Hausaufgaben ? Nein Danke!. Armin Himmelrath

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Hausaufgaben ? Nein Danke! - Armin Himmelrath


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mit mangelnder Chancengleichheit bei den Hausaufgaben und plädierte dafür, „Aufgabenstunden“ an den Schulen einzuführen – ganz so, wie das bereits vier Jahre lang in den 1990er Jahren gehandhabt worden war. Erneut erhob sich daraufhin ein öffentlicher Sturm der Entrüstung: Von „Zwang“ für die Schülerinnen und Schüler und „Bevormundung der Eltern“ war die Rede und davon, dass die Partei „die Kinder den Familien wegnehmen“ wolle. „Das Gegenteil ist der Fall! Ihre Kinder werden von der Schule heimkommen und einfach nur Kind sein und keine Mini-Studentinnen und -Studenten“, wehrte sich Lina Bär von der SP, „nicht alle Eltern haben studiert. Viele können dem Schulstoff ihrer Kinder nur schlecht oder gar nicht folgen. Dieser ungleichen Verteilung von Ressourcen wollen wir ein gerechtes Modell entgegensetzten.“18 Doch die Petition scheiterte. Wieder war das Beharrungsvermögen der Reformverweigerer zu groß – und das, obwohl mittlerweile auch einflussreiche Medien wie die „Neue Zürcher Zeitung“ behutsam ins Lager der Reformer gewechselt waren. „Hausaufgaben: Ein ‚pädagogisches Ritual‘ überlebt“, titelte die NZZ etwa im September 201319. Autor Peter Krebs zitiert darin unter anderem den Kinderheilkundler und Autor von Erziehungsratgebern Remo Largo mit der klaren Hausaufgabenschelte „Sie bringen gar nichts. Schüler und Eltern werden damit nur schikaniert“. Aber auch Gabriel Romano vom Institut Vorschulstufe und Primarstufe der Pädagogischen Hochschule Bern, für den Hausaufgaben nur ein „pädagogisches Ritual“ ohne tieferen unterrichtlichen Sinn sind.

      Krebs verweist zwar auf die Zusammenfassung Tausender weltweit erstellter Studien durch den neuseeländischen Bildungsempiriker John Hattie20, der in seiner Metastudie den Hausaufgaben einen moderaten Lerneffekt zuschreibt. Auch lässt er in einem Interview den entschiedenen Hausaufgaben-Befürworter Alois Niggli zu Wort kommen. Der Freiburger Pädagogikprofessor stellt darin fest, dass Hausaufgaben „nicht generell wirkungslos“ sind, „mit zunehmendem Alter können sie einen positiven Einfluss auf die Schulleistung haben, falls sie sorgfältig erledigt werden.“ Und „aus erzieherischen Gründen kann man sagen, dass die Kinder dank den Hausaufgaben mit der Zeit eine gewisse Selbständigkeit entwickeln können.“21 Doch Peter Krebs’ Skepsis gegenüber einem unsinnigen Ritual ohne echten pädagogischen Wirkungsnachweis obsiegt letztlich. Er verweist auf Belastungen für das Familienleben, wenn Kinder die Hausaufgaben manchmal bis morgens vor dem Unterricht vor sich her-schieben, und auf Eltern, die ihren Nachwuchs lieber auf teure – und hausaufgabenfreie – Privatschulen schicken, „um den Familienfrieden zu retten“. Jürg Brühlmann vom Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer empfiehlt deshalb genau das, was vor 20 Jahren im Kanton Schwyz bereits realisiert wurde: die Verlegung der Arbeit in die Schulen, den Wechsel von Hausaufgaben zu Schulaufgaben. Allerdings gibt er auch zu bedenken, dass damit über eine neue zeitliche Struktur des Schulunterrichts nachgedacht werden müsse: „Wir würden bis zu einem Achtel der Lernzeit verlieren.“

      Doch obwohl fachlich alles eindeutig in eine Richtung zu weisen scheint, gilt auch für die Schweiz, ebenso wie für Deutschland und Österreich: Die flächendeckende Abschaffung der Hausaufgaben und ihr Ersatz durch zusätzliche schulische Angebote liegen derzeit in weiter Ferne – nicht zuletzt wegen der finanziell schwierigen Lage vieler Kommunen, die zusätzliche Lehrkräfte für eine schulisch betreute Aufgabenhilfe bezahlen müssten, dafür aber kein Geld investieren können oder wollen. Die Befürworter einer Abschaffung der Hausaufgaben stehen damit vor einem kaum zu knackenden, doppelten Verteidigungsbollwerk der Pro-Hausaufgaben-Fraktion, das flapsig formuliert in etwa so klingt: „Erstens haben wir das schon immer so gemacht. Und selbst wenn wir uns durch sämtliche Studien, die den Hausaufgaben Nutzlosigkeit bescheinigen, beeindrucken ließen – was wir nicht tun! –, dann gäbe es doch kein Geld, um irgendetwas zu ändern.“ Veränderung kann also allenfalls, so scheint es, von unten nach oben passieren, mit engagierten Einzelakteuren, die den jahrhundertealten Unsinn mit den Hausaufgaben nicht mehr mitmachen wollen. Beispiele dafür gibt es – etwa in der Gemeinde Neuheim im Kanton Zug. Dort wurde vor einigen Jahren eine Eltern-Lehrer-Gruppe (ELG)22 gegründet, die unter anderem zwei Mal pro Woche eine kostenlose Hausaufgabenbetreuung für Primarschulkinder anbietet. Die Vereinzelung der Hausaufgabensituation wird damit durchbrochen, qualifizierte Betreuer begleiten die Schülerinnen und Schüler bei ihren Aufgaben. Und dennoch ist das nur die zweitbeste Lösung, denn die Hausaufgaben an sich existieren ja weiter. Einen anderen Weg ist das Gymnasium Bäumlihof in Basel gegangen, dass die zu Hause zu bearbeitenden Aufgaben abgeschafft und durch Schulaufgaben ersetzt hat, die in der sogenannten individuellen Lernzeit erledigt werden23, häufig zu Beginn des Tages. Ein innovatives Konzept, das vielleicht kein Wunder ist an einer Schule, die 2010 auch damit begonnen hat, ganze Klassen ohne einen traditionellen Stundenplan zu unterrichten. Es scheint, als könnte es in der Hausaufgabendebatte lohnend sein, öfter einmal in Richtung Schweiz zu blicken.

