Max Reinhardt in Leopoldskron. Gusti Adler

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Max Reinhardt in Leopoldskron - Gusti Adler


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Es war zunächst eine leere Schale. Nur wenige Möbel standen in den vierzig Zimmern, aber kunsthistorisch wertvolle Stuckdecken, herrliche alte Barocköfen, Bilder, die Halle, das architektonisch vollendete Stiegenhaus, der Marmorsaal gaben Max Reinhardt den Leitton für die schönste Bau-Inszenierung seines Lebens. In den zwei Jahrzehnten, die ihm dort vergönnt waren, hat er diesem verwahrlosten, verfallenden Haus den Glanz seiner barocken Vergangenheit wiedergegeben. Was er hinbrachte, wurde mit empfindsamer Hand eingefügt. Es war für ihn in späteren Jahren immer eine besondere Freude, wenn Sammler oder Kunsthistoriker das Schloss besichtigten und Ursprüngliches nicht mehr von dem unterscheiden konnten, was er hineinkomponiert hatte. (Auch meine Schwester durfte zu dieser Komposition beitragen. Sie war Malerin und Restauratorin, und Max Reinhardt betraute sie mit verschiedenen Aufgaben in Leopoldskron. Er wollte unterhalb der Fenster im Venezianischen Zimmer Blumenstücke haben. Das Deckenbild in diesem Raum mit Commedia-dell’arte-Figuren stammt ebenfalls von ihrer Hand. Für das Speisezimmer malte sie zwei Blumenstücke, die dort in Stuckrahmen eingelassen sind.)

      In diesen frühen Jahren, unmittelbar nach dem Ankauf, trug Reinhardt die Vision dessen, was er aus dem leeren Haus machen wollte, bereits in sich. Auch diesen Traum hat er später verwirklicht: Kammermusik-Abende, Theatervorstellungen im Marmorsaal und im Gartentheater, Serenaden auf der Seeterrasse.

      Die Einnahmen seiner Arbeitsjahre hat er in die Ausgestaltung dieses Hauses investiert. Wer wollte die Bilanz ziehen zwischen der schöpferischen Freude, die er dabei Jahre hindurch genoss, und der Sorgenlast, in die sich alles in den Jahren wirtschaftlichen und kulturellen Niederganges wandelte, bis zuletzt nur der unerfüllte Wunsch blieb, dem Moloch, zu dem dieser Besitz geworden war, zu entfliehen, sich der Schuldenlast durch Verkauf zu entledigen. Ungerechtfertigte Steuern, mit denen sein Berliner Theaterbesitz nach 1933 belastet worden war, um ihn der Regierung in die Hände zu spielen, hatten zu der Katastrophe beigetragen und im Zusammenhang damit auch seinen österreichischen Besitz bedroht. Schließlich beschlagnahmte die Gestapo im Juli 1938 Schloss Leopoldskron. Max Reinhardt nahm die Nachricht dieses Verlustes mit stoischer Ruhe auf. In einem Satz fasste er zusammen, was er dazu zu sagen hatte: »Ich habe es gehabt.«

      Der Raub Leopoldskrons wurde nach der Einnahme von Salzburg durch die Amerikaner rückgängig gemacht. Max Reinhardt hat es nicht mehr erlebt.

      »Jedermann«

      Mitte April 1920 wurde von der Salzburger Festspielhausgemeinde feierlich beschlossen, trotz aller Ernährungsschwierigkeiten das »Sommerspiel« vorzubereiten. Man hatte sich entschlossen, auf das Schauspiel in einer Kirche zu verzichten und Reinhardts Vorschlag zu folgen, den Jedermann im Freien, auf dem Domplatz, aufzuführen. Fürsterzbischof Dr. lgnatius Rieder begrüßte dieses Vorhaben. Er schrieb am 21. Juli 1920 an Max Reinhardt:

      Für das freundliche Schreiben do. 16. Juli ergebenst dankend, kann ich nur wiederholen, daß ich mich vom Herzen freue, wenn dieses tiefergreifende Spiel zur glücklichen Aufführung kommt; es wird einen mächtigen reinigenden Eindruck machen. Für alle Arbeiten, die Sie, hochgeehrter Herr, im Dienste idealer Zwecke machen, bestens dankend, bin ich

       Ihr ganz ergebener

       Dr. Ignaz Rieder

       Fürsterzbischof von Salzburg

      Als es dann im August tatsächlich dazu kam, schien sich zunächst alles gegen dieses Unterfangen zu verschwören: Unruhen in der Stadt und die Unsicherheit des Wetters, mit der man freilich in dem regenreichen Salzburg in bösen und in guten Zeiten immer rechnen musste. Max Reinhardt hat – zwanzig Jahre später – in Amerika in einem Brief geschrieben:

      Die Salzburger Festspiele habe ich gegründet, als eine Hungerrevolte in der Stadt wütete und als man den Wein aus den Kellern des Hotel Europe auf die Bahnhofstraße laufen ließ. – Aber am Nachmittag brach die Sonne durch und die Leute saßen stramm auf dem Domplatz. Das ist freilich vorüber, aber es hat immerhin achtzehn Jahre gedauert, und die große Welt ist in die kleine Stadt gepilgert.

