Der Tag des Schmetterlings. Jens Böttcher

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Der Tag des Schmetterlings - Jens Böttcher


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kommt aus Berlin.“

      Jetzt lachte er geradeheraus und schien sich diebisch zu freuen.

      „Hihi ... wissen Sie, wie ulkig das ist? Hertha aus Berlin? Hihi.. Sie verstehen ... ich und mein Freund Dieter, wir haben Hertha damit früher immer aufgezogen, als ... haha ... die Hertha aus Berlin ... hach, war das immer ulkig ...“

      Herthas Kopf schnellte herum.

      „Das ist nicht witzig, Rolf!“, fauchte sie.

      Herr Griesbach zuckte zusammen, als hätte ihm gerade ein tollwütiger Dackel in die Wade gebissen. „Oh, natürlich nicht, entschuldige, Herthaschätzchen, entschuldige .. .“

      „Oh, das war bestimmt schön früher, oder? Sie haben gewiss sehr viel zusammen gelacht?“, sagte Herr Bergmann und ignorierte damit vollkommen die massiv drohende Ehekrise.

      „Humor ist sicher ein sehr, sehr wichtiger Baustein für eine solche Karriere gewesen, wie Sie sie gemacht haben, oder Herr Griesbach? Oh ja, das gibt Kraft, wenn man zusammen lachen kann, nicht wahr? Hm, und Berlin. Eine tolle Stadt. Es passt vortrefflich zu Ihnen, Gnädigste, dass Sie aus einer Weltstadt wie Berlin kommen.“

      Rolf Griesbach schaute kurz zu seiner schweigenden Hertha, dann schüttelte er den bissigen Dackel ab und lächelte wieder.

      „Oh ja, Herr Bergmann, das ist richtig. Wir hatten viel Freude damals, Hertha und ich. Das waren schöne Zeiten! Eigentlich die schönsten überhaupt ... und nun können wir auf ein erfülltes Leben zurückblicken. Ich habe es immerhin bis zum Direktor gebracht, wie Sie wissen, ja, der ganze Bezirk Nordwest! Und aus den Kindern ist auch etwas geworden. Ich zeige Ihnen mal die Fotos. Eine Sekunde.“

      Griesbach begann nun wieder, in seinen Jackentaschen herumzuwühlen und fand wieder nicht gleich, was er suchte.

      „Sekunde noch ... hab sie gleich ...“

      Nun meldete sich auch Hertha wieder zu Wort.

      „Die Fotos sind in ...“

      „Oh, in der Innentasche, Herthaschätzchen?“, hakte Griesbach schnell nach, während er sogleich dorthin griff und weiterwühlte.

      „Nein, in meiner Handtasche“, sagte Hertha schroff.

      „Oh, zeig sie doch mal Herrn Bergmann, Herthaschätzchen ...“

      Hertha verzog mürrisch die Mundwinkel. Dann gab sie nach und holte die Fotos mitsamt ihren Händen hervor.

      „Bitte sehr“, sagte sie schnippisch und reichte Herrn Bergmann die Bilder. Herr Griesbach beugte sich zu Bergmann und stellte ihm seine Familie vor:

      „Das da, das ist Fabian, unser Ältester, mit seiner Frau Hannelore. Und das hier ist unsere Silke, mit ihrem Mann Florian und den beiden Kindern. Süß die beiden, nicht wahr? Wir sind schon Großeltern, müssen Sie wissen ... hihi.“

      Herr Griesbach erfüllte es ganz offensichtlich mit Stolz, Herrn Bergmann seine geliebten Kinder auf diese Weise vorzustellen. Der wiederum zeigte die Bilder nun auch Herrn Meier.

      „Sieh doch nur, wie glücklich diese Enkelkinder aussehen. Und ... oh ... das sind ja ...“

      Er hielt inne, hob seinen Blick und schaute Hertha an.

      „Diese Augen. Ihre Tochter hat ja Ihre Augen. Die gleiche furchtlose Entschlossenheit und diese, lassen Sie es mich ruhig so unverblümt sagen, diese ... anmutige Autorität. Das ist wirklich fabelhaft!“

      Hertha ließ sich nun dazu herab, wenigstens einmal zu Herrn Bergmann rüberzusehen. Der schaute ihr jetzt noch etwas tiefer in die Augen.

      „Sie haben herrliche Augen, Frau Griesbach. Man kann darin direkt sehen, wie viel Humor und wilde Lebenslust in Ihnen steckt ... und da ist noch etwas ...“

      Bergmann kniff nun beim genauen Betrachten von Herthas Augen konzentriert seine Lider zusammen, so als würde es ihm die Möglichkeit bieten, tatsächlich noch etwas anderes als die Wut und die Zickigkeit darin zu entdecken, die alle anderen Anwesenden auch sehen konnten.

