Odersumpf. Marina Scheske

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Odersumpf - Marina Scheske


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haben Arbeit, zu essen, zu trinken und ein Dach über dem Kopf. Alles wird gut. Nur den Garten, den werde ich vermissen. Den muss ich mir richtig aus dem Herzen reißen.«

      »Wir können ja einen Kleingarten pachten, was hältst du davon? Hier werden immer welche angeboten, für ganz wenig Geld.«

      *

      Der Vollmond schien ins Zimmer und warf gespenstische Schatten an die Wände. Laura hatte in Ermangelung eines Vorhangs ein Laken vor das Fenster gehängt, dennoch hatte sie das weiß und silbern glänzende Licht nicht aussperren können.

      Davon ließ sie sich nicht stören, sie schlief tief und traumlos. Konrad beneidete sie um diese Gabe, sie konnte immer und überall schlafen. Er wälzte sich oft schlaflos hin und her, stand auf, wanderte herum und war manchmal sogar ein kleines bisschen wütend auf die seelenruhig schlummernde Frau an seiner Seite. Vielleicht lag es an ihrem unterschiedlichen Temperament. Bei Laura musste alles immer gleich raus. Aufbrausend verschaffte sie sich Luft, wenn ihr etwas nicht passte, und trat dabei gern in alle Fettnäpfchen. Ins Bett nahm sie nichts mit. Konrad hingegen fraß tagsüber vieles in sich hinein. Es blieb in seiner Seele liegen wie ein Stein, den er nachts wälzen musste.

      Doch nun, nach einem anstrengenden Tag, schlief auch er, ein paar Oktaven tiefer und gehörig lauter schnarchend als seine Frau.

      Konrad hatte einen beunruhigenden Traum:

      Er sieht sich im Garten seines Urgroßvaters. Er steht unter einem mächtigen, alten Nussbaum und er ist so alt wie seine Tochter Ronja. Er trägt eine blaue Latzhose, sie ist ihm zu kurz, er wächst zu schnell. Sein Haar ist fast weiß, ausgeblichen von der Sonne. Das ist ein Traum, denkt er, ich bin kein kleiner Junge mehr und der Garten meiner Kindheit ist nichts weiter als eine schöne Erinnerung.

      Für einen kurzen Moment tauchte er auf aus den Tiefen seines Traumes und öffnete die Augen. Dann drehte er sich auf die andere Seite und träumte weiter:

      Der Nussbaum. Konrad sieht die zahlreichen noch unreifen Früchte in grüner Schale, es wird eine große Ernte geben. Die Nüsse auf dem bunten Teller zu Weihnachten, dazu die Lebkuchen, mit Urvaters eigenem Honig werden sie gebacken, daneben liegen die rotbackigen Äpfel.

      Plötzlich steht der Urvater vor ihm, taucht einfach so aus dem Nichts auf. Er trägt einen Imkerhut, der Schleier verhüllt sein Gesicht. Jetzt nimmt er den Hut ab und wischt sich mit einem rotkarierten Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Schweigend stehen sie sich gegenüber und Konrad fühlt, der Urvater möchte hören, was er ihm zu sagen hat. Er muss Rechenschaft ablegen, aber er bringt kein Wort über seine Lippen. Er ist doch tot, denkt er, er kann nicht hier sein. Es ist nur ein Bild, er ist gar nicht da.

      Sein Urvater schaut nun in die entgegengesetzte Richtung und er folgt seinem Blick. Dort vorn an der Pforte, genau unter dem Spalier mit den blühenden Rosen, da steht der Graf. Er muss sich täuschen, das geht nicht, denkt Konrad, er ist in der falschen Zeit.

      Der Graf trägt eine schwarze Zimmermannstracht. Die silbernen Knöpfe der Weste blitzen in der Sonne, das Hemd ist schneeweiß. Auch er sieht unwirklich aus, wie ein Bild.

      Der Graf lächelt. Nein, das ist kein Lächeln, sondern ein zynisches Grinsen. Ein Grinsen, von dem Laura sagt, es würde ihr zeigen, wie gefährlich dieser Mann sei. Wie eingemeißelt wirkt es, dieses Grinsen, das die Überlegenheit des Stärkeren ausdrücken soll. Es ist die Überlegenheit einer Stärke, die er sich nicht selbst erworben hat, sondern zufällig durch Geburt besitzt, die er jedoch weidlich zum eigenen Wohle und zum Nachteil anderer Menschen ausnutzt.

      Konrad sucht seinen Blick, er schaut direkt in seine dunklen, tiefstehenden Augen. Plötzlich weiß er, dass dieser Mann sich nicht in der falschen Zeit befindet. Er war schon immer da, immer und ewig, zu jeder Zeit, an jedem Ort.

      Der Drang, dem Urvater mitzuteilen, wie gefährlich dieser Mann ist, steigt übermächtig in ihm auf und er bemüht sich um Worte. Alles will er ihm sagen. Was passiert ist im letzten Jahr und warum es passiert ist, was er wollte für seine Familie und weshalb er es nicht geschafft hat. Er muss Rechenschaft ablegen vor dem Urvater.

