Sprachen lernen in der Pubertät. Heiner Böttger
Читать онлайн книгу.Leitungsmuster (vgl. Abb. 5). Parallel verstärken sich die synaptischen Verbindungen, über die häufig und intensiv elektrische Impulse übertragen werden.
Abb. 5
Synaptische Verbindungen vom 10. Lebensjahr (links) bis zum Ende der PubertätPubertät (rechts)
1.2.2 MyelinisierungMyelinisierung der Großhirnrinde
Die PubertätPubertät setzt ein während eines bereits nach der Geburt begonnenen Reifungsprozesses, der parallel zum Pruning verläuft: die MyelinisierungMyelinisierung. Die graue Substanz der Großhirnrinde, bestehend aus den Neuronen (Nervenzellen), reift bis zum Alter von 14 Jahren, dann fällt die Reifungskurve bereits ab. Ihre langen Nervenfortsätze bzw. -fasern, die Verbindungsleitungen, zwischen wenigen Millimetern und bis zu einem Meter lang, werden sukzessive mit einer eiweißhaltigen Fettschicht ummantelt, dem Myelin (vgl. Böttger 2016: 66; Konrad et al. 2013). Myelin ist hell, nahezu weiß, und wird deshalb auch als weiße Substanz bezeichnet. Wie die isolierende Ummantelung eines elektrischen Kabels sorgt die Myelinschicht einerseits für Schutz der Fortsätze (Axone), andererseits aber auch für eine höhere Leitungsgeschwindigkeit ohne Verlust der neuronalen Impulse. Diese kann bis über 400 km/h erreichen.
Anders als lange angenommen, ist die Zeit der PubertätPubertät auch eine Zeit der sich schnell und steil entwickelnden Potenziale. Durch die MyelinisierungMyelinisierung werden Verbindungen zwischen Hirnarealen, auch solchen, die weiter auseinanderliegen, effizient.
Die MyelinisierungMyelinisierung verläuft zuerst über die primären sensorischen und motorischen ArealeAreale des Kortex, insbesondere solche für das Hören, Sehen und Fühlen, sowie Bewegungen. Erst in der PubertätPubertät sind am Ende dieser EntwicklungEntwicklung alle Teile des präfrontalen Kortex mit den anderen Hirnarealen verbunden. (Böttger 2016: 91)
Diese EntwicklungEntwicklung hat demnach eine festgelegte Richtung, von posterior nach anterioranterior, von hinten nach vorne. Denken allgemein, kognitive Fähigkeiten, aber auch Sprachaufnahme, -verarbeitung und -produktion beschleunigen sich mit dieser Entwicklung. Insbesondere der präfrontale Kortex, der StirnlappenStirnlappen, wird weitgehend neu organisiert (vgl. Abb. 6).
Der präfrontale Kortex, auch Stirnhirn genannt, operiert kognitiv, antizipativ, exekutiv und evaluativ: Wichtige, nicht nur für das Sprachenlernen relevante Entscheidungen werden hier getroffen. Der „CEO des Gehirns“ (vgl. Böttger 2016: 46) aktiviert beim Sprachenlernen neue Hirnareale, in denen nach
Übung und Wiederholung sprachliche Informationen gespeichert werden, Handlungsplanungen und Entscheidungen stattfinden sowie Antizipationen, das Vorhersehen von Handlungen, ablaufen. Übungen führen zu Automatisierung/Habitualisierung: Neue Verhaltensmuster aktivieren zu Lernbeginn größere ArealeAreale im Kortex. Je häufiger neue Muster wiederholt werden, desto stärker bildet sich der belegte Bereich im Kortex zurück, die neuen Erfahrungen werden in subcortikale Bereiche und damit in das Unbewusste verlagert. Der präfrontale Kortex entwickelt sich am langsamsten und erst zuletzt vollständig. (Böttger 2016: 46)
Wenn er dann vollständig entwickelt ist, die synaptischen Verschaltungen, die Kortexbereiche untereinander sowie die tieferen Bereiche des Gehirns zu einem Konnektom zusammenführen, dann sind auch die kognitiven Prozesse und Exekutivfunktionen im präfrontalen Kortex feinabgestimmt (vgl. Barkovich 2000; Benes et al. 1994).
Abb. 6
Dynamischer Umbau der grauen Substanz durch MyelinisierungMyelinisierung
1.2.3 Limbisches System
Der Prozess des qualitativen Umbaus hat auch seinen Preis. Er führt zunächst zur Spezialisierung, einer Art finetuning motorischer Fähigkeiten, auch im Bereich der Sprache. Das Neurotransmittersystem des Gehirns, verantwortlich für die Übertragung der Impulse von einer Nervenzelle auf andere durch Botenstoffe, verändert sich.