      Alles, was in späteren Jahren so selbstverständlich schien, musste in diesem ersten Sommer geschaffen und erkämpft werden. Die Bühne auf dem Domplatz, die Tribünen für die Zuschauer, der Raum für Proben – in der Aula der alten Universität – die Verteilung der Schauspieler-Garderoben in die Häuser im Dombezirk, die Jedermann-Rufe von den Türmen der Stadt. In letzter Minute musste ein ansprechendes Programm für die Aufführung entworfen werden. Landeskonservator Eduard Hütter, ein fähiger Zeichner und Architekt, der auch für Reinhardt und die Festspiele tätig war, wurde mit dieser Aufgabe betraut. Aber er war in diesem ersten Festspielsommer so überanstrengt, dass ihm die Ausführung dieses Auftrags nicht leicht fiel. Ich hatte damals gerade Wilhelm Worringers »Altdeutsche Buchillustration« gelesen. Der Holzschnitt »Der reiche Narr und der Tod« aus Sebastian Brants »Narrenschiff« (Basel, Bergmann von Olpe, 1494) schien mir die Lösung des Programm-Problems zu bringen. So zeigte ich Hütter das Buch. Er sah die Reproduktion des Holzschnittes, und die Idee leuchtete ihm ein. Die Programmillustration für die erste Jedermann-Aufführung war gefunden. Eine große Erleichterung für Hütter und eine Freude für mich.

      Reinhardt lag, begreiflicherweise, ungemein viel an dem Läuten der Kirchenglocken in entscheidenden Augenblicken der Aufführung. Es gab keinen Präzedenzfall dafür, und es schien hoffnungslos. Schließlich gelang es mir aber doch, es in seinem Namen bei den geistlichen Behörden durchzusetzen, und ich werde seinen Blick zu mir herüber nie vergessen, als bei der Premiere des Jedermann die Glocken zum ersten Mal zu läuten begannen.

      Zum ersten Mal trat der Spielansager vor, und über die Stille der Menschen auf dem weiten Platz kam der Auftakt des » Spieles vom Sterben des reichen Mannes« –

      zum ersten Mal die Stimme des Herrn von der Höhe des Domes, in seiner Zwiesprache mit dem Tod –

      zum ersten Mal der Auftritt Moissis aus der Reihe der Zuschauer, wo er in dunklem Mantel gesessen hatte –

      zum ersten Mal der Arme Nachbar; – Schuldknechts Weib, Tiny Senders, mit zwei Salzburger Kindern –

      zum ersten Mal die vergnügten Fackelbuben, die in vielen Proben in der Aula vom Hilfsregisseur Richard Metzl abgerichtet worden waren – die Buhlschaft von Johanna Terwin, der Gattin Moissis – das Auftreten der Tischgesellschaft aus den Domarkaden, ihr marionettenhafter Tanz – die lange Tafel, und zum ersten Mal Moissis Erschauern vor der Ungeheuerlichkeit des Todes –

      zum ersten Mal Krauß als Tod und als Teufel – den Hofmannsthal allerdings lieber von einem Komiker als von einem Charakterdarsteller gespielt haben wollte. Hofmannsthal hatte dies in einem an mich gerichteten Brief für Reinhardt, in dem es um Besetzungsfragen ging, ausführlich begründet. Er schrieb, dass ihn

      …bezüglich der Besetzung von Jedermann alles befriedige bis auf den leidigen Punkt, daß nun abermals den Teufel ein Charakterspieler geben soll an Stelle eines Komikers; wenn auch ein sehr guter Charakterspieler, nämlich Krauß. Der Teufel ist nun aber einmal der Hanswurst, und gar in einer naiveren Sphäre, wie es das katholische und ländliche Salzburg ist, scheint mir alles darauf anzukommen, daß es in diesem Punkt stimmt. Die andere Figur, die unbedingt von einem Komiker gespielt werden müßte, ist der Dünne Vetter …

      Zum ersten Mal Helene Thimig, die später den Glauben spielte, damals als Gute Werke, Dieterle, der Gute Gesell, Frieda Richard als Jedermanns Mutter – und dann der dunkle Leichenzug im Schatten des Domes, während Jedermanns Seele sich zum Himmel aufschwingt.

      Zum ersten Mal die Jedermann-Rufe von den Türmen der Kirchen und, der erschütterndste von allen: der Jedermann-Ruf von der Festung, den der Wind geisterhaft herabtrug –

      zum ersten Mal der Flug der Tauben, die, ihrem eigenen Stichwort folgend, unverhofft aus den Domtüren aufflogen, aber immer, so schien es, an einer Stelle des Dialoges, die ihrem Flug etwas Symbolisches gab –

      zum ersten Mal das Spiel von Sonne und Wolken, von jähen Windstößen, die Todesschauer über die gebannte Menge der Zuschauer trugen –

      zum ersten Mal die Dämmerung, die sich kühl über den Platz herabsenkte, so dass zuletzt nur noch die Türme des Domes im warmen Licht des Sonnenunterganges ragten. Leise vom Winde bewegt der gotische


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