Übersetzungstheorien. Radegundis Stolze

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Übersetzungstheorien - Radegundis Stolze


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ich den SinnSinn zu treffen suche, muß ich einen langen Umweg machen und lege kaum ein kurzes Wegstück zurück.

      In diesen frühen Äußerungen zum ÜbersetzenÜbersetzen folgte praktisch die TheorieTheorie aus der PraxisPraxis als deren Begründung. Solche einzelfallbezogenen Hinweise dokumentierten die Übersetzungsschwierigkeiten des jeweiligen Übersetzers und zeigten den von ihm gewählten Lösungsweg auf. Das ist aber noch keine ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie.

      Auf der Suche nach einer „Regel des Übersetzens“ gab es immer wieder allgemein gefasste Grundprinzipien als übersetzerische Zielvorstelllung, die freilich in ihrer Allgemeinheit wenig über das tatsächliche Vorgehen im Einzelfall aussagen. Im 18. Jh. ist Alexander TYTLERTytler (1791) zu nennen. Als Grundvoraussetzungen für eine gute Übersetzung forderte er, was unwiderleglich ist: Kenntnis beider Sprachen, Einblick in die angesprochene Sache, Stilsicherheit und ein Verständnis der Mitteilungsabsicht des Autors. Das Verhältnis von TextvorlageTextvorlages. Ausgangstext, AS, Original und Übersetzung fasste er bündig zusammen4Tytler:

      I. That the translationTranslation should give a complete transcript of the ideas of the original work. II. That the style and manner of writing should be of the same character with that of the original. III. That the translation should have all the ease of the original composition.

      Kommentar

      Seit jeher haben Übersetzungen zwischen den Völkern vermittelt. Frühe ÜbersetzerÜbersetzer begründen zwar ihre Methode, doch es gelingt noch nicht, das ÜbersetzenÜbersetzen als eine spezifische SprachverwendungSprachverwendungs. Sprachgebrauch theoretisch zu fassen und wissenschaftlich zu beschreiben. Die zahlreichen Anmerkungen zum Übersetzen kreisen im Grunde immer um den grundsätzlichen Streit zwischen der abbildend-wörtlichen und der sinngemäß-übertragenden, also der „treuen“ und der „freien“ Übersetzung, was vielleicht mit einzelnen Beispielen belegt, aber nicht stringent theoretisch begründet wird.

      Als Faustregel lehrte man lange Zeit, und im schulischen Fremdsprachenunterricht teilweise bis heute, man solle „so wörtlichwörtlich wie möglich und so frei wie nötig übersetzen“, wobei dies eigentlich ein Zirkelschluss ist. Man könnte also sagen, dass sich, sobald die PraxisPraxis nicht mehr reibungslos funktioniert, ein BewusstseinBewusstsein der jeweiligen Problematik entwickelt. Einsichten werden beschreibend zusammengefasst, jedoch handelt es sich hierbei noch nicht um eine ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie.

      Lektürehinweise

      HIERONYMUS: „Epistel an Pammachius“, in: Hans J. STÖRIGStörig (Hrsg.) (1969): Das Problem des Übersetzens, S. 1–13.

      Werner KOLLERKoller (1992, 82011): Einführung in die Übersetzungswissenschaft. 4. erw. Aufl., Tübingen; besonders Kapitel 1.2.

      Martin LUTHERLuther: „Sendbrief vom Dolmetschen“ (1530), in: Hans J. STÖRIGStörig (Hrsg.) (1969): Das Problem des Übersetzens, S. 14–32.

      Astrid SEELESeele (1995): Römische Übersetzer – Nöte, Freiheiten, Absichten. Darmstadt.

      Hans J. STÖRIGStörig (Hrsg.) (1969): Das Problem des Übersetzens. Darmstadt.

      Der Blick auf die Sprachsysteme

      2 Relativistisch orientierte Theorien

       Die deutsche Romantik betonte den eigentümlichen Geist der SpracheSprache und sah das ÜbersetzenÜbersetzen künstlerischer Werke als nur unvollkommen möglich. Die SprachinhaltsforschungSprachinhaltsforschung betrachtet die Sprachen als geschlossene Systeme und gelangt zum linguistischen RelativitätsprinzipRelativitätsprinzip der unüberwindlichen Strukturverschiedenheit. Die Dekonstruktion untersucht die Sprachstrukturen als Spiegel des Unbewussten, der Wortsinn flottiert. Die Folge all dessen ist Unübersetzbarkeit.

