Gesammelte Werke . Joseph von Eichendorff

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Gesammelte Werke  - Joseph von Eichendorff


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meisten Blätter waren komischen Inhalts, fast alle von einem ungewöhnlichen Umfange. Die Züge waren durchaus keck und oft bis zur Härte streng, aber keine der Darstellungen machte einen angenehmen, viele sogar einen widrigen Eindruck. Unter den komischen Gesichtern glaubte Friedrich zu seiner höchsten Verwunderung manche alte Bekannte aus seiner Kindheit wiederzufinden.

      Der erste Morgenschein fiel indes soeben durch die hohen Bogenfenster, und spielte gar seltsam an den Wänden der Polterkammer und in die wunderliche Welt der Gedanken und Gestalten hinein, die rings um sie her auf dem Boden zerstreut lagen. Es war ihnen dabei wie in einem Traume zumute. Sie schoben endlich alle die Bilder wieder in den Winkel zusammen und lehnten sich zum Fenster hinaus.

      Alles war noch nächtlich und grenzenlos still, nur einige frühe Vögel zogen pfeifend hin und her über den Wald und begrüßten die ersten Morgenstrahlen, die durch die Wipfel funkelten. Da hörten sie auf einmal draußen in einiger Entfernung folgendes Lied singen:

      Ein Stern nach dem andern fällt

       Tief in des Himmels Kluft,

       Schon zucken Strahlen durch die Welt,

       Ich wittre Morgenluft.

      In Qualmen steigt und sinkt das Tal;

       Verödet noch vom Fest

       Liegt still der weite Freudensaal,

       Und tot noch alle Gäst'.

      Da hebt die Sonne aus dem Meer

       Eratmend ihren Lauf:

       Zur Erde geht, was feucht und schwer,

       Was klar, zu ihr hinauf.

      Hebt grüner Wälder Trieb und Macht

       Neu rauschend in die Luft,

       Zieht hinten Städte, eitel Pracht,

       Blau' Berge durch den Duft.

      Spannt aus die grünen Tepp'che weich,

       Von Strömen hell durchrankt,

       Und schallend glänzt das frische Reich,

       So weit das Auge langt.

      Der Mensch nun aus der tiefen Welt

       Der Träume tritt heraus,

       Freut sich, daß alles noch so hält,

       Daß noch das Spiel nicht aus.

      Und nun geht's an ein Fleißigsein!

       Umsumsend Berg und Tal,

       Agieret lustig groß und klein

       Den Plunder allzumal.

      Die Sonne steiget einsam auf,

       Ernst über Lust und Weh,

       Lenkt sie den ungestörten Lauf

       In stiller Glorie.

      Und wie er dehnt die Flügel aus, Und wie er auch sich stellt: Der Mensch kann nimmermehr hinaus, Aus dieser Narrenwelt.

      Die beiden Freunde eilten sogleich auf das sonderbare Lied hinunter und aus dem Schlosse hinaus. Die Wälder rauschten ringsum aus den Tälern, eine kühle Morgenluft griff stärkend an alle Glieder. Der Gesang hatte unterdes aufgehört, doch erblickten sie in jener Gegend, wo er hergekommen war, einen großen, schönen, ziemlich jungen Mann an dem Eingange des Waldes. Er stand auf und schien weggehn zu wollen, als er sie gewahr wurde; dann blieb er stehen und sah sie noch einmal an, kam darauf auf sie zu, faßte Friedrich bei der Hand und sagte sehr gleichgültig: Willkommen Brüder! -

      Wie dem Schweizer in der Fremde, wenn plötzlich ein Alphorn ertönt, alle Berge und Täler, die ihn von der Heimat scheiden, in dem Klange versinken, und er die Gletscher wiedersieht, und den alten, stillen Garten am Bergeshange, und alle die morgenfrische Aussicht in das Wunderreich der Kindheit, so fiel auch Friedrich bei dem Tone dieser Stimme die mühsame Wand eines langen, verworrenen Lebens von der Seele nieder: er erkannte seinen wilden Bruder Rudolf, der als Knabe fortgelaufen war, und von dem er seitdem nie wieder etwas gehört hatte.

