Der gute Mensch von Assuan. Peter S. Kaspar

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Der gute Mensch von Assuan - Peter S. Kaspar


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Rauschgift anboten. Plötzlich blieb Roland wie angewurzelt stehen und deutete auf den letzten Mann des Spaliers. Er hatte sich gerade abgewandt und erzählte laut und wild gestikulierend einem anderen irgendetwas und deutete dabei immer wieder auf ein dickes Pflaster auf der Stirn.

      Mansur riss die Augen auf. »Wenn das nicht unser Freund Souliman ist!«, rief er verblüfft aus.

      Benny hob die Augenbrauen und bedachte ihn mit einem vielsagenden Seitenblick.

      Mansur tippte Silke an. »Und die verkaufen hier alle Drogen?«

      »Jepp!«

      Er reichte Roland den Lenker seines Rades. »Halt mal, ich muss da, glaube ich, etwas regeln.«

      Zur sichtlichen Verblüffung von Silke ging Mansur auf einen der Dealer zu, der ihn zunächst nicht bemerkte, doch als Mansur ihn leicht an der Schulter berührte, fuhr er herum und zuckte im gleichen Moment zurück. Seine Augen rollten hin und her, als suche er einen Fluchtweg.

      »Du bist doch Souliman? Eigentlich wollte ich dich im Krankenhaus besuchen«, sagte Mansur in einem sehr flüssigen Französisch.

      Souliman stammelte irgendetwas Unverständliches.

      Silke trat dazu, hob überrascht die Augenbrauen. »Du kennst ihn?«, fragte sie.

      Mansur nickte und erzählte zum Entsetzen von Roland die Geschichte vom Vorabend. Er berichtete, wie sie eigentlich die Polizei rufen wollten, Souliman dann aber lieber direkt ins Krankenhaus gebracht hatten.

      Silke quittierte die Erzählung mit einem leisen ironischen Lachen. »Schätze, dein Freund hat sich noch in der Nacht selber entlassen. Er hatte sicher viel zu viel Angst davor, dass ihn die Polizei hochnimmt und er abgeschoben wird.«

      »Dann ist es aber nicht besonders klug, hier Drogen zu verkaufen.«

      »Es ist die einzige Möglichkeit für ihn, an Geld zu kommen. Nicht alle, die hier rumstehen, sind Flüchtlinge, aber ganz, ganz viele. Und die, die keine sind, rekrutieren den Dealernachwuchs bei den Flüchtlingen.«

      Mansur nickte leicht. Er überlegte einen Moment. »Mich würde seine Geschichte interessieren. Können wir hier irgendwo in ein Restaurant, einen Happen essen und dann erzählt uns Souliman alles?«

      Silke zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Ich kenne einen netten Laden am Lausitzer Platz, keine fünf Minuten von hier.«

      Mansur wandte sich an Souliman, der unbehaglich in die Runde schaute, die ihn umringte. Er fragte ihn auf Französisch: »Hättest du Lust auf ein Mittagessen? Aber nur, wenn du mir dann deine Geschichte erzählst.«

      Diesmal fand Souliman die Sprache schnell wieder. »Oh ja, das wäre mir wirklich eine große Freude, Monsieur.«

      »Sag Mansur zu mir.«

      »Wer sind all die anderen?«, fragte Souliman misstrauisch und deutete auf Silke und Benny.

      »Das sind Freunde von mir.«

      4. Kapitel

      Der Gewalttätige geht herum und wählt sein Opfer.

      Silke führte sie am Lausitzer Platz in ein nordafrikanisches Restaurant. Souliman schien nicht so recht zu wissen, wie er mit der Situation umgehen sollte. Ganz offensichtlich drohte ihm keine Gefahr, aber so ganz geheuer war ihm die Situation anscheinend auch nicht.

      Als sie sich an einen Tisch ganz am Ende des Restaurants gesetzt hatten, forderte ihn Mansur auf, seine Geschichte zu erzählen. Zur allgemeinen Überraschung erzählte er die in ganz passablem Deutsch.

      Ich komme aus einem kleinen Fischerdorf aus der Region Thiès. Mein Vater, mein Großvater, alle Männer in unserer Familie waren Fischer. Eigentlich hatte ich nicht im Traum daran gedacht, dass ich eines Tages etwas anderes als Fischer werden sollte. Aber meine Mutter konnte sich das sehr gut vorstellen. Ich hatte Glück, denn in unserem Dorf gab es eine Schule. Ein Drittel der Kinder im Senegal gehen nicht zur Schule – weil es keine gibt. Mir machte die Schule Spaß. Ich war ein guter Schüler. Meine Mutter war sehr stolz auf mich. Mein Vater machte dagegen immer ein missmutiges Gesicht, wenn ihm meine Mutter von meinen Erfolgen in der Schule erzählte. Er hat damals wohl schon geahnt, dass sie einen Plan mit mir hatte.