      Doch begeben wir uns zuvor noch einmal ein paar Jahrzehnte zurück, ins Jahr 1982, als der „Spiegel“ die Hausaufgaben erstmals zum Titelthema machte24. Die Autoren – wie es damals bei dem Hamburger Nachrichtenmagazin üblich war, erschien auch dieser Text ohne Angabe der Verfasser – zeichneten nicht nur die historische Debatte um die Hausaufgaben nach, sondern nutzten gleich mehrfach die Gelegenheit, auch den Lehrerinnen und Lehrern eine deutliche Mitschuld am Aufgabendilemma zuzuweisen. So heißt es in dem Text unter anderem:

      →„Die Schulpraxis läßt ein voll entwickeltes System fein abgestufter Eskalation erkennen, wenn die Hausarbeiten nicht so ausfallen, wie es der Lehrer wünscht: Wiederholung der Hausaufgabe, Verdoppelung der Hausaufgabe, Aufsatz über Sinn der Hausaufgaben, Klassenprotokoll führen, zu den Hausaufgaben drei Seiten aus einem Buch abschreiben, Verdreifachung der Hausaufgaben, Nachsitzen, Eintragung ins Klassenbuch, blauer Brief an die Eltern.“

      →„Was früher Strafarbeit hieß, wird heute häufig als Übungsarbeit kaschiert, frei nach dem Lehrermotto: ‚Was wir jetzt nicht schaffen, müßt ihr zu Hause machen.‘ Wenn Schüler aufbegehren, so geschehen an einem Dortmunder Gymnasium, kann es passieren, daß das Quantum kurzerhand verdoppelt wird. Und wenn die Arbeit einiger zu wünschen übrigläßt, wird auch schon mal, so geschehen in Latein am Gymnasium in Winsen bei Hamburg, die ganze Klasse zur Neuauflage verdonnert.“

      →„Der Kölner [Professor] Herff beobachtete, daß Pädagogen ‚zu fortlaufender Überschreitung der zulässigen Zeiten neigen‘, weil sie ihr Fach überbewerten.“

      Zitate, die zwar schon über 30 Jahre alt sind, die aber zumindest in Teilen bis heute zutreffen. Denn tatsächlich wissen wohl längst nicht alle Lehrerinnen und Lehrer, was sie mit ihren mitgegebenen Aufgaben auslösen und wie viel Zeit für deren Bearbeitung tatsächlich benötigt wird. Schon 1982 urteilte der Flensburger Lehrer und Buchautor Dieter Boßmann, Hausaufgaben seien lediglich „mit einem Riesenaufwand betriebene, sinnlose Handgelenksübungen der Kinder.“ Und auch das „voll entwickelte System fein abgestufter Eskalation“ dürfte noch an mancher Schule zu finden sein – und das ist, ehrlich gesagt, auch nicht weiter verwunderlich. Denn bis heute spielt das Thema Hausaufgaben in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern kaum eine Rolle. Im Studium kommt es, wenn überhaupt, dann allenfalls am Rande vor. Erst im Referendariat bekommen die angehenden Pädagogen mit dem Thema zu tun. „Nur, intensiv behandelt wird das nicht“, erzählte eine Referendarin aus Baden-Württemberg bei den Recherchen zu diesem Buch: „Alle gehen davon aus, dass Hausaufgaben der Normalfall sind. Und alle gehen davon aus, dass sie der Fortsetzung des Unterrichts zu Hause dienen und irgendwie nach gleichen oder ähnlichen Prinzipien funktionieren wie Stillarbeit in der Klasse. Eigens behandelt werden sie deshalb nicht, die sind einfach da und werden nicht mehr hinterfragt.“ Auf diese Weise werde angehenden Lehrern mehr oder weniger explizit beigebracht, dass die bestehende Hausaufgabenpraxis sakrosankt sei. Und deshalb ist es kein Wunder, dass es dann so schwer ist, dieses Dogma aufzuheben.

      Ein Blick in die zahlreichen Internetforen für angehende Lehrerinnen und Lehrer macht schnell deutlich, wie überfordert die Referendare beim Thema Hausaufgaben sind und wie sehr sie selbst mit ihrer Rolle zu kämpfen haben. Der folgende Auszug ist ein Dialog mit in solchen Foren typischen Wortmeldungen. Er entwickelte sich,


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