Nietzsche leicht gemacht. Georg Römpp
Читать онлайн книгу.aus der reinen Vernunft oder dem reinen Denken oder auch aus dem reinen Erkenntnisvermögen. Es gibt eine Rechtfertigung in der Welt (und damit auch der Welt) überhaupt nicht auf vollständig rationaler Grundlage. Das schließt allerdings nicht aus, dass Rechtfertigungen innerhalb von sprachlichen und gedanklichen Zusammenhängen gelingen können, indem sie sich an diese Zusammenhänge anschließen. Dies funktioniert jedoch nur dann, wenn die Adressaten solcher Rechtfertigungen diese Systeme und deren Arbeitsmechanismen selbst als gerechtfertigt ansehen und dies nicht weiter infrage stellen wollen. Solche
<–62|
Rechtfertigungen gelingen also auf der Grundlage von als gerechtfertigt aufgefassten Rechtfertigungssystemen.
Steht deren Legitimation jedoch in Frage, so können nicht die gleichen Mechanismen in Anspruch genommen werden wie innerhalb dieser Systeme. Natürlich kann im Prinzip wieder auf eine noch weitere bzw. höherstufige Begründungsform zurückgegriffen werden. Handlungsregeln in einem Unternehmen können aus dessen Gewinnzielen begründet werden und das Verfolgen von Gewinnzielen dann aus dem Marktprinzip, das selbst wieder als optimale Struktur für die Verfolgung eines maximalen materiellen Wohlstands gerechtfertigt wird. Die Versorgung mit materiellen Gütern selbst aber wird kaum noch durch selbst begründungsfähige Rechtfertigungssysteme als letzte Orientierung des ökonomischen Handelns ausgezeichnet werden können. Spätestens hier beginnt jener Vorgang, den Nietzsche als ästhetische Rechtfertigung bezeichnet – also als ein ‚sinnlich‘ gegründetes und in kreativen Prozessen des Entwerfens, Bildens und Gestalten stattfindendes Erschaffen von Rechtfertigungen und Rechtfertigungsverfahren, die gelten, weil sie als solche akzeptiert werden, d. h. als etwas, das seinen eigenen Sinn mit sich bringt, etwa so, wie das Sehen schon von sich aus stets etwas Gesehenes enthält, bevor wir fragen können, ob und wie sich dieses auf etwas in der Welt bezieht.
Was Nietzsche mit der ästhetischen Rechtfertigung der Welt meint, wird schließlich besonders in seinem viel später geschriebenen ‚Versuch einer Selbstkritik‘ deutlich. Dort wird im Anschluss an jene Behauptung mit Bezug auf die ‚Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik‘ gesagt: „In der Tat, das ganze Buch kennt nur einen Künstler-Sinn und -Hintersinn hinter allem Geschehen, – einen ‚Gott‘, wenn man will, aber gewiss nur einen gänzlich unbedenklichen und unmoralischen Künstler-Gott, der im Bauen wie im Zerstören, im Guten wie im Schlimmen, seiner gleichen Lust und Selbstherrlichkeit innewerden will, der sich, Welten schaffend, von der Not der Fülle und Ueberfülle, vom Leiden der in ihm gedrängten Gegensätze löst.“ (GT III-1, 11) Es dürfte an dieser Stelle schon deutlich geworden sein, dass Nietzsche hier nicht von einem personalen Gott spricht. Jener ‚Künstler-Gott‘ ist eine Allegorie auf die künstlerische Tätigkeit des Bildens und Gestaltens auf einer sinnlichen und damit nicht rational ableitbaren Grundlage – eine Allegorie auf eine ursprüngliche ‚Artikulation‘, in der und mit der eine Bestimmtheit der Welt ‚ankommt‘, ohne dass sie auf ein Subjekt oder ‚die Subjektivität‘ zurückgeführt werden könnte.
Mit jener ästhetischen Rechtfertigung der Welt behauptet Nietzsche also etwas über die Grundlagen alles Rechtfertigens, das funktioniert wie die „weltbildende Kraft“, die ein Kind ausübt, wenn es „spielend Steine hin und her setzt und Sandhaufen aufbaut und wieder einwirft“ – so wie die Bestimmtheit der Welt und unserer Begriffe
<–63|
sich nicht aus der Welt an sich ableitet, sondern als „das spielende Aufbauen und Zertrümmern der Individualwelt“ geschieht und sich ereignet, ohne dass dabei eine Absicht oder gar ein personaler Akteur angenommen werden müsste (GT III-1, 149). Ästhetisch gerechtfertigt ist die Welt also, weil sie ohne die ästhetische Bewegung des Wechselspiels von Apollinischem und Dionysischem nicht existieren würde – dies in dem Sinn, dass sie nicht artikuliert und individuiert wäre, so dass in einer artikulierten Sprache über sie gesprochen werden kann. Jede spätere und etwa in einem ethischen Sinne zu formulierende Frage nach einer Rechtfertigung von was auch immer muss diese ursprüngliche Gründung und damit Rechtfertigung in einem ästhetischen – sinnlichen und künstlerischen – Prozess voraussetzen. Nietzsche spricht deshalb von der Welt als einem ästhetischen Phänomen als der ursprünglichen Voraussetzung für den Diskurs, in dem wir uns über Rechtfertigungsfragen streiten können.
<–64|
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.