Was steckt wirklich hinter dem erstarkenden Interesse am gekonnten Auftritt bei Tisch? Wieso lässt das Auftreten der bekundetermaßen engen Freunde von Freiherr Knigge keinerlei Verbindung zu seinem bekanntesten Werk erkennen? Auch der Prozess der Zivilisation verweist auf gänzlich andere Hintergründe der Tischsitten, als man gemeinhin annimmt. Die traditionsbewusste Philosophie sieht sich sogar genötigt, vornehmlich mit Verweis auf das Verdauungsergebnis, sich ausdrücklich zum Thema Essen und Trinken zu distanzieren. Gerade in der Öffentlichkeit des Restaurants lässt sich von den selbsternannten Kennern der Umgangsformen ein Rollenspiel beobachten, bei dem den Zeremonienmeistern und Choreographen des guten Tons zunächst der Taktstock entrissen wird. Als Krönung der nun üblicherweise folgenden Taktlosigkeit ist die öffentliche Hinrichtung der Privatperson hinter der Servicerolle vorgesehen. Ist das, entgegen aller Bekundungen, der wahre Genuss, der im Restaurant zu befriedigen gesucht wird? Steckt hinter alledem die heute vorfindbare unsägliche Vermengung des Öffentlichen und des Privaten? Glaubt der Gast von Knigges Gnaden damit einen anderen Eindruck zu hinterlassen, als es der Freiherr in seinem Werk mahnend beschrieben hat? Auch die Gastronomie scheint von diesem Machtkampf unterwandert. Dienen, einst vornehmste Verpflichtung selbst großer Könige, wird aus den eigenen Reihen heraus zum Inbegriff der Verachtung. Wahlweise als Selbstverachtung der Dienenden, nicht selten jedoch auch als ausdrückliche Verachtung der Bedienten. Liegt dies an der weitverbreiteten Auffassung, Persönlichkeitsstärke zeige sich in einem möglichst schamlosen Auftritt im Vordergrund? Der abschließende Rückblick zeigt, dass Höflichkeit eben nicht grundsätzlich erwidert wird.