Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt. Umberto Eco
Читать онлайн книгу.Das »Verzetteln« der Primärquellen
IV.2.4. Die wissenschaftliche Bescheidenheit
V.1. An wen man sich wendet
V.3.1. Wann und wie man zitiert: zehn Regeln
V.3.2. Zitat, sinngemäße Wiedergabe, Plagiat
[xvii]
V.4.1. Welchen Zweck die Fußnoten haben
V.4.2. Die Zitierweise Zitat – Fußnote
V.4.3. Das System Autor – Jahr
V.5. Hinweise, Fallen, Gebräuche
V.6. Der wissenschaftliche Stolz
VII. Abschließende Bemerkungen
[1]
Einleitung
1. Früher war die Universität nur für eine Elite da. Es besuchten sie nur die Kinder von Leuten, die selber studiert hatten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, konnte jeder, der studierte, über seine Zeit frei verfügen. Die Universitätsausbildung war so angelegt, daß man sie in Ruhe absolvieren konnte – mit ein wenig Zeit zum Studieren und ein wenig für die »gesunden« Ablenkungen des Studentenlebens, vielleicht auch für Aktivitäten in Vertretungsorganen.
Die Vorlesungen waren anspruchsvolle Vorträge. Waren sie absolviert, so zogen sich die interessierten Studenten mit Professoren und Assistenten in ausgedehnte Seminare zurück, zehn bis fünfzehn Personen höchstens.
Noch heute nehmen an vielen amerikanischen Universitäten nicht mehr als zehn oder zwanzig Studenten an den Veranstaltungen teil (sie zahlen einen üppigen Preis und haben darum das Recht, den Unterrichtenden zu »gebrauchen«, wenn sie mit ihm diskutieren wollen). An einer Universität wie Oxford kümmert sich ein Dozent, Tutor genannt, um die Forschungsarbeit einer ganz kleinen Gruppe von Studenten (es kann vorkommen, daß er nur einen oder zwei im Jahr betreut) und verfolgt ihre Arbeit Tag für Tag.
Wäre die Lage heute so, es wäre nicht nötig, dieses Buch zu schreiben – auch wenn einige der in ihm enthaltenen Ratschläge für den oben beschriebenen »idealen« Studenten nützlich sein könnten.
Aber die Universität von heute ist eine Massenuniversität. An ihr studieren Studenten aller Bevölkerungsgruppen, mit Abschlüssen der verschiedensten Art höherer Schulen. Sie wollen [2] vielleicht Philosophie oder klassische Literatur studieren, kommen aber von einer technischen Fachschule, wo sie kein Griechisch und vielleicht nicht einmal Latein gelernt haben. Und so richtig es sein mag, daß Latein für viele Tätigkeiten kaum gebraucht wird – für ein geisteswissenschaftliches Studium ist es sehr nützlich.
In manchen Lehrveranstaltungen sind Tausende eingeschrieben. Der Professor kennt vielleicht dreißig von ihnen, die interessiert mitarbeiten, mehr oder weniger gut. Mit Hilfe seiner Mitarbeiter (Stipendiaten, Zeitangestellten, Übungsassistenten) gelingt es ihm vielleicht, hundert zu einem gewissen Engagement zu bewegen. Unter ihnen sind viele, die in guten Verhältnissen leben, in einer gebildeten Familie aufgewachsen sind, mit einer kulturell lebendigen Umgebung Kontakt haben, sich Bildungsreisen leisten können, künstlerische Veranstaltungen und Theaterfestspiele besuchen, fremde Länder besuchen. Dann sind da noch die anderen Studenten, die vielleicht gleichzeitig einer Arbeit nachgehen, die auf dem Einwohnermeldeamt einer Stadt mit zehntausend Einwohnern arbeiten, in der es statt einer Buchhandlung nur Schreibwarengeschäfte gibt, die auch Bücher führen. Studenten, die, enttäuscht von der Universität, sich der Politik zugewandt haben und sich auf andere Weise ausbilden wollen, die sich aber dennoch früher oder später der Abschlußarbeit stellen müssen. Sehr arme Studenten, die sich ihre Examensfächer nach dem Preis der vorgeschriebenen Bücher und Unterlagen auswählen müssen und die sagen: dieses Examen kostet 12.000 Lire und die, wenn sie die Wahl haben, das billigere Examen wählen. Studenten, die manchmal zur Vorlesung kommen und sich abmühen müssen, im total überfüllten Hörsaal einen Platz zu finden; und die am Ende der Vorlesung gerne mit dem Dozenten sprechen würden, aber es warten schon dreißig, und sie müssen auf den Zug, weil das Geld für eine Übernachtung nicht reicht. Studenten, denen kein Mensch je erklärt hat, wie man ein Buch in der Bibliothek sucht und in welcher Bibliothek; oft wissen sie nicht, daß sie [3] Bücher auch in der Bibliothek ihrer Heimatstadt finden können und wie man einen Leihschein ausfüllt.
Die Ratschläge dieses Buches sind vor allem für solche Studenten bestimmt. Ferner auch für solche, die nach dem Abitur auf die Universität kommen und in die Geheimwissenschaft der vorgeschriebenen Abschlußarbeit eindringen wollen.
Ihnen allen will es zumindest zwei Dinge deutlich machen:
– daß man eine anständige Doktorarbeit (oder sonstige Abschlußarbeit) schreiben kann, obwohl man sich in einer schwierigen Situation befindet, in der alte oder neue Benachteiligungen eine Rolle spielen.
– daß man das Schreiben der Doktorarbeit – mag auch im übrigen die Zeit des Studiums enttäuschend oder frustrierend gewesen sein – dazu benutzen kann, die positiven und weiterführenden Seiten des Studiums kennenzulernen – nicht im Sinne einer Anhäufung von Wissen, sondern im Sinne der kritischen Verarbeitung einer selbstgemachten Erfahrung, der Aneignung der für das künftige Leben nützlichen Fähigkeit, sie nach bestimmten Regeln darzustellen.
2. Aus alledem ergibt sich: Dieses Buch will nicht erläutern, »wie man wissenschaftlich arbeitet«, und sich auch nicht mit dem Wert des Studiums auf theoretische Weise befassen. Es stellt nur einige Überlegungen zu der Frage an, wie man einer Prüfungskommission eine vom Gesetz vorgeschriebene Arbeit vorlegen kann, die eine bestimmte Zahl maschinengeschriebener Seiten umfaßt, von der man erwartet, daß sie mit dem vorgesehenen Promotionsfach zu tun hat und daß sie den Doktorvater nicht in einen allzu traurigen Zustand versetzt.
Natürlich kann euch das Buch nicht sagen, was man in die Arbeit einbringen soll. Das bleibt eure Sache. Das Buch gibt Auskunft darüber, (1) was man unter einer Abschlußarbeit versteht; (2) wie man das Thema sucht und die Zeit für seine Bearbeitung einteilt; (3) wie man bei der Literatursuche vorgeht; (4) wie man das gefundene Material auswertet; (5) wie man die Ausarbeitung äußerlich gestaltet. Und es läßt sich nicht vermeiden, [4] daß gerade dieser letzte Teil der genaueste ist, obwohl er doch weniger wichtig erscheinen könnte: gerade er aber ist der einzige, für den es einigermaßen präzise Regeln gibt.
3. In diesem Buch geht es um Abschlußarbeiten an geisteswissenschaftlichen Fakultäten. Da meine Erfahrungen aus philosophischen (und literaturwissenschaftlichen)