer Menge Schmetterlingen im Bauch.

      Duncan lachte wieder und sang den alten Hit von Madness an: »It must be love, love, love … Auweia, das kann ja ganz schön kitschig werden mit uns vieren!«

      »Ich befürchte auch, darling, wir müssen uns auf das Schlimmste gefasst machen.«

      Sie prusteten beide los, und Duncan verabschiedete sich. Er wollte mit Nina am Freitagabend eintreffen, und sie würden alle zusammen essen.

      Lea summte das Lied weiter und wusste, sie würde den ganzen Tag Mühe haben, diesen Ohrwurm wieder loszuwerden.

      Als Glander ein zweites Mal wach wurde, duftete es im Haus verlockend nach Leas full English breakfast: nach Spiegeleiern, gebackenen Bohnen, gebratenen Tomaten, krossem Bacon und Oxford sausages, englischen Würstchen, die sie über das Internet bezog. Deutsche Würstchen zerstörten den fiesen Gesamteindruck, hatte sie ihm lachend erklärt.

      Glander kehrte noch einmal ins Bad zurück und zog sich nur seine Jeans an, bevor er nach unten ging.

      Er sah Lea vor ihrem Herd stehen, mit dem Rücken zu ihm. Sie trug einen Slip und ein recht kurzes, enganliegendes Top mit Spaghettiträgern. Der tiefe Schnitt, den der Wahnsinnige ihr im Juli am linken Oberarm zugefügt hatte, war gut verheilt, nur eine feine, noch rötliche Narbe verlief wellenförmig zwischen Schulter und Ellenbogen. Lea war barfuß und bewegte ihren wirklich hübschen Po, wie Glander einmal mehr bemerkte, zu einem Lied auf ihren Bluetooth-Kopfhörern. Lea hörte Musik ungern leise, schon gar nicht beim Kochen, und es war süß, dass sie in ihrem eigenen Haus auf ihn Rücksicht nahm. Glander war das Frühstück auf der Stelle egal, das konnten sie nachholen.

      Er stand nur zwei Schritte hinter ihr, als sein Handy sich mit der Titelmelodie der TV-Serie Die Profis meldete. Glander hatte keine Folge verpasst und konnte nicht ausschließen, dass die beiden Agenten William Bodie und Raymond Doyle einen Einfluss auf seine spätere Berufswahl gehabt hatten.

      Lea drehte sich erschrocken um, das große Messer, mit dem sie Tomaten halbierte, auf ihn gerichtet. Das Handysignal hatte ein Knacken in ihren Kopfhörern verursacht.

      Glander hob beschwichtigend die Hände und ging auf die Terrasse hinaus, während Lea die Kopfhörer abnahm, achtlos in die Tomaten legte und schimpfend hinter ihm herkam. »Sodding hell! Ich habe mich zu Tode erschreckt!« Sie boxte ihn gegen den Oberarm. Lea verfiel meist in die Sprache ihres Vaters, wenn sie wütend oder aufgeregt war. Im Fluchen konnte sie es mit jedem waschechten Briten aufnehmen.

      Glander meldete sich am Telefon. Zu Lea gewandt, mit der Hand über dem Handy, flüsterte er: »Es tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.« Dann widmete er sich wieder dem Anrufer. »Beruhigen Sie sich! Ich verstehe kein einziges Wort. Atmen Sie tief durch, und sagen Sie mir, was los ist!«

      Lea zog ein Gesicht und ging wieder hinein. So sah sie nicht, wie sich Glanders Blick verfinsterte.

      »Sie haben eine Nachricht erhalten, dass jemand Ihre Tochter in seiner Gewalt hat?« Er wartete die Antwort ab. »Waren Sie bei der Polizei? Okay, keine Polizei. Geben Sie mir Ihre Adresse! Ich bin bei Ihnen, so schnell ich kann.« Glander musste die Adresse nicht notieren, er hatte ein sehr gutes Gedächtnis. Leider blieben dort nur Dinge haften, die ihn interessierten – eine Eigenschaft, die bei ihm zu einem zweiten Anlauf fürs Abitur geführt hatte. Er ging wieder hinein. »Lea, ich wollte dich wirklich nicht erschrecken. Du sahst einfach so gut aus. Leider wirst du ohne mich frühstücken müssen, ich muss gleich weg. Weißt du, wo die Lüdersstraße hier in Lichterfelde liegt?«

      Lea sah ihn belustigt an. Sie genoss es, ihn so durcheinanderbringen zu können. »Die geht von der Königsberger ab. Nimmst du das Auto?«

      »Ja. Das war höchstwahrscheinlich unsere erste Klientin.« Sosehr er es bedauerte, auf das gemeinsame Frühstück im Bett verzichten zu müssen: Er ging bereits im Geiste die ersten üblichen Schritte bei Entführungsfällen durch. Dabei nahm er Lea in seine Arme und küsste sie ins Haar. »Es tut mir wirklich leid. Lass es dir schmecken!« Er gab ihr noch einen Kuss auf den Mund und ging dann wieder nach oben, um zu duschen und sich anzuziehen.

      Umso mehr bleibt für mich!, dachte sich Lea und stapelte drei Spiegeleier und einige Löffel gebackener Bohnen neben den Bacon und zwei Würstchen auf ihren Teller.

       Und stündlich mit den schnellen Schwingen

       Berühr’ im Fluge sie die Zeit.

       Dem Schicksal leihe sie die Zunge;

       Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,

       Begleite sie mit ihrem Schwunge

       Des Lebens wechselvolles Spiel.

       Und wie der Klang im Ohr vergehet,

       Der mächtig tönend ihr entschallt,

       So lehre sie, dass nichts bestehet,

       Dass alles Irdische verhallt.

      Tara konnte am besten nachdenken, wenn sie Gedichte aufsagte. Was war bloß geschehen?

      Am frühen Freitagabend hatten sie in der Schule Kleists Der zerbrochne Krug geprobt. Sie spielte die Eve. Ihre Freunde Max, Tobi und Leander waren auch auf der Bühne gewesen, ebenso Annalisa, die als Eves Mutter auftrat, und Louise, die den Part der Brigitte hatte. Die Probe war gut gelaufen, und danach waren sie alle zum Pavillon in den Park an der Bäkestraße gegangen. Max hatte Wodka und Energy Drinks gekauft. Er wurde nie nach seinem Ausweis gefragt, im Gegensatz zu Tobi, der ebenfalls neunzehn war, aber immer sein Alter nachweisen musste. Bei dem Gedanken an Max wurde Tara rot. Sie mochte ihn, aber er schien das gar nicht zu merken. Max war ein Mathe-As und wie Tobi und Leander im Mathe- und im Sportleistungskurs. Außerdem begeisterte er sich für Musik und Theater. Er spielte Gitarre, und Tara hatte sich schon oft gewünscht, dass er einmal nur für sie spielen würde. Er sah mit seinen dunkelbraunen halblangen, lockigen Haaren und den geschwungenen Lippen nicht nur aus wie der Sänger von Razorlight, er klang auch wie der.

      Tobi und Leander waren seine besten Freunde, machten aber aus einem ganz anderen Grund bei dem Theaterprojekt mit: Die AG zog viele Schülerinnen an. Tobi mochte Annalisa, und


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