Mann, Frau, Affe. Volker Hagedorn
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Informationen zum Buch
Die neuesten Glossen von Volker Hagedorn
Informationen zum Autor
Volker Hagedorn, Jahrgang 1961, lebt als Journalist und Musiker in der Nähe von Hannover. Er studierte Viola und war Feuilletonredakteur bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und der Leipziger Volkszeitung. Seit 1996 schreibt Volker Hagedorn als freier Journalist vor allem für WDR, Deutschlandradio, die Zeit, den Tagesspiegel; seine regelmäßig in der Hannoverschen Allgemeinen erscheinenden Kolumnen wurden auch in den Büchern »Wo bin ich?« und »Der Wolkenkoffer« veröffentlicht. Für Zeit Geschichte konzipierte er die Ausgaben »Wer ist Mozart?« und »Herbert von Karajan«, zudem leitete er die Redaktion der 20-bändigen Zeit Klassik Edition. Als Barockbratscher spielt Volker Hagedorn bei Cantus Cölln.
Volker Hagedorn
Mann, Frau, Affe
Kolumnen III
Impressum
©2012 zu Klampen Verlag • Röse 21 • D-31832 Springe
[email protected] • www.zuklampen.de Umschlaggestaltung: Stefan Hilden, München, www.hildendesign.de Umschlagmotiv: © HildenDesign/shutterstock.com Konvertierung: Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH, KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart ISBN 978-3-86674-194-2 Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar.
Zahl’n jetzt, luuki luuki!
Gedränge im Bistro an Gate B am Wiener Flughafen. »Zahl’n Sie das?« Der Mann hinter dem Tresen deutet auf ein Tablett mit Cappuccino und Ciabatta. »Zahl’n Sie das?« Ach, der meint mich. »Nein«, sage ich. Seine Kollegin zeigt auf einen Reisenden neben mir. »Der Herr dort …« »Acht vierzig«, sagt der Kellner. Der Mann sieht ihn freundlich abwartend an. Vielleicht versteht er nichts, oder er fühlt sich ebenfalls nicht angesprochen. Oder er wartet auf ein »bitte«. Jetzt zückt er aber sein Portemonnaie. »Eight forty. Eight forty«, wiederholt der Kassierer ungeduldiger, »eight forty, zahl’n jetzt, luuki luuki, hier steht’s!« Er zeigt mit großer Gebärde auf das Kassendisplay.
»Also ein bisschen netter könnten Sie schon sein zu den Leuten«, sage ich, »Sie reden ja wie mit Blöden.« »Na, auf Sie hab’ i g’wart«, sagt er, »auf Sie hab’ i grad g’wart«. »Dann ist es ja prima, dass ich endlich da bin«, sage ich in einem Anfall von Geistesgegenwart. »Drei zwanzig«, schnarrt er, mit Blick auf den Cappuccino vor mir. »Nee, es kommt noch was dazu«, sage ich. Während die Imbissfrau mein aufgeheiztes Baguette holt, sortiert er Geschirr und murmelt die ganze Zeit empört vor sich hin, dass ich es nur ja höre. »Sicher a Professor. Scherzkeks. Auf den hab’ i grad’ g’wart’. Acht zwanzig.« »Nun beruhigen Sie sich mal«, meine ich und bezahle. »I reg mi net auf.« »Seien Sie einfach ein bisschen netter zu den Leuten.« »Aber nicht mit Ihnen!«
Es könnte eine reizvolle Aufgabe für den kreativen Deutschunterricht sein, den Dialog nun fortzuspinnen, wobei allerdings meine Rolle einen Bruch erlitte. Ich habe den realen Dialog an dieser Stelle beendet, weil ich sowas gern schnell hinter mich bringe und niemals z. B. so weitermachen würde: »Darf ich mal das Schildchen sehen? Ich möchte mir Ihren Namen notieren.« »A Hobbykieberer! Scherzkeks! Schreiben’S nur. Faschist Sie!« Oder: »Ich habe den Eindruck, dass Sie im Grunde ein unglücklicher Mensch sind.« »Bitte, des is a Frechheit! Was geht Sie des an! (unterdrückt ein Schluchzen) Ah, was sois. A Wochen isses jetzt her, genau a Wochen, da hat’s mi verlassen! Nach vierzehn Jahr!«
Oder: »Sie sind ja ein echter Kotzbrocken in der Servicewüste. Nächstes Mal fliege ich über Salzburg!« »Passt scho, da arbeit’ mei Bruder, der is no besser.« Ganz schlichte Pennäler favorisieren wahrscheinlich die Variante »PENG!« »Aaarrgh …«, die, global betrachtet, realistischer ist als die folgende: »Sie ahnen gar nicht, wie gut mir unser Gespräch gefallen hat. Ich bin nämlich Kolumnist, da schreibt sich die nächste Kolumne jetzt wie von selbst.« »Kommunist, hab’ i mir do glei dacht. Mit Ihrer Kommune will i nix z’ tun ham … naa, was sagen’S? Wo erscheint des? Des möcht’ i ja les’n.« »Dann besorgen Sie sich das Buch ›Mann, Frau, Affe‹ und machen einfach mal luuki luuki. Okay?« Nee, wär’ zu schön gewesen.