      Urvater, so nennt er ihn, »Urgroßvater« ist zu lang für den kleinen Jungen, der sich schwertut mit der Sprache, dem die Zunge nicht gehorchen will.

      Der Urvater dreht sich um und geht ins Haus, dann kommt er mit seinem alten Luftgewehr zurück und zielt auf den Grafen. Konrad schaut zu, wie der Kopf des Mannes von den Schultern fällt und über den Weg kullert, eine bizarre Szene. Urvater hat den Grafen ermordet! Wieder bemüht er sich, etwas zu sagen. Es fühlt sich an wie damals, als er vier war und seine Mutter mit ihm zu einem Logopäden gehen wollte. Aus lauter Angst vor diesem ominösen Mann rang er sich die Worte aus der Kehle und konnte plötzlich sprechen.

      »Kein Land«, stößt er hervor, die anderen Worte sind nur ein dumpfer, unverständlicher Sprachbrei.

      »Kein Land!«, ruft sein Urvater zurück. Oder war es ein Echo? Ein Schwarm Spatzen fliegt aufgeregt zwitschernd aus dem Holunderbusch neben ihm. Der Himmel dunkelt, alles flieht, der Garten ist fort und hat den Urvater mitgenommen.

      Konrad saß aufrecht im Bett, sein Herz schlug wie ein Trommelfeuer.

      Hellwach stand er am Fenster und presste die Stirn an die kühle Scheibe. Urvater, dachte er und wieder hörte er seine Stimme. »Kein Land«, rief sie, »kein Land für dich, Konrad. Du schaffst es nicht, der Graf ist stärker als du. Du bist zu weich. Dabei bist du doch ein Wieland, hast du das vergessen?«

      »Leck mich, Urvater«, sagte er laut. Er schluchzte wie ein Kind. Ich habe versagt, dachte er, auf der ganzen Linie. Ich habe mich von diesem rechten Pack verjagen lassen. Es ist eine Schmach, so nennt man das doch, Schmach und Schande, nicht wahr, Urvater? Ich bin kein Kämpfer, ich wollte nie einer sein, weil ich fand, dass genug gekämpft wurde und immer noch mehr gekämpft wird auf diesem Planeten. Meine Welt war harmonisch und überschaubar, da gab es nichts zu kämpfen, und das fanden wir gut so, Laura und ich und unsere Freunde. Wir wollten eine Welt des Friedens und der Liebe, eine Welt ohne Hass und Vorurteile, eine Welt der Toleranz. Aber während wir unsere friedlichen Feuer hüteten und unseren Kindern die Liebe lehrten, da waren sie schon längst wieder da, krochen aus ihren Löchern und gebärdeten sich, als wären sie nie weg gewesen. Zwei, drei Jahre wird es noch dauern, dann sind sie wieder das, was die Leute früher »gesellschaftsfähig« nannten. Wir haben es verpennt und die da oben erst recht.

      Wie soll ich mich denn wehren, Urvater? Ich kann doch keine Flinte nehmen und ihn erschießen, dann komme ich in den Knast. Rein juristisch gesehen hat er mir nichts getan! Jeder Richter würde das so beurteilen und auch jeder Bürger.

      Wenn sie jemanden schikanieren, um ihn zu vertreiben, machen sie das verdeckt, in aller Stille.

      Sie können ihren Widersachern sehr wohl das Leben zur Hölle machen, ohne auch nur ein einziges Gesetz zu übertreten. Sie sitzen auf ihren Höfen, kaufen alles Land, was sie kriegen können, und instruieren ihren Nachwuchs.

      Ihre Kinder wachsen auf im elitären Bewusstsein einer Heilslehre, die jeden, der anders als sie ist, rigoros aus der Gemeinschaft ausschließt. Kalt, gnadenlos. Die würden dich im tiefsten Winter irgendwo nackt aussetzen und wären davon überzeugt, dass sie das einzig Richtige tun. Wie weit ist es dann noch bis zur Gaskammer?

      Konrad ging ins Bad und hielt den Kopf unter die Dusche. Er schüttelte sich wie ein nasser Hund, an Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken. In der Küche stand noch der Wein, er setzte sich an den Tisch und griff zur Flasche. Hastig wie ein Säufer trank er und dachte dabei, das ist auch keine Lösung. Sich besaufen, wenn man wütend ist, das bringt nichts, davon wird es noch schlimmer.

      »Nein, Urvater«, flüsterte er, »ich werde nicht schießen. Ich bin nicht wie du, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Du hast doch mal gesagt, es stehe in der Bibel. Ich bin nicht wie du, wir leben in einer anderen Zeit. Aber ein Teil von dir, von dem, was du mir erzählt hast, ist immer bei mir. Und ich weiß, es ist wertvoll, es ist so kostbar wie ein Schatz. Es ist in mir und deshalb wollte ich dieses Land, diesen Garten und das Haus besitzen. Nicht um so zu werden wie du. Ich wollte etwas Bleibendes haben, weil alles so flüchtig und schnell geworden ist. Ich wollte mir das zu eigen machen, was du


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