Gefährliche Geschäfte. Adi Waser

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Gefährliche Geschäfte - Adi Waser


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      Adi Waser

      Gefährliche Geschäfte

      1. Auflage 2013

      © 2013 Adi Waser

      Alle Rechte vorbehalten

      Widmung:

      „Dieses Buch widme ich meiner Frau Jeanine, in dankbarer Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit, und meinen beiden Söhnen Mischa und Marcel, auf die ich sehr stolz bin.“

      1

      Dr. Otto Abramowitsch schlief erneut unruhig in dieser Nacht. Zentnerschwere Albträume raubten dem Vierundfünfzigjährigen seit Tagen den Schlaf.

      Im Traum wurde einmal mehr sein in viel Glas und blauem Stahl gehaltenen Sichtbetonhaus von einem riesigen Bergsturz verwüstet. Gesteinsbrocken, so gross wie Einfamilienhäuser, donnerten wie das Jüngste Gericht mit ohrenbetäubendem Getöse zu Tal, vollführten Riesensprünge und zerstörten beim Aufprall alles. Glas splitterte mit hellem Laut, und fiel rieselnd zu Boden. Stahlträger ächzten und quietschten markerschütternd, bevor sie sich in alle Richtungen verbogen. Der Seitenarm eines Murganges schob kleinere Steine rumorend und scheppernd wie Vorposten einer Apokalypse bedrohlich von drei Seiten her ans Haus. Sein futuristisch angelegter Vorgarten mit seinen teuren Bonsai-Bäumen und rostigen Metallskulpturen wurde dabei gnadenlos Stück für Stück verschluckt.

      Nur seine weit aufgerissenen, überquellenden Augen und sein Gehirn waren fähig, das Unabänderliche in sich aufzunehmen. Der Rest war wie vom Bannstrahl getroffen. Als er die Lethargie endlich überwinden konnte, versuchte er, sich im Labyrinth seines bunkerartigen Untergeschosses in Sicherheit zu bringen. Beim Laufen kam es ihm vor, als ob er zähen Leim an seinen Schuhsohlen hätte. Es nützte alles nichts, die Grundmauern wurden vom Inferno aus dem Fundament gesogen, und zurück blieb nichts als ein schwerer Mantel aus Staub und stockdicker Luft. Und eine lähmende Stille.

      Schweissgebadet und nach Luft japsend, zog Abramowitsch gierig frische Luft in seine Lungen. Zitternd knipste er sein Nachtlicht an, hockte auf den Bettrand und versuchte, sich zu beruhigen.

      Sein Haus lag mitten in Zürich, am Zürichberg und weitab von Bergen und Felsen, geschützt von viel Mischwald aus massigen Buchenstämmen und schlanken, hochgewachsenen Tannen.

      „Was sollen die Scheissgeschichten, die ich seit einigen Nächten träume?“ Ärgerlich rieb er sich die Augen und gähnte dazu wie ein Flusspferd. Er schielte auf den Wecker und fragte sich, ob sich um fünf Uhr in der Früh ein Weiterschlafen denn noch lohnen würde.

      Schon gestern litt er unter furchtbaren Träumen. Ein totenbleiches, schweigendes Gesicht tauchte aus dem Nichts auf, geboren wie aus dem Gruselkabinett. Ausdruckslos, mit übergrossen, schräggestellten Augen, lid-, wimpern- und brauenlos schaute es ihn an. Ohne auch nur eine winzige Regung zu zeigen, kroch jetzt ein Abbild des Gruselgesichts direkt in die Gedankenwelt Abramowitschs hinein. Es machte unmissverständlich klar, dass es ihm jetzt gleich sein Gehirn zur Nase herausziehen werde.

      Abramowitsch brüllte, fuchtelte mit den Armen, und versuchte sich irgendwie zu wehren. Es nützte nichts. Er verlegte sich aufs Betteln. Das schweigende Gesicht starrte nur teilnahmslos durch ihn hindurch, so, als ob es ihn gar nicht realisieren würde.

      Abramowitsch konnte plötzlich einen ansteigenden Druck im Kopf verspüren, der sich rasch zum rasenden und pochenden Schmerz auswuchs. Feuerräder tanzten vor seinen Augen:

      „Dieses Ungeheuer will mir doch tatsächlich mein Gehirn aus der Nase ziehen? Mit reiner Gedankenkraft?“ durchschoss es ihn entsetzt. Zu spät! Stöhnend wand er sich um die eigene Achse, als er fühlte, wie seine glitschig kalten Hirnwindungen langsam durch die warme Nasenwand herunter rannen, und dann mit einem schmatzenden Geräusch in einer Schüssel liegen blieben.

      Noch heute musste er sich angeekelt schütteln. Da fiel ihm auf, dass sich seit einigen Nächten seine Träume ständig um Rohstoffe und Diamanten drehten. Für seine Traumdienste wurde er vom Käufer stets im Voraus bezahlt. Sobald er aber liefern wollte, löste sich die Ware vor seinen Augen in Luft auf. In dieser Traumlandschaft geizten seine Geschäftsfreunde nicht mit Spott und Tadel, und als Geschäftsführer erntete er nur noch Kopfschütteln.

