Odersumpf. Marina Scheske

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Odersumpf - Marina Scheske


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kleine, zierliche Gestalt lehnte sich weit hinaus. Ihr Blick schweifte über den Parkplatz, wanderte hinüber zum Einkaufszentrum und verweilte am Rande des Waldes. Es duftete nach Kiefern. Irgendwo schrie ein Vogel, nebenan öffnete sich die Haustür, Männer trugen einen Sarg hinaus.

      »Konrad! Komm mal her, ein Leichenwagen, das bringt Glück!«

      Ihr Mann kam brummelnd aus den Tiefen der Wohnung herbei.

      »Was ist los, Schnecke?« Er legte seinen Arm um ihre Schultern, sie schmiegte sich an ihn.

      »Ach Schnecke! Du mit deinem Aberglauben.«

      »Aber das hat meine Oma immer gesagt! Und es stimmt! Erinnerst du dich? Damals, am Tag, als ich erfuhr, dass ich mit Max schwanger bin, da habe ich auf dem Weg zum Arzt auch einen Leichenwagen gesehen.«

      »Leichenwagen hin oder her, ich mach mir jetzt ein Bier auf. Und du, ein Glas Rotwein?«

      »Rotwein und Bier? Haben wir doch gar nicht da.«

      »Ich war schnell einkaufen, hast du nicht gemerkt, nicht wahr? Und die Pizza, die steht schon im Ofen, die habe ich auch geholt.«

      »Ohne dich würde ich glatt verhungern. Aber wir haben ja gar keine Teller! Ich weiß nicht, in welchem Karton die sind.«

      Konrad grinste. »Im Handgepäck sind zwei Teller, Tassen, Besteck und zwei Gläser.«

      Wie immer, wenn es um das leibliche Wohl ging, hatte er an alles gedacht. Laura wusste das sehr zu schätzen. Und so saßen sie zwischen Umzugskartons, aßen und tranken schweigend, bis sie sagte: »Ich wollte nie wieder zurück nach Friedrichsfeld.«

      Konrad kaute, spülte mit Bier nach und schwieg.

      »Ich auch nicht«, antwortete er schließlich, »das weißt du doch. Aber wir haben momentan keine Alternative! Es gibt kaum noch bezahlbare Mietwohnungen in den Städten der Region. Sei froh, dass wir hier untergekommen sind.«

      Laura stellte ihr Glas zurück. Etwas zu heftig, der Wein schwappte über den Rand. Sie stand auf, um einen Lappen zu holen.

      »Ich bin nicht froh, Konrad!«

      Sie wischte, wo es nichts mehr zu wischen gab, tief beugte sie sich über den Tisch, ihr Haar fiel ihr wirr ins Gesicht. Dann schaute sie auf und flüsterte heiser: »Wir haben uns vertreiben lassen. Von denen! Das muss man sich mal vorstellen!« Achtlos warf sie den Lappen auf die Tischplatte, ließ sich auf ihren Stuhl fallen und trank hastig einen Schluck Wein.

      »Bitte heute kein Drama mehr, Laura! Ich bin total kaputt. Du wolltest nach Creywitz und du wolltest wieder weg. So ist es doch, oder?«

      »Ach, jetzt bin ich schuld! Wer hat denn immer gesagt, er will ein Haus auf dem Land haben, ein Häuschen mit Garten? Wie der Urvater und so weiter und so fort! Du doch! Du hast gesagt, Berlin mit Kindern, das passt nicht! Und jetzt bin ich ganz allein schuld. Du weißt, ich wollte es auch wegen der Kinder. Damit sie endlich mal was anderes kennenlernen als Spielplätze voller Hundekot und Glasscherben! Damit sie sehen, dass es da draußen viel schönere Dinge gibt als Einkaufszentren! Hast du vergessen, dass die Dealer anfingen, im Viertel herumzustreichen? Und nun bin ich schuld!«

      Hastig lief sie im Raum hin und her, viel Platz hatte sie nicht zwischen den Umzugskartons. Sie stieß sich prompt, fluchte und schwang sich schließlich auf das Fensterbrett. Da hockte sie nun wie ein kleiner rothaariger Troll und schleuderte wütende Blicke.

      Ich liebe diese Frau, dachte Konrad. Besonders, wenn sie wütend ist. Aber jetzt darf ich nichts Falsches sagen, sonst geht das ewig so weiter. Stress hatten wir heute genug.

      Er stand auf, ging zu ihr und strich ihr sanft das Haar aus der Stirn.

