Der Fortschritt dieses Sturms. Andreas Malm

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Der Fortschritt dieses Sturms - Andreas Malm


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auf sie reagieren und in sie eingreifen«.49 Smith wiederum gibt gerade jene Unterscheidung preis, die er aufzulösen angetreten war: »Anders als die Gravitation weist das Wertgesetz nichts Natürliches auf; keine Gesellschaft hat je gelebt, ohne das Wirken der Gravitation zu erfahren, wohingegen viele auch ohne das Wertgesetz existiert haben« – Natur auf der einen Seite, Gesellschaft auf der anderen.50 Und Vogel, der doch vorgibt, der unerbittlichste Feind jedweder Verwendung des Naturbegriffs zu sein, gibt Äußerungen von sich wie »wir Menschen sind selbst natürlich«. De facto bringt er in der Mitte seines Buches sogar ein ganzes Kapital damit zu, über das Schicksal jener Artefakte nachzudenken, die der Natur ausgeliefert sind. Jedes Gebäude sei dem Niederschlag und der Oxidation, der Entropie und der Hitze sowie anderen »Prozessen ausgesetzt, deren grundlegender Charakter – ich wäre sogar versucht zu sagen, deren Natur – uns nicht in vollem Maße bekannt ist und es auch nicht sein kann«, da sie »momentan [sic] von den Menschen unabhängig agieren« und »nichts sind, was wir produzieren«.51 Aussagen wie diese können dazu dienen, Argumentationen eine nuancierte Stoßrichtung zu verleihen, an der es sonst vollends mangeln würde. Tatsächlich aber fördern sie bloß erdrückende Inkonsistenzen zutage.52 Und an manchen Stellen scheinen Konstruktionist:innen sie sogar als Vorbehalte des allgemeinen Menschenverstandes einzusetzen, um sich dadurch geflissentlich die Hände von den Implikationen ihrer eigenen Argumentationen reinzuwaschen – aber selbstverständlich glauben wir nicht, die Erde sei lediglich ein Märchen! Wer käme auf so eine verrückte Idee? Vor und nach solch kurzen Einschüben – seien sie nun absichtlich oder aus Versehen abgefasst – beharren die Autor:innen in ihren Darstellungen der Weltgeschehnisse weiterhin darauf, die Natur auszuklammern, auszuschließen, zu verleugnen und zu verwerfen.53 Bis sie an irgendeinem Punkt unweigerlich in ebendiese Welt hinaustreten und das Eingeständnis, dass es die Natur doch gibt, von Neuem machen müssen. Nicht einmal die militantesten Vertreter:innen schaffen es, sich der Kategorie der Natur zu entledigen, was wohl daran liegen mag, dass dazu wirklich niemand in der Lage ist.

      Ähnlich ergeht es jenen, die das Ende der Natur betrauern: McKibben kann nicht anders, als über eine »neue« Natur zu sprechen, die sich abweichend verhalte, aber immer noch das zu sein scheint, was doch eigentlich bereits zu Ende gegangen sein soll.54 In dem Buch After Nature. A Politics for the Anthropocene offeriert Jedediah Purdy noch eine zusätzliche Version der McKibben’schen Nekrologie und verkündet, dass die Natur endgültig verschwunden sei – »in jeglicher Hinsicht wird die Welt, die wir bewohnen, fortan die Welt sein, die wir gemacht haben« (in jeglicher Hinsicht!) –, und fügt sicherheitshalber noch an, dass die Natur »nicht die Art Ding ist, der Bedeutung zukommt«. 55 Anschließend aber, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein, bringt er Seite um Seite damit zu, Aussagen zu treffen wie »unsere Kontrolle über die Natur gleicht einer prekären Fantasie«, »man kann den Menschen nicht von der ökologischen Natur trennen«, »wir sind weniger vom Rest der Natur unterschieden, als wir uns häufig einbilden«, »sich darum zu bemühen, eine friedliche und humane Welt zu gestalten, bedeutet, einen Weg zu finden, mit der Natur in Einklang zu leben«.56 Nach der Natur? Danach klingt das jedenfalls nicht. Offensichtlich schaffen es nicht einmal die Nekrolog:innen, die Leiche zu beschreiben, ohne an ihre Bewegungen zu erinnern, was wohl daran liegen muss, dass sie immer noch am Leben ist.57

      Die Kategorie der Natur lässt sich nicht aus dem menschlichen Vokabular tilgen. Sie bezieht sich auf jenen Teil der bewohnten Welt, auf den die Menschen zwar stoßen, den sie aber nicht mittels ihrer Vorstellungskraft konstruiert, geschaffen, gebaut oder hervorgezaubert haben – und dieser Teil ist wahrlich nicht zu unterschätzen.58 Die Natur ging uns voraus, umgibt uns und wird auf uns folgen; sie wurde, ist und wird auch ohne uns, von sich aus, hervorgebracht; mag sie auch allen möglichen Einflüssen ausgesetzt sein, setzt ihr das dennoch keineswegs ein Ende, genauso wenig wie ein Kontinent zu sein aufhört, bloß weil Wolkenkratzer auf ihm stehen. Als die Briten sich auf den Weg durch den Dschungel von Labuan machten, produzierten sie nicht Natur, sondern sie stießen geradewegs auf sie. Der in der Lithografie festgehaltene Moment stellt nicht den Moment dar, in dem sie das Sonnenlicht und das Wasser, die Pflanzen und die Kohle erzeugten: All diese Dinge waren schon vor ihnen da und gehörten jenem Teil der Welt an, in dem es ihnen kaum möglich gewesen sein dürfte, anwesend zu sein, wenn es ihn nicht schon vorher gegeben hätte. Allein, was sie mit dieser Natur zu tun beabsichtigten, oblag ihrem Ermessen. Erst an diesem Punkt setzte das Moment der Konstruktion ein: Sie fingen an, die Kohle als Material ihrer fossilen Ökonomie zu kartografieren, zu testen, zu kaufen und zu verkaufen, als Material ihres Roms, das nicht an einem Tag, sondern im Laufe des 19. Jahrhunderts gebaut wurde. Wir sollten uns das Gerede über »Konstruktion« für genau solch eine Unternehmung aufsparen und sie vom Klima entschieden abgrenzen – den Konstruktionismusball gewissermaßen also der Gesellschaft zurückspielen und die Natur als Kategorie sui generis akzeptieren. Wobei das selbstverständlich voraussetzt, dass sich die beiden wirklich voneinander unterscheiden lassen.

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