      2.1 Einheit von SpracheSprache und DenkenDenken (HumboldtHumboldt)

      Bis ins 19. Jahrhundert wurde nur das ÜbersetzenÜbersetzen der Heiligen Schrift und literarischer Kunstwerke als anspruchsvolle Aufgabe angesehen, die eine theoretische Erörterung überhaupt lohnt. Für die heiligen Schriften galt weiterhin wegen der Unantastbarkeit der Wortfolge die Interlinearversion (s. Kap. 1.3), und sonst legte man eine allgemeine Übersetzungsmaxime, eine Art idealer TreueTreue zum Originaltext und zum AutorAutors. Sender zu Grunde: oberstes Gebot war stets, die Stimme des Autors zu Gehör zu bringen. Dahinter steckt aber eine bestimmte Vorstellung vom „Geist der SpracheSprache“, die besonders in der deutschen Romantik formuliert wurde.

      Wegweisend für dieses DenkenDenken war Wilhelm von HUMBOLDTHumboldt (1767–1835), der in der Einleitung1Störig zu seiner Übersetzung von Aeschylos’ Agamemnon (1816) feststellt, ein solches Werk sei „seiner eigenthümlichen Natur nach“ unübersetzbar (ebd.:80). HUMBOLDT sieht das Denken in Abhängigkeit von der MutterspracheMuttersprache: „Die SpracheSprache ist gleichsam die äußerliche Erscheinung des Geistes der Völker; ihre Sprache ist ihr Geist und ihr Geist ihre Sprache, man kann sich beide nicht identisch genug denken.“2Humboldt Sich eine Sprache aneignen, in eine KulturKultur hineinwachsen heißt, die Wirklichkeitsauffassungen und die Sprache, in der diese Kultur tradiert wird, zu übernehmen. Die Sprache ist kein beliebig austauschbares Anhängsel der Identität, sondern grundlegend für die je besondere Erfassung von Welt, für ihre Beschreibung und ihr VerstehenVerstehen durch den Einzelnen. Hierauf gründet die Vorstellung von der UnübersetzbarkeitUnübersetzbarkeit, die natürlich besonders für dichterische Texte geltend gemacht wird. HUMBOLDT3KollerHumboldt sagt:

      Alles ÜbersetzenÜbersetzen scheint mir schlechterdings ein Versuch zur Auflösung einer unmöglichen Aufgabe. Denn jeder ÜbersetzerÜbersetzer muß immer an einer der beiden Klippen scheitern, sich entweder auf Kosten des Geschmacks und der SpracheSprache seiner Nation zu genau an sein OriginalOriginals. Ausgangstext oder auf Kosten seines Originals zu sehr an die Eigentümlichkeiten seiner Nation zu halten. Das Mittel hierzwischen ist nicht bloß schwer, sondern geradezu unmöglich.

      Der Grund für die Unmöglichkeit liegt in der Verschiedenartigkeit der Einzelsprachen, weil „kein Wort einer SpracheSprache vollkommen einem in einer andren Sprache gleich ist“, und dies gründet in der Identität von Sprache und DenkenDenken:

      Ein Wort ist so wenig ein Zeichen eines Begriffs, dass ja der BegriffBegriff ohne dasselbe nicht entstehen, geschweige denn fest gehalten werden kann; das unbestimmte Wirken der Denkkraft zieht sich in ein Wort zusammen, wie leichte Gewölke am heitren Himmel entstehen (Einleitung, S. 80).

      HUMBOLDTS für die ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie eher pessimistische Vorstellung, dass der Gedanke mit der RedeRedes. parole eins sei, hat fortgewirkt, wenn es im Großen Brockhaus von 19804 zum ÜbersetzenÜbersetzen heißt:

      Wenn SpracheSprache und Gehalt eine Ganzheit bilden – das gilt für dichter. Kunstwerke so gut wie für das alltäglich in individueller, bes. auch mundartlicher Färbung Gesprochene –, kann jede Ü. nur eine möglichst starke Annäherