Dieses viel zu laute Schweigen. Petra Bunte
Читать онлайн книгу.y-line/>
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über www.dnb.de
© 2021 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln
www.niemeyer-buch.de
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: C. Riethmüller
Der Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.com
EPub Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbH
eISBN 978-3-8271-8406-1
Petra Bunte
Dieses
viel zu laute
Schweigen
Die Geschehnisse, sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden. Einige Fälle, die innerhalb der Geschichte erwähnt werden, basieren jedoch auf wahren Medienberichten, wie z. B. der Fall Kitty Genovese, Dominik Brunner, Tuğçe Albayrak und weitere Beispiele, die Felix entdeckt bzw. zugespielt bekommt.
Die Texte zu den Regeln der Zivilcourage stammen mit freundlicher Genehmigung zur Verwendung von den folgenden Internetseiten:
Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes
www.aktion-tu-was.de
Agentur MediaMix Bremen
www.zeig-courage.de
Außerdem wurde ich bei der Recherche unterstützt vom Bundesnetzwerk Zivilcourage, einem Zusammenschluss von o. g. und diversen anderen Vereinen und Organisationen, die sich sehr für das Thema engagieren. Weitere Infos unter: www.bundesnetzwerk-zivilcourage.de
„Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“
(Molière)
Anna
„Hey! Bist du schon zu Hause?“, klang mir die Stimme meiner besten Freundin gut gelaunt aus dem Handy entgegen.
In einem waghalsigen Manöver versuchte ich, gleichzeitig den Anruf anzunehmen, die Tür hinter mir zu schließen und die Tasche mit den Einkäufen dabei nicht fallen zu lassen. Es war, als hätte Nele bloß darauf gewartet, dass ich in meiner Wohnung angekommen war. Wie auch immer sie das machte, denn wegen einer Baustelle fuhr die S-Bahn zurzeit so unregelmäßig, dass ich selbst kaum wusste, wann das war.
„Schon ist gut“, grummelte ich und kickte mir die Schuhe von den Füßen. „Ich bin echt froh, dass ich endlich Feierabend habe. Dieses neue Buchungsportal macht mich wahnsinnig.“
„Ach, du Arme“, sagte meine Freundin mitfühlend. „Immer noch nicht besser?“ Sie hatte sich bereits die ganze Woche geduldig mein Gemecker über die Softwareumstellung im Reisebüro angehört. Heute war es mit der Anteilnahme allerdings schnell wieder vorbei, und ohne eine Antwort abzuwarten, fügte sie unerträglich munter hinzu: „Ich wüsste da etwas, was dich sicher aufmuntern wird.“ Dabei klang sie so furchtbar energiegeladen, wie es nur Menschen sein können, die samstags nicht arbeiten müssen.
„Oh nein, lieber nicht“, erklärte ich lachend, weil ich ahnte, dass Nele damit alles andere als einen gemütlichen Abend zu Hause meinte.
Und prompt konterte sie: „Oh doch! Ich weiß, dir ist jetzt wahrscheinlich eher nach Sofa zumute, aber da kannst du hin, wenn du alt und langweilig bist. Also …“ Sie hielt kurz inne und säuselte dann mit ihrer schönsten Bettelstimme: „Allerliebste Anna-Maus, es ist mir wirklich total wichtig. Würdest du bitte heute Abend mit mir ins Old Chap gehen? Du weißt schon, das ist diese urige Kneipe in der Nähe vom Bahnhof. Ich habe einen Hinweis bekommen, dass sich der Postmann da rumtreiben soll.“
Ich stöhnte auf und war nicht sicher, ob ich lachen oder weinen sollte. So viel zum Thema gemütlicher Sofaabend.
Meine liebe Freundin hatte es so richtig erwischt, nachdem sie neulich ein Paket bei diesem „superheißen Typen vom Postschalter“ abgeholt hatte. Seitdem bekam sie auf wundersame Weise ständig Lieferungen diverser Onlineshops, und da sie bedauerlicherweise nie zu Hause war, wenn der Paketbote kam, musste sie wohl oder übel immer wieder mit ihrem Benachrichtigungsschein an den Schalter. Doch jetzt hatte sich scheinbar eine Möglichkeit aufgetan, ihren Traumprinzen außerhalb der Post aufzuspüren. Und wenn Nele mit „allerliebste Anna-Maus“ anfing, würde es schwer für mich werden, aus der Nummer rauszukommen.