      Hertha schaffte es nicht, ihren Blick abzuwenden. Sie verstand nicht warum, aber irgendwie war sie gerade auf faszinierende, nicht unangenehme Weise wie gelähmt.

      „Was denn?“, sagte sie plötzlich, ungewohnt mild und leise.

      Bergmann betrachtete weiter ganz ergriffen ihre Augen. Bis Herr Meier ihn ansprach und ihn aus seiner offensichtlichen Ehrerbietungsstarre weckte.

      „ Ja, das ist es ... das ist das richtige Wort ... danke ...“, lobte er seinen unsichtbaren Mitreisenden.

      Hertha schaute ihn weiter an und wartete gespannt auf das Wort, das Herr Meier soeben souffliert hatte.

      „Vergebung“, sagte Bergmann und schüttelte dabei staunend den Kopf. „Das ist ja wirklich ganz erstaunlich“, fuhr er leise und ergriffen fort.

      Hertha konnte nicht antworten. Allen anderen war ebenfalls kurzzeitig nicht nur die Lust zu reden, sondern sogar das gedankliche Mitkommen vergangen. Was meinte Bergmann denn damit? Vergebung?

      Er führte den Gedanken sogleich aus.

      „Wissen Sie, Frau Griesbach ... es ist etwas so Erbauliches und Wundervolles, wenn man jemanden trifft, der die innere Stärke aufgebracht hat, seinem eigenen Leben zu vergeben. Sich selbst, den anderen ... es ist wirklich ... ach, wundervoll ... ja, natürlich, das Leben ist ja so verdammt schwierig und man muss auch viel einstecken ... aber über den stacheligen Weg der inneren Vergebung schließlich die Gefahr der eigenen Hartherzigkeit abzuwenden und so mit Liebe und Verständnis auf alles reagieren zu können, auch auf die Schwächen der Menschen, die einen umgeben ... das ist wirklich fabelhaft ... das ist wahre Stärke. Und es ist immer wie ein wirkliches Wunder, so einen Menschen zu treffen, dem das gelungen ist ... Frau Griesbach ... und Sie sind so ein Mensch ... Sie haben ein so gutes Herz ... man kann es regelrecht sehen, wenn man nur in Ihre Augen schaut ... was für ein Lebenswerk Sie da vollbracht haben ... es ist bewundernswert ...“

      Bergmann stoppte seinen Satz recht abrupt und wandte sich wieder an Herrn Meier.

      „ Ja, du hast ganz recht gehabt. Du bist wirklich ein guter Beobachter, also: alle Achtung!“

      Nun schien wieder Herr Meier zu sprechen, denn Herr Bergmann hörte offensichtlich sehr interessiert zu und nickte heftig.

      „ Ja, natürlich. Nein, wir fahren ja bis Mainz. Nein, Mainz. Ja, Köln kommt vorher, knapp zwei Stunden. Ja, nein, jetzt kommt Dortmund, wieso? Ach so, nein, darüber mach dir mal keine Sorgen. Nein, überhaupt nicht. Erst in Mainz.“

      Die anderen Reisenden vermieden es dabei, sich gegenseitig anzusehen, so wie sie es vorher getan hatten. Jeder schaute irgendwohin, wo ihm keine durch eigene Blicke signalisierte Stellungnahme abzuringen war.

      Daniela schaute mit gespielter Teilnahmslosigkeit auf den Gang hinaus, Jasmin starrte unverdrossen in ihr Modemagazin und Herr und Frau Griesbach blickten zum Fenster hinaus, wo die vorbeifliegenden Felder und Wiesen der letzten Stunden gerade von einem unwirtlichen, graubraunen Industriegebiet abgelöst wurden.

      Herr Bergmann wandte sich nun wieder an Hertha. Er lächelte.

      „Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, Ihre Augen. Wunderschön. Sie haben auch so eine herrliche Farbe. Wie würden Sie sie nennen? Vielleicht ... smaragdfarben?“

      „Ähm ... graugrün steht in meinem Personalausweis“, sagte Hertha, längst spürbar entwaffnet. Sogar der Anflug eines Lächelns huschte ihr über das Gesicht.

      „Smaragdfarben trifft es aber viel, viel besser“, sagte Bergmann, nun wieder mit diesem Charme, der von seinen Stimmbändern perlte und von dort direkt in Herthas Herz tropfte.

      Sie bewegte den Kopf leicht verlegen und schenkte Bergmann einen kurzen, leicht verliebten Blick.

      „Sie Schmeichler, Sie ...!“

      Herr Griesbach nahm in diesem Moment Herthas Hand. Teils, weil er sich aufrichtig freute, dass sie wohl doch noch menschliche


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