So erhöht sich bei der Aussicht auf BelohnungBelohnung, Belohnungssystem beispielsweise die KonzentrationKonzentration des im Volksmund und populärwissenschaftlich fälschlicherweise als „Glückshormon“ bezeichneten Neurotransmitters DopaminDopamin im StirnlappenStirnlappen, dem präfrontalen Kortex, und vermindert dessen LeistungsfähigkeitLeistungsfähigkeit. Gleichzeitig steigt sie im Nucleus accumbens mit seinen Dopaminrezeptoren an. Dopamin ruft GefühleGefühle der MotivationMotivation, der Euphorie und der Vorfreude hervor und überschwemmt das Gehirn buchstäblich.
Das „Übermannen der GefühleGefühle“, RisikobereitschaftRisikofreudigkeit, -bereitschaft und der Drang nach Anerkennung durch die peergroup hat seinen Ursprung dort im (meso)limbischen System: Vom Mandelkern (AmygdalaAmygdala), der die Information von außen verarbeitet, wallen sie ungefiltert und häufig unkontrollierbar hervor (vgl. Abb. 7). Durch diese während der AdoleszenzAdoleszenz typischerweise erhöhte Aktivität der Amygdala bei der emotionalen Reizverarbeitung können variable Gefühlszustände (vgl. Kap. 3.3) korrelieren, so z.B. verminderte AufmerksamkeitAufmerksamkeit oder impulsive Reaktionen auf Stressoren: Von himmelhoch jauchzend bis zutiefst betrübt reicht die emotionale Spanne. Dies schließt mögliche depressive Affekte mit ein (vgl. Spear 2010).
Das limbische System ist vor allem eine funktionale, weniger eine anatomische, Einheit und gehört zu den ältesten Teilen des Gehirns. Im limbischen System wird deutlich repräsentiert, wie eng Lernen, Gedächtnis, MotivationMotivation und GefühleGefühle zusammenhängen. Es ist eine ringförmige Anordnung verschiedener Hirnareale mit Filterfunktion: Sie entscheiden hauptsächlich, ob und welche Inhalte verarbeitet werden, sodass diese dann gegebenenfalls langzeitlich in der Großhirnrinde abgespeichert werden können. Dabei spielen EmotionenEmotionen, Motivationen, Relevanz und Präferenzen eine entscheidende Rolle (Böttger 2016: 55).
Erst im Alter zwischen 20 und 25 ist der präfrontale Kortex so weit ausgereift, dass er emotionale Affekte gezielt unterdrücken kann (vgl. Abb. 7a und b). Da Jugendliche in der AdoleszenzAdoleszenz tendenziell stärker ihr bereits gereiftes limbisches System nutzen (vgl. Sambanis 2013: 70f.), rangieren emotionale Verarbeitungen somit vor kognitiven. Der Verstand hat den Rest des Gehirns quasi noch nicht im Griff. Strategische, langfristige Planungen sind weitgehend noch nicht möglich. Für das Sprachenlernen liegt in dieser Erkenntnis ein Hinweis auf entsprechende Aufgabenformate (vgl. Kap. 5).
Abb. 7a und b
EntwicklungEntwicklung der kognitiven Kontrolle in der Adoleszenz (a) bzw. nach der Adoleszenz (b)
Die Fähigkeit, sich in andere zu versetzen, die eigene Perspektive zu verändern, ist vor der PubertätPubertät teils schon ausgeprägt. Während der Pubertät nimmt sie ab, mit dem Grad der HirnreifungHirnreifung dann erst wieder zu (vgl. 3.3.5). EmpathieEmpathie ist hochgradig sprachenrelevant – besonders auch in kommunikativen und interkulturellen Kompetenzen erhält sie Bedeutung. Die Beurteilung und Interpretation der Resultate dieses Perspektivwechsels allerdings ist meist noch geprägt durch den emotionalen Filter des limbischen Systems und weniger durch KognitionKognition.
1.2.4 Weitere relevante Veränderungen
Interhemisphärische Relaisstation: der Balken
Das Corpus callosum ist ein neuronaler Faserbalken, der die Hemisphären im Gehirn verbindet. Auf der Suche nach weiteren Wachstumsmustern des sich entwickelnden Gehirns vor und während der PubertätPubertät ist festzustellen, dass sich dieses Hirnareal vor und während der Pubertät stark entwickelt, sich aber gleich anschließend abschwächt.
Für Eltern und Lehrkräfte ist die Erkenntnis von hohem Interesse, dass diese Ergebnisse Studien zum Spracherwerb stützen, die eine Abnahme der Fähigkeit, neue Sprachen zu lernen, propagieren (Thompson et al. 2000).
Hormonelle Besonderheiten
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