Ich fuhr mir mit der freien Hand müde durch die Haare und sagte: „Ach, Nelli. Wie zuverlässig ist deine Quelle denn? Und muss das heute sein? Ich hab wirklich keine Lust mehr auszugehen.“
„Bitte, bitte, bitte!“, bettelte sie. „Die Quelle ist absolut wasserdicht. Er hat mich nämlich selbst drauf gebracht. Aber alleine hingehen ist blöd.“
Hmmm. Das klang vielversprechend. Gleichzeitig amüsierte ich mich darüber, dass meine Freundin quengelte wie eine verknallte Sechzehnjährige, dabei hatten wir diese Zeiten seit über zehn Jahren hinter uns.
Sehnsüchtig betrachtete ich meinen E-Book-Reader auf dem Wohnzimmertisch und verfluchte die Tatsache, dass ich Nele so gut wie nie etwas abschlagen konnte. Und dass sie das genau wusste.
Ich seufzte ergeben und fragte: „Holst du mich wenigstens ab? Die S-Bahn ist im Moment eine einzige Katastrophe.“
„War das ein Ja?!“, quiekte sie begeistert. „Du bist die Beste! Aber abholen geht leider nicht, sorry. Mein Bruder hat mir grad so ein teuflisches Zeug zum Probieren gegeben, da bist du schon betrunken, wenn du nur dran riechst.“
„Und so willst du deinem Postmann begegnen?“, bemerkte ich skeptisch.
Nele lachte. „Ein bisschen Mut antrinken kann ja nicht schaden.“
Ich schüttelte belustigt den Kopf, bis mir etwas einfiel. „Und du bist wirklich sicher, dass er ausgerechnet heute da sein wird?“, vergewisserte ich mich. „Die deutsche Mannschaft spielt nachher bei der EM um den Einzug ins Achtelfinale. Da wird er doch sicherlich Fußball gucken, oder?“
„Man merkt, dass du noch ein bisschen Jan-geschädigt bist“, kicherte Nele. „Aber es kann ja nicht jeder so fußballverrückt sein wie dein Ex. Hoffe ich jedenfalls. Erinnere mich daran, dass ich ihn nachher gleich danach frage. Das gibt sonst definitiv Abzüge in der B-Note.“
„Ich fürchte, mit der Einstellung wirst du als einsame, alte Jungfer sterben“, bemerkte ich grinsend.
Meine Freundin seufzte schwermütig. „Ich weiß. Wobei … Mir fällt da grad tatsächlich jemand ein, dem dieses Gekicke völlig egal zu sein scheint. Und er sieht verdammt gut aus und ist unglaublich charmant“, schwärmte sie.
„Na, jetzt machst du mich aber neugierig. Raus damit! Wer ist es? Den muss ich mir unbedingt mal angucken.“
Nele stieß ein prustendes Lachen aus. „Erde an Anna! Du bist mir ein Herzchen. Mach mal die Augen auf! Dieses Prachtexemplar läuft doch ständig vor deiner Nase rum. Ich meine nämlich deinen süßen Nachbarn.“
„Was? Lukas?“, hakte ich überrascht nach. „Woher willst du denn wissen, dass der sich nicht für Fußball interessiert?“
„Hallo?! Er kam neulich vom Einkaufen nach Hause, während das erste Deutschlandspiel lief. Das tut kein normaler Mann, wenn es nicht um Leben und Tod geht“, erklärte sie mit ihrer eigenen unschlagbaren Logik.
„Du hast echt ’ne Macke, Nelli.“
„Was denn?“, protestierte sie empört. „Der Typ ist echt heiß, und damit erzähle ich dir ja wohl nichts Neues. Apropos …“ Sie machte eine kunstvolle Pause. „Frag doch ihn, ob er dich fährt. Und wenn er schon mal da ist, kann er auch gleich mitkommen ins Old Chap.“
„Na klar“, konterte ich und verdrehte amüsiert die Augen.
Diese alte Kupplerin! Hätte ich ihr bloß nie von Lukas erzählt. Aber seit er vor ein paar Wochen in der Wohnung nebenan eingezogen