      Keine ruhige, segensreiche Vergangenheit schien aus diesen dunkelglühenden Blicken hervorzusehen, eine Narbe über dem rechten Auge entstellt ihn seltsam. Leontin stand still dabei und betrachtete ihn aufmerksam, denn es war wirklich dasselbe Bild, das ihm mitten im bunten Leben oft so schaurig begegnet. O, mein lieber Bruder, sagte Friedrich, so habe ich dich denn wirklich wieder! Ich habe dich immer geliebt. Und als ich dann größer wurde und die Welt immer kleiner und enger, und alles so wunderlos und zahm, wie oft hab ich da an dich zurückgedacht und mich nach deinem wunderbaren härtern Wesen gesehnt! Rudolf schien wenig auf diese Worte zu achten, sondern wandte sich zu Leontin um und sagte: Wie geht es Euch, mein Signor Amoroso? Durch diesen Wald geht kein Weg zum Liebchen. Und keiner in der Welt mehr, fiel Leontin, der wohl wußte, was er meine, empfindlich ihm ins Wort, denn Eure Possen haben das Mädchen ins Grab gebracht. Besser tot, als eine H-- sagte Rudolf gelassen. Aber, fuhr er fort, was treibt euch aus der Welt hier zu mir herauf? Sucht ihr Ruhe: ich habe selber keine, sucht ihr Liebe: ich liebe keinen Menschen, oder wollt ihr mich listig aussondieren, zerstreuen und lustig machen: so zieht nur in Frieden wieder hinunter, eßt, trinkt, arbeitet fleißig, schlaft bei euren Weibern oder Mädchen, seid lustig und lacht, daß ihr euch krähend die Seiten halten müßt, und danket Gott, daß er euch weiße Lebern, einen ordentlichen Verstand, keinen überflüssigen Witz, gesellige Sitten und ein langes, wohlgefälliges Leben bescheret hat denn mir ist das alles zuwider. Friedrich sah den Bruder staunend an, dann sagte er: Wie ist dein Gemüt so feindselig und wüst geworden! Hat dich die Liebe – Nein, sagte Rudolf, ihr seid gar verliebt, da lebt recht wohl!

      Hiermit ging er wirklich mit großen Schritten in den Wald hinein und war bald hinter den Bäumen verschwunden. Leontin lief ihm einige Schritte nach, aber vergebens. Nein, rief er endlich aus, er soll mich nicht so verachten, der wunderliche Gesell! Ich bin so reich und so verrückt wie er! Friedrich sagte: Ich kann es nicht mit Worten ausdrücken, wie es mich rührt, den tapfern, gerechten, rüstigen Knaben, der mir immer vorgeschwebt, wenn ich dich ansah, so verwildert wiederzusehen. Aber ich bleibe nun gewiß auch wider seinen Willen hier, ich will keine Mühe sparen, sein reines Gold, denn solches war in ihm, aus dem wüstverfallenen Schachte wieder ans Tagelicht zu fördern. O, fiel ihm Leontin ins Wort, das Meer ist nicht so tief, als der Hochmütige in sich selber versunken ist! Nimm dich in acht! Er zieht dich eher schwindelnd zu sich hinunter, ehe du ihn zu dir hinauf.

      Friedrich hatte der Anblick seines Bruders auf das heftigste bewegt. Er ging schnell von Leontin fort und allein tief in den Wald hinein. Er brauchte der stillen, vollen Einsamkeit, um die neuen Erscheinungen, die auf einmal so gewaltsam aufgeregten Geister zu beruhigen.

      Lange war er so im Walde herumgeschweift, als auch Leontin wieder zu ihm stieß. Dieser hatte währenddes wieder jene Bilderstube bestiegen und die Zeit unter den Zeichnungen gesessen. Dabei waren ihm in dieser Einsamkeit die Figuren oft wie lebendig geworden vorgekommen und verschiedene Lieder eines Wahnsinnigen eingefallen, die er, wie Sprüche auf die alten Bilder, den Gestalten aus dem Munde auf die Wand aufgeschrieben hatte.

      Die Sonne fing schon wieder an sich von der Mittagshöhe herabzuneigen. Weder Leontin noch Friedrich wußten recht, wo sie sich befanden, denn kein ordentlicher Weg führte vom Schlosse hierher. Sie schlugen daher die ohngefähre Richtung ein, sich über den melancholischen Rudolf besprechend. Als sie nach langem Irren eben auf einer Höhe angelangt waren, hörten sie plötzlich mehrere lebhafte Stimmen vor sich. Ein undurchdringliches Dickicht, durch welches von dieser Seite kein Eingang möglich war, trennte sie von den Sprechenden. Leontin bog die obersten Zweige mit Gewalt auseinander, da eröffnete sich ihnen auf einmal das seltsamste Gesicht. Mehrere auffallende Figuren nämlich, worunter sie sogleich Marie, den Karfunkelsteinspäher und den Ritter von gestern erkannten, lagen und saßen dort auf einer grünen Wiese zerstreut umher. Die große Einsamkeit, die fremdartigen, zum Teil ritterlichen Trachten, womit die meisten angetan, gaben der Gruppe ein überraschendes, buntes und wundersames Ansehen, als ob ein Zug von Rittern und Frauen aus alter Zeit hier ausraste.

      Marie war ihnen besonders nahe, doch ohne sie zu bemerken. Sie war mit langen Kränzen von Gras behangen und hatte eine Gitarre vor sich auf dem Schoße. Auf dieser spielte sie und sang


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