Was ist der Mensch? Ein Gespräch über die Welt und Gott. Mark Twain

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Was ist der Mensch? Ein Gespräch über die Welt und Gott - Mark Twain


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wie die Starken. Um die besten Resultate zu erzielen, muss man das Metall in jedem Fall von seinen hinderlichen, schädlichen Erzen befreien – durch Bildung, durch Schmelzen, Veredeln und so fort.

      J. M. Jetzt sind Sie beim Menschen angelangt?

      A. M. Ja. Der Mensch, eine Maschine – der Mensch, eine unpersönliche Maschine. Was immer ein Mensch ist, verdankt sich seiner Machart und den Einflüssen, die dank seiner Erbanlagen, seinem Lebensraum und seinen Verbindungen auf sie einwirken. Er wird ausschließlich von äußeren Einflüssen bewegt, gelenkt, BEFEHLIGT. Nichts bringt er selbst hervor, nicht einmal einen Gedanken.

      J. M. Ach, kommen Sie! Woher beziehe ich dann meine Meinung, dass das, was Sie da reden, die reinste Torheit ist?

      A. M. Es ist eine ganz natürliche Meinung – in der Tat eine unvermeidliche Meinung –, aber Sie haben die Materialien, aus denen sie geformt ist, nicht geschaffen. Diese sind ein Sammelsurium an Gedanken, Eindrücken und Gefühlen, die unbewusst aus tausend Büchern, aus tausend Gesprächen und aus Strömen von Gedanken und Gefühlen übernommen wurden, welche über die Jahrhunderte aus den Herzen und Hirnen von Vorfahren in Ihr Herz und Ihr Hirn geflossen sind. Persönlich haben Sie nicht einmal das mikroskopisch kleinste Bruchstück der Materialien geschaffen, aus denen Ihre Meinung besteht; und persönlich können Sie nicht einmal das dürftige Verdienst für sich in Anspruch nehmen, die geborgten Materialien zusammengefügt zu haben. Das geschah automatisch – mittels Ihrer geistigen Maschinerie, in strikter Übereinstimmung mit dem Konstruktionsgesetz dieser Maschinerie. Und nicht nur haben Sie diese Maschinerie nicht selbst geschaffen, Sie haben nicht einmal irgendeine Gewalt über sie.

      J. M. Das ist zu arg. Sie glauben, ich hätte mir keine andere Meinung als diese eine bilden können?

      A. M. Spontan? Nein. Und auch diese eine haben nicht Sie sich gebildet; Ihre Maschinerie hat es für Sie getan – automatisch und augenblicklich, ohne jedes Nachdenken oder auch nur die Notwendigkeit dazu.

      J. M. Angenommen, ich hätte nachgedacht? Was dann?

      A. M. Angenommen, Sie versuchen es?

      J. M. (nach einer Viertelstunde) Ich habe nachgedacht.

      A. M. Sie meinen, Sie haben versucht, Ihre Meinung zu ändern – in einer Art Experiment?

      J. M. Ja.

      A. M. Mit Erfolg?

      J. M. Nein. Sie bleibt dieselbe; es ist unmöglich, sie zu ändern.

      A. M. Es tut mir leid, aber Sie sehen selbst, dass Ihr Verstand nur eine Maschine ist, nichts weiter. Sie haben keine Gewalt über sie, sie hat keine Gewalt über sich selbst – sie wird ausschließlich von außen betrieben. Das ist das Gesetz ihrer Machart; es ist das Gesetz aller Maschinen.

      J. M. Kann ich denn keine dieser automatischen Meinungen jemals ändern?

      A. M. Nein. Sie selbst nicht, äußere Einflüsse dagegen schon.

      J. M. Und nur äußere?

      A. M. Ja – nur äußere.

      J. M. Diese Position ist unhaltbar – ich könnte sagen, lächerlich unhaltbar.

      A. M. Was veranlasst Sie zu dieser Annahme?

      J. M. Es ist keine bloße Annahme, ich weiß es. Gesetzt den Fall, ich beschließe, einem Gedanken, einem Studium, einer Lektüre nachzugehen in der bewussten Absicht, diese meine Meinung zu ändern; und gesetzt den Fall, es gelingt mir. Das ist nicht das Werk eines äußeren Anstoßes, das Ganze ist mir persönlich anzurechnen; denn der Urheber des Projekts bin ich.

      A. M. Nicht ein Fitzel davon. Hervorgegangen ist es aus dem Gespräch mit mir. Ohne dieses Gespräch wären Sie nie darauf verfallen. Kein Mensch hat jemals irgendetwas hervorgebracht. Alle seine Gedanken, alle seine Anstöße kommen von außen.

      J. M. Dieses Thema ist zum Verzweifeln. Der erste Mensch jedenfalls hatte originelle Gedanken; es gab ja niemanden, von dem er sie hätte beziehen können.

