Sprachliche Bildung und Deutsch als Zweitsprache. Kristina Peuschel

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Sprachliche Bildung und Deutsch als Zweitsprache - Kristina Peuschel


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der DaZ-Förderung und Sprachbildung darstellen (vgl. z.B. die Beiträge dazu in Ahrenholz/Oomen-Welke 2017; Krumm et al. 2010; Rösch 2011, Schramm/Schroeder 2009 u.a.). Wenn Lehrpersonen die außerordentliche Bedeutung von Sprache für die Bildungschancen der Schüler*innen akzeptieren, sollten sie auch grundsätzliche Regularitäten des Zweitspracherwerbs kennen. Zunächst werden daher drei spracherwerbstheoretische Ansätze knapp skizziert, bevor anschließend ausgewählte Erkenntnisse der Forschung dargestellt werden.

      Theoretische Modelle des Zweitspracherwerbs

      Nativistische Modelle des Erst- und Zweitspracherwerbs gehen davon aus, dass Menschen über ein genetisch vorgegebenes, angeborenes, universalgrammatisches Wissen über Sprache verfügen. Spracherwerb ist demnach ein Prozess, bei dem Lernende eine eher passive Rolle einnehmen (Leimbrink 2017, 214; für eine Übersicht siehe auch Lightbown/Spada 2010, 104ff.). Innerhalb des nativistischen Ansatzes wird dem sprachlichen Input eine weniger wichtige Rolle für den Spracherwerb zugesprochen als in anderen spracherwerbstheoretischen Ansätzen.

      Eine weitaus größere Bedeutung wird sprachlichem Input innerhalb kognitiv-interaktionistischer Ansätze beigemessen, die eine „kognitive Perspektive auf die Interaktion“ (Aguado 2010, 817) einnehmen und (Zweit-)Spracherwerb in erster Linie als mentalen Entwicklungsprozess verstehen (ebd.). Eine Hypothese innerhalb dieses Ansatzes ist die Interaktionshypothese (Long 1996), die als Weiterentwicklung der Inputhypothese (Krashen 1985) verstanden werden kann. Bei beiden Hypothesen wird davon ausgegangen, dass eine Zweitsprache erworben wird, indem Input von Lernenden aufgenommen, verarbeitet und angepasst wird. Liegt der sprachliche Input oberhalb des bereits vorhandenen sprachlichen Niveaus des Lernenden, kommt es zu Verständigungsschwierigkeiten, aber auch zu Lernprozessen, da die Interaktionspartner*innen den sprachlichen Input gemeinsam bearbeiten, ihn verändern und seine Bedeutungen aushandeln können. Nach einem gemeinsamen „negotiation of meaning“ kann die Aufmerksamkeit der Beteiligten auch auf die Formseite der Sprache gelenkt werden (Schoormann/Schlak 2011, 47).

      Soziokulturelle Ansätze sprachlichen Lernens gehen auf die so genannte kulturhistorische Schule um Wygotski zurück, in der jede Art von Lernen als sozial gebundener Prozess modelliert wird, der sich in Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft vollzieht. Die eigene sprachliche Tätigkeit ist hierbei zentral (Leont'ev 1984; Lantolf 2008; Ehlers 1995). Als zwei zentrale Motive für sprachliche Tätigkeit gelten Erkenntnisgewinn und Kommunikation. Diese gelten zugleich auch als grundlegende Funktionen von Sprache. Für das Lernen einer zweiten Sprache wird darüber hinaus eine weitere originär sprachliche Tätigkeit angenommen, deren Motiv die Sprache selbst ist und mit deren Hilfe Lernen erfolgt (vgl. auch Peuschel 2012). Soziokulturellen Ansätzen wird vor allem dank der breiten Rezeption des Scaffolding-Ansatzes nach Gibbons (2015) im Diskurs um Sprachförderung und Sprachbildung eine hohe Bedeutung beigemessen. Unter Bezugnahme auf Wygotski schreibt Lengyel (2016):

      Sprache ist aus dieser Perspektive also ein kognitives Werkzeug, was sich insbesondere in höheren geistigen Tätigkeiten wie Planung, Evaluation und Reflexion zeigt. Gleichzeitig ist sie ein kulturelles Werkzeug, das dazu dient, Erfahrungen über Generationen hinweg in Wissen und Verstehen zu transformieren. In diesem Sinne ist der Lehr-Lern-Prozess ein Interaktionsprozess, in dem eine Person einer anderen hilft, Wissen und Verstehen zu entwickeln. Lehren und Lernen werden hier als zusammengehörig, als ein gemeinsamer Prozess betrachtet. (Ebd., 510)

      Diese knappe Darstellung dreier theoretischer Ansätze verdeutlicht unterschiedliche Perspektiven, mit denen sich der Komplexität des Lernens zweiter und weiterer Sprachen angenähert werden kann. Während manche theoretischen Ansätze stärker auf Input fokussieren, sind Interaktion, Bedeutungsaushandlung und gesellschaftliche Teilhabe in anderen Ansätzen eher im Fokus. Für die Bedarfe eines sprachlich und fachlich bildenden Unterrichts in sprachlich heterogenen Klassen der Sekundarstufen ist von besonderer Relevanz, dass der Erwerb und das Lernen einer Sprache ein langer kognitiver und sozialer Entwicklungsprozess sind, auf den vielfältige Faktoren zu vielfältigen Zeitpunkten einer individuellen Biographie Einfluss nehmen können. Monokausale Erklärungen von Spracherwerb unter Rückgriff auf eine einzige Theorie greifen daher für Langzeitprozesse im Kontext Schule zu kurz.