      „Verdammter Alltag, der jetzt auch noch in meine Träume dringt!“ Abramowitsch liess sich in die Kissen plumpsen, schloss die Augen und seufzte. „Zum Teufel, aber damit werde ich wohl auch nicht besser schlafen können!“

      Und den Schlaf, den hatte er doch bitter nötig, denn erst gestern hatte seine Sekretärin ihn im Vertrauen gefragt, ob er krank sei. Später, vor dem Spiegel des Toilettenraums, entdeckte er erstmals die dunkeln Ringe und Augensäcke. Sogar seine Sommersprossen schienen blass und kraftlos.

      Und obendrein spottete ein Geschäftsfreund, dass vermutlich kurze Nächte mit viel Champagner und teuren Zigarren dahinterstecken. Vielleicht aber, wer weiss, habe es auch mit einer neuen Tussi zu tun? Ausgerechnet er, der Alkohol und Tabak verabscheute und endlich wieder glücklicher Junggeselle war.

      Abramowitsch teilte unter seinen Mitmenschen gerne verbal aus. Er konnte aber auch so einiges einstecken, denn eine Mimose war er wahrlich nicht. Von seinem Stiernacken bis zum breiten Kreuz hatte er im Verlaufe seines Lebens im übertragenen Sinne ein dickes Fell bekommen. Stur und uneinsichtig versuchte er, allen seinen Stempel aufzudrücken. Bei einigen eckte er derart an, dass es zu Verpuffungen oder sogar zu ausgewachsenen Explosionen kam. Aber auch dies konnte seiner Karriere keinen Abbruch tun.

      Nur bei Spott, da brannten ihm die Sicherungen durch. Da fühlte er sich missverstanden und gekränkt, was eigentlich überhaupt nicht zu seiner massigen Gestalt passte. Mit Untergebenen oder Menschen, mit denen er nichts zu tun haben wollte, fiel er im Gespräch durch ungehobelte Redensweise und unziemliches Benehmens auf. Er war aber keineswegs ein ungebildeter Mensch, wie es oft den Anschein hatte. Aber er trat einfach in jeden unnötigen Fettnapf, der auch nur in Sichtweite war.

      2

      Seltsames tat sich an jenem Morgen an der ältesten Diamantenbörse Antwerpens, der „Beurs voor“, an der Pelicanstraat 78. Wie viele Handelsgesellschaften war dort auch De Beers als weltgrösste Diamantengesellschaft vertreten. Ihre Interessen nahmen seit vielen Jahren unter anderen der jüdische Händler Ruben Stern erfolgreich war.

      Wie alle Tage sass Stern auch heute wieder an der Börse. Stern kratzte sich den Schädel, rieb sich die Augen und starrte weiter auf den Monitor. Seit Stunden schon zuckelte der Lospreis für eine gewisse Reinheitsklasse kontinuierlich in eine ihm unerklärliche Baisse.

      „Das wird sich sicher erklären lassen“, sinnierte er, den Kopf räuspernd auf beide Hände gestützt, fand aber keinen stichhaltigen Grund. Jedenfalls keinen, der ihm die grosse Erleuchtung brachte.

      Grosse, eigene Aufkäufe vermochten die Baisse nicht zu stoppen. Tiefes Durchatmen machte die Sache auch nicht besser. Und nichts, aber auch gar nichts wollte sich an jenem Morgen bewegen.

      Dabei war Stern bei Gott keiner, der sich mit über zwanzig Jahren Berufserfahrung so rasch ins Bockshorn jagen liess. Tief seufzte er auf, und streckte gleichzeitig die verkrampften Glieder:

      „Damit verbreite ich bei De Beers sicher keine eitle Freude! Wie im Tollhaus wird es dort nächstens zugehen. Eigene Klienten werden mich telefonisch bis tief in die Nacht hinein bestürmen, werden jammern und sich notfalls gar aufs betteln besinnen. Als ob ich denn ein Auskunftsbüro, oder gar ein Prognosen-Institut mit Garantieabgabe wäre“, murrte er.

      Ja, dieser Morgen war wahrlich nicht nach dem Geschmack von Ruben Stern, er roch förmlich schon das kommende Ungemach.

      Stern war ein traditionell geprägter Jude mit allem drum und dran, was halt so dazu gehört: Ein naturbelassener, wilder Vollbart, den Kopf stets mit Hut bedeckt und den empfohlenen langen Schläfenlocken. So, und mit korrekt geknüpftem Mantel trat er gemessenen Schrittes seinen Mitmenschen entgegen. Dabei blickte er ernst und würdevoll durch seine spiegelnde Nickelbrille, die ihm ein gewisses intellektuelles Aussehen verlieh. Auch innere Werte legte er gerne an den Tag: Das freundliche Nachfragen bei den Nachbarn. Der regelmässige Besuch in seiner Synagoge. Das anschliessende Gespräch mit Glaubensbrüdern. Die hilfreiche Suche nach einer geeigneten Arbeit für den


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