      A. M. Das ist ein Irrtum. Adams Gedanken kamen von außen. Sie haben Angst vor dem Tod. Die haben Sie nicht erfunden – Sie haben sie von außen bekommen, durch Gespräche und Unterweisung. Adam hatte keine Angst vor dem Tod – nicht die geringste.

      J. M. Doch.

      A. M. Als er erschaffen wurde?

      J. M. Nein.

      A. M. Wann dann?

      J. M. Als ihm mit dem Tod gedroht wurde.

      A. M. Also kam sie von außen. Adam ist auch so schon bedeutend genug; versuchen wir nicht, einen Gott aus ihm zu machen. Nur Götter haben jemals einen Gedanken gehabt, der nicht von außen kam. Wahrscheinlich hatte Adam einen klugen Kopf, aber der nützte ihm ganz und gar nichts, bis er von außen gefüllt wurde. Adam war außerstande, mit ihm auch nur die kleinste Kleinigkeit zu erfinden. Er hatte nicht die leiseste Ahnung von dem Unterschied zwischen Gut und Böse – er musste die Idee von außen bekommen. Weder er noch Eva kamen von selbst auf die Idee, dass es unschamhaft sei, nackt zu sein; diese Erkenntnis kam mit dem Apfel, von außen. Das Gehirn eines Menschen ist so konstruiert, dass es nichts von selbst hervorbringen kann. Es kann nur Material verwenden, das außerhalb seiner selbst gewonnen wurde. Es ist lediglich eine Maschine; und es funktioniert automatisch, nicht durch Willenskraft. Es hat keine Gewalt über sich, sein Besitzer hat keine Gewalt über es.

      J. M. Nun, lassen wir Adam beiseite; aber Shakespeares Schöpfungen sind doch bestimmt –

      A. M. Nein, Sie meinen Shakespeares Nachahmungen. Shakespeare hat nichts erschaffen. Er hat richtig beobachtet, und er hat wunderbar gemalt. Menschen, die Gott erschaffen hatte, porträtierte er genau; doch keinen von diesen erschuf er selbst. Ersparen wir ihm die Kränkung, ihn des Versuchs zu zeihen. Shakespeare konnte nichts erschaffen. Er war eine Maschine, und Maschinen erschaffen nichts.

      J. M. Worin lag dann seine Vortrefflichkeit?

      A. M. Im Folgenden. Er war keine Nähmaschine wie Sie und ich; er war ein Gobelin-Webstuhl. Die Fäden und die Farben kamen von außen in ihn hinein; äußere Einflüsse, Anregungen, Erfahrungen (lesen, Stücke sehen, Stücke spielen, Ideen borgen und so fort) bildeten Muster in seinem Verstand und setzten dessen bewundernswert komplexe Maschinerie in Gang, und diese produzierte automatisch jene prächtigen Bildteppiche, die noch immer das Staunen der Welt erregen. Wäre Shakespeare auf einem kargen, menschenleeren Felsen im Ozean geboren und aufgewachsen, so hätte sein gewaltiger Intellekt kein Material von außen zur Verfügung gehabt, mit dem er hätte arbeiten können, und er hätte auch keines ersinnen können; er hätte keine äußeren Einflüsse, Lehren, Modelle, Überzeugungen, Inspirationen wertvoller Art zur Verfügung gehabt und auch keine ersinnen können; und so hätte Shakespeare nichts hervorgebracht. In der Türkei hätte er etwas hervorgebracht – im Rahmen türkischer Einflüsse, Verbindungen und Schulungen. In Frankreich hätte er etwas Besseres hervorgebracht – im Rahmen französischer Einflüsse und Schulungen. In England stieg er auf – bis an die äußerste Grenze dessen, was sich durch Hilfe von außen erreichen ließ, eine Hilfe, die die Ideale, Einflüsse und Schulungen dieses Landes leisteten. Sie und ich, wir sind nichts als Nähmaschinen. Wir müssen produzieren, was wir können; wir müssen unser Bestes geben und dürfen uns nicht darum scheren, wenn uns gedankenlose Menschen vorwerfen, dass wir keine Gobelins produzieren.

      J. M. Und so sind wir denn bloße Maschinen? Und Maschinen dürfen sich ihrer Leistung weder rühmen noch stolz auf sie sein, dürfen weder persönliches Verdienst noch Lob und Beifall für sich beanspruchen? Das ist eine infame Doktrin.

      A. M. Es ist keine Doktrin, es ist lediglich eine Tatsache.

      J. M. Ich nehme an, dann liegt auch kein größeres Verdienst darin, mutig zu sein, als darin, ein Feigling zu sein?

      A. M. Persönliches Verdienst? Nein. Ein mutiger Mensch erschafft seinen


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