Erwachsene sind peinlich
Schon zum Frühstück kommt sie mit perfektem Make-up, die Augen mit Kajalstift akzentuiert, der Mund glänzend erdbeerrot, die Klamotten frisch gebügelt. Diese Zwölfjährige, Tochter von Freunden, ist der bestgestylte Mensch, den ich kenne. Dass sie überhaupt kommt, ist erstaunlich, denn ihr Leitspruch lautet: »Erwachsene sind peinlich.« Andererseits scheint es ihr zu gefallen, diese Erwachsenen an einem Sonntagmorgen, wenn sich alle ungebügelt und angeknittert um den großen Küchentisch versammeln, mit ihrer eigenen, vollendeten und strahlenden Erscheinung zu konfrontieren.
Ich nenne sie für mich Paris Hilton, wegen der Sachen, die sie später am Tag trägt und die deutlich am Outfit reicher Partyschnepfen ausgerichtet sind. Eigentlich ist das unfair. Lila, wie sie hier mal heißen soll, ist viel intelligenter als Frl. Hilton, zu schlau für ein Leben mit dem Mainstream, dem sie aber vorerst generell huldigt. Sie hat mir mal die Top Ten genannt, die man hören muss, eine Liste, die jetzt, ein Jahr später, längst nicht mehr gilt. Sie will alles richtig machen, wobei sie Prioritäten setzt: Schminken geht vor Schule. Sie kommt eher zu spät, als dass sie sich mit unvollendetem Make-up blicken ließe.
Als ich sie kennenlernte, war Lila neun. Sie sah mich hilflos an der Kaffeemaschine herumwursteln und sagte: »Darf ich dir diese Mühe ersparen? Was möchtest du?« Zwei Minuten später reichte sie mir einen perfekt beschäumten Cappuccino. Als wir uns neulich nachts über sie unterhielten und rätselten, warum sich ausgerechnet ein Kind aus einem mainstreamfernen Kreativhaushalt derart dem Diktat der Mode unterwirft, lehnte das Mädchen plötzlich mit dem Lächeln einer Diva in der Küchentür und sagte: »Das ist ja hochinteressant, was man hier so über sich zu hören bekommt.« Peinlich …
Lilas Mutter macht sich ein bisschen Sorge über den Outfit-Perfektionismus ihrer Tochter, ist aber zuversichtlich, dass die das hinter sich bringt. Andere Kinder beginnen erst mit sechzehn oder sogar nie, sich gegen die Vorstellungen ihrer Eltern zu profilieren, Lila hingegen wird mit sechzehn womöglich Lachkrämpfe kriegen, wenn sie Paris Hilton sieht, und sich dem Studium der Teilchenphysik widmen. Womöglich. Man weiß es nicht. Auch Intelligenz schützt nicht vor einer Laufbahn, die auf dem Chefsessel der »Vogue« gipfelt, und Lila wäre wahrscheinlich der schlaueste Teufel, der je Prada trug.
Nun aber sitzt sie zwischen sieben zerknitterten, gut gelaunten, peinlichen Erwachsenen am Frühstückstisch und zieht eine Fünf-Kilo-Dose Nutella zu sich heran, ein Monument der Versorgungssicherheit, und häuft sich genüsslich das Zeug aufs Brötchen. Ohne Rücksicht auf Linie und Lippenstift schlingt sie es runter. Bei Erwachsenen muss man nicht so manierlich sein, und immerhin ist es Markenware. Es gibt sogar Croissants. Peinlich eigentlich.
Der Nachbar aus Nummer 13
Kafka ist gar nicht so. So kafkaesk. Ich begegne ihm jetzt manchmal, mit einem Abstand von 85 Jahren zwar, aber nachbarschaftlich. Er wohnt bloß sieben Häuser weiter, an derselben Straße im Süden von Berlin. Kafka musste damals nicht den Strom der Autos abwarten, um sie zu überqueren und zum