      Spracherwerb und Sprachlernen

      Beim ungesteuerten Erwerb des Deutschen als Zweitsprache wird begrifflich zwischen frühem Zweitspracherwerb (Erwerbsbeginn zwischen zwei bis vier Jahren) und spätem Zweitspracherwerb (Erwerbsbeginn zwischen sechs und zwölf Jahren) unterschieden. Bei Erwerbsbeginn nach der Pubertät bzw. im Erwachsenenalter wird vom Zweitspracherwerb Jugendlicher und Erwachsener gesprochen (Geist/Krafft 2017, 17). Der Begriff ‚ungesteuert‘ verweist darauf, dass die jeweiligen Personen keine explizite Instruktion in Form von Sprachkursen erhalten.

      Erstspracherwerb beginnt mit der Geburt, verläuft also parallel zur allgemeinen Entwicklung des Kindes und kann sich durchaus auf mehrere Sprachen beziehen, wenn Kinder etwa in bilingualen Familien aufwachsen. Von Zweitspracherwerb spricht man, wenn Kinder ab dem dritten Lebensjahr mit einer oder mehreren weiteren Sprachen konfrontiert werden. (Rösch 2011, 11)

      Wie oben bereits erwähnt, weist demgegenüber die unterrichtliche Steuerung auf das gezielte Lernen von Deutsch als Fremdsprache hin (siehe 1.4 in diesem Studienbuch). Die Grenzen zwischen Zweitspracherwerb und Fremdsprachlernen sind jedoch für den Kontext des Studienbuches weder eindeutig zu bestimmen noch spielen sie hier eine zentrale Rolle. Eine Jugendliche erwirbt Deutsch, während sie am Fachunterricht teilnimmt ebenso wie im unterstützten Gespräch in der Pause oder beim expliziten Training von Schreibkompetenzen in einem ergänzenden Sprachkurs. Zudem geht die Unterscheidung von ‚erwerben‘ und ‚lernen‘ auf die Input-Hypothese von Krashen (1985) zurück, der zufolge Erwerb eher implizit stattfindet und Lernen durch das Erkennen und Anwenden von Regeln, auch explizit grammatischen Regeln, vollzogen wird. Da in den hier fokussierten Konzepten davon ausgegangen wird, dass Input und beiläufiger Erwerb für die schnelle Entwicklung deutschsprachiger Kompetenzen in der Schule nicht ausreichen, gleichzeitig jedoch der vorbereitendende Sprachunterricht und die additiven Sprachfördermaßnahmen ebenso wenig allein verantwortlich für schulischen Erfolg sind, muss von der Parallelität von Erwerb und Lernen als bestmöglicher Kombination ausgegangen werden.

      Im Zweitspracherwerb von Jugendlichen und Erwachsenen treten einzelne Phänomene wiederkehrend auf – Bezüge zur Erstsprache oder weiteren Sprachen, die sich in Transfer oder Interferenz zeigen können, im bewussten oder unbewussten Einsatz von Lernstrategien oder auch in spezifischen Erwerbsmustern.

      Transfer und Interferenz

      Die Strukturen einer ausgebauten L1 können in Bezug auf Phonetik, Wortschatz, Morphosyntax und Sprachhandlungen als individuelles Referenzsystem dienen. Zusätzlich sind spezifische soziokulturelle Dimensionen der Kommunikation angelegt, die sich auch auf den Sprachgebrauch in der L2 übertragen können. Im regelhaften, positiven Fall kommt es beim Erwerb einer L2 zu zahlreichen Transferphänomenen, die sich durch Erkenntnisse aus der Forschung auf der Basis der sog. Kontrastivhypothese sowie des linguistischen Sprachvergleichs vorhersagen lassen. So kann, je nach L1, auf das Konzept von verschiedenen Wortarten (Adjektiv, Verb, Substantiv, Pronomen u.a.) zurückgegriffen werden. Im Bereich des Wortschatzes lassen sich in der Regel Internationalismen und gemeinsame Wortschatzbestände ausmachen, die beim Lernen transferiert werden können. Prinzipiell kann bei einer strukturellen Ähnlichkeit von L1 und L2 davon ausgegangen werden, dass das Verständnis und die Produktion von L2-Äußerungen erleichtert werden, wenn auf die L1 zurückgegriffen werden kann. Der negative Fall tritt ein, wenn aus strukturellen Unterschieden zwischen L1 und L2 Interferenzphänomene in der L2 entstehen. Diese werden häufig allein als Fehler wahrgenommen. Es handelt sich dabei jedoch zunächst um regulär auftretende Phänomene (siehe auch den Abschnitt „Lernersprache, Fehler und Korrektur“ in 2.3 in diesem Studienbuch).

      So kann das Fehlen der Differenzierung der Phoneme /r/ und /l/ im Phoneminventar des Chinesischen und anderer asiatischer Sprachen zu Interferenzen im Deutschen, Englischen, Spanischen etc. führen. Wenn aufbauend auf der L1 Türkisch die L2 Deutsch erworben wird, werden die im Deutschen durch Präpositionen ausgedrückten Angaben wie Ort oder Zeit häufig anders realisiert, da das Türkische


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