      »Keiner von uns ist schuld«, sagte er leise. »So was weiß man doch nicht vorher. Wir hatten einfach Pech, Laura. Nun sind wir hier und wir werden das Beste draus machen. Es muss ja nicht für immer sein. Morgen holen wir die Kinder. Alles wird gut.«

      Laura umarmte ihn. »Ja, natürlich wird alles gut. Wir werden das schon hinkriegen. Bisher haben wir immer alles geschafft. Ich bin nur froh, dass wir das Haus noch nicht gekauft hatten.«

      »Das war so abgemacht, erst mieten, dann eventuell später kaufen. Außerdem zahlen wir hier dreihundert Euro weniger Miete und zwei Autos brauchen wir auch nicht mehr. Ich muss nur um die Ecke gehen, dann bin ich auf Arbeit. Weißt du, was wir da alles sparen?«

      »Ach Konrad, du musst mir jetzt nichts schönreden. Ich denke, wir haben es richtig gemacht. Allein der Kinder wegen.«

      »Laura, überall gibt es irgendetwas, du kannst sie nicht in Watte packen. Aber hier haben sie wenigstens eine Oma vor Ort.«

      »Ich bin gespannt, wie meine Mutter mit ihnen zurechtgekommen ist. Mit Ronja versteht sie sich ja gut, aber mit Max?«

      »Da mach dir mal keine Gedanken, die wissen genau, dass sie sich bei Oma benehmen müssen. Ich finde, ein wenig mehr Konsequenz würde ihnen ganz guttun.«

      »Ach, fängst du jetzt auch schon so an wie meine Mutter?«

      »Laura, komm, lass es gut sein.«

      »Ja, ist ja gut! Max ist nun mal besonders, das weißt du.«

      »Jeder Mensch ist besonders, auch deine Mutter.«

      Laura erinnerte sich an das, was zu Ostern passiert war. Sie sah die Schrift an der Hauswand, die rot in der Sonne leuchtete. »Verräter«, stand dort, eilig hingeschmiert. Sie sah das fassungslose Gesicht ihrer Mutter und sie sah Konrad, wie er sich über die weinende Ronja beugte. Und sie sah den lachenden Max.

      »Meinst du, Grafs Anhänger haben unser Haus besudelt?«

      »Nein! So was machen die nicht, darüber haben wir doch schon oft gesprochen! Du weißt, wie die ticken. Sie verkaufen sich als Biedermänner, als brave Volksgenossen. Die beschmieren keine Wände. Die gehen viel subtiler vor. Ich bin fest davon überzeugt, dass es jemand aus dem Dorf war.«

      »Sie gehen subtil vor. Da hast du recht, besonders ihre Kinder können sehr subtil sein, subtil grausam.«

      Laura erinnerte sich, wie Ronja schluchzend unterm Johannisbeerstrauch lag, ihre Kleider und ihr Haar waren voller Jauche. »… fass mich nicht an, Mama, ich bin so schmutzig …«

      »Die Sache mit dem Interview, das war der Auslöser, Laura, danach ging es richtig los.«

      »Warum soll ich schweigen, wenn ich reden muss? Ich lass mich nicht mundtot machen, ich nicht!«

      »Und? Was hast du nun davon? Der Kerl von der Zeitung, der hat seine Story gehabt, der hat sich wieder in sein Auto gesetzt und ist abgedampft in den Westen. Wie schön, all diese arroganten Wessis konnten eine Woche später lesen, was in den ostdeutschen Provinzen so los ist. Zieht die Mauer wieder hoch, werden sie sagen, mit denen wollen wir nichts zu tun haben. Aber weißt du, was sie vergessen? Vergessen und verdrängen? Dass in ihrem schönen Westdeutschland fast alle Nazis gut überlebt haben und in den Fünfziger- und Sechzigerjahren wieder in einflussreichen Positionen saßen! Und dass sie die ganze braune Scheiße an ihre Kinder weitergereicht haben. Da hat auch der neue Aufbruch 1968 nicht viel gebracht. Das war nicht die Mehrheit, das kam nicht von unten aus der breiten Bevölkerung. Nein, das waren die Kinder des Bildungsbürgertums, die gegen ihre Eltern protestierten. Der braune Dreck blieb und jetzt importieren sie ihn in den Osten. Die Rattenfänger nutzen die Unzufriedenheit der Leute und die Strukturschwäche unserer Gegend aus. Du weißt, die DDR war nie mein Land. Aber eines steht fest, hier wurde der Faschismus konsequent bekämpft.«

      »Von oben, Konrad! Der Antifaschismus wurde von oben verordnet.«

      »Aber immerhin, das haben wir denen voraus. Bei uns gab es keine Nazirichter und Naziärzte, die einfach weitergemacht haben. Bei uns gab es keinen Herrn Globke, einen Nazi, der Regierungsberater wurde! Und jetzt tun sie so, als hätten wir die AfD erfunden. Es kotzt mich an. Dieses Land ist in mehrfacher Hinsicht zutiefst gespalten. Am liebsten würde ich auswandern, aber ich denke, ein Abenteuer reicht. Ich werde in zwei Jahren fünfzig.«

      »Konrad,


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