      Spätestens nach der Grundschule hätte ich mit Vater und seinen Brüdern hinaus zum Fischen fahren sollen. Der Fisch wurde dann von meiner Mutter und ihren Schwägerinnen auf den Märkten bei uns oder in den Nachbardörfern verkauft. Was übrig blieb, wurde geräuchert und ebenfalls zum Kauf angeboten. Der Fischfang hat unsere Familie nicht reich gemacht, aber uns ging es nicht schlecht. Wir hatten ein geräumiges Haus, jeden Tag genug zu essen. Und wir hatten genug Geld, damit ich auf die weiterführende Schule nach Dakar gehen konnte. Es war eine lange und oft lautstarke Auseinandersetzung zwischen meinen Eltern. Schließlich setzte sich meine Mutter durch.

      Dakar war für mich eine aufregende und spannende Stadt. Vieles war für mich neu und verlockend. Doch trotz allem: Ich ließ mich nicht ablenken, sondern versuchte, einen möglichst guten Abschluss zu machen. Es war klar, ich sollte auf die Universität. Meine Mutter hatte meinen Vater am Ende mit einem Argument überzeugt: ›Wenn Souliman auf die Universität geht, wird er danach einen guten Job finden und nicht nur dich und mich, sondern unsere ganze Familie ernähren können.‹ Dann diskutierten sie darüber, was ich denn studieren solle. Meine Mutter wollte, dass ich Arzt werde. Mein Vater wollte, dass ich Ingenieur werde. Diesmal setzte sich mein Vater durch. Sein Argument: ›Wenn Souliman Ingenieur wird, dann kann er auch jederzeit den Motor von unserem Fischerboot reparieren. Das spart viel Geld und wir können viel schneller wieder auf Fischfang gehen.‹ Mir war das recht, denn ich habe schon früher immer gerne Dinge repariert und zusammengebaut. Medizin hätte ich nicht so gerne studiert.

      Schon während meiner Schulzeit begann es, dass die Fänge immer kleiner wurden. Vor der Küste des Senegals kreuzten große Fangschiffe aus Südkorea und Japan. Die hatten es vor allem auf Goldmakrelen abgesehen. Nach ein paar Jahren konnten wir nur noch wenig Räucherfisch verkaufen, weil der frische Fang kaum für den Marktverkauf ausreichte. Zunächst machten sich Vater und seine Brüder nur wenig Gedanken darüber. Es war schon immer so gewesen, dass es Tage mit einem guten und Tage mit einem schlechten Fang gab. Genauso hatte es gute oder schlechte Jahre gegeben – so wie es auch auf dem Land gute oder schlechte Ernten gibt. Doch auf ein schlechtes Jahr folgte ein noch schlechteres und dann ein noch schlechteres. Dann wurde es wieder ein wenig besser, und die Fischer im Dorf begannen schon wieder zu hoffen, dass der Fisch zurückkommt. Doch es ging weiter bergab.

      Ich selbst habe davon gar nichts mitbekommen, weil ich voll mit meinem Studium des Maschinenbaus beschäftigt war. Eines Tages jedoch bekam ich einen Anruf, dass ich sofort in mein Dorf kommen solle. Ich befürchtete schon Schlimmes, glaubte, mein Vater habe Schiffbruch erlitten oder meine Mutter sei sehr krank.

      Als ich ankam, wartete schon die ganze Familie in der großen Küche auf mich. Und wenn ich sage, die ganze, dann meine ich auch die ganze – nicht so, wie bei euch Europäern, die Eltern und zwei Kinder, nein. Da warteten alle meine neun Onkels und deren Frauen, außerdem noch meine sechs kleineren Geschwister. Was hatte das nur zu bedeuten?

      Mein Vater sah mich ernst an und sagte dann: ›Souliman, du kannst nicht mehr in Dakar weiterstudieren. Wir haben bald kein Geld mehr. Die großen Schiffe da draußen fischen das Meer leer. Wir haben kaum noch etwas, was wir verkaufen können, und wenn wir nichts verkaufen, dann haben wir kein Geld mehr, um dein Studium zu finanzieren. Deswegen haben wir lange beraten, was wir tun können. Du bist auf der Universität, das heißt, du bist der Klügste. Deshalb haben wir unser letztes Geld gesammelt. Damit sollst du nach Europa reisen. Ich habe gehört, dass man in Deutschland sogar Geld dafür bekommt, wenn man zur Universität geht. Zumindest hat mir das ein Mann erzählt, der vor einigen Wochen in unser Dorf kam. Er hat versprochen, uns zu helfen. Du musst also nach Deutschland gehen und versuchen, dein Studium dort fortzusetzen, damit du unsere Familie ernähren kannst. Von dir hängt jetzt alles ab. Wenn es dir nicht gelingt, weiß ich nicht, wie wir in Zukunft noch leben können.‹

      Ich konnte mich dem nicht widersetzen. Es war mir klar, dass meine Familie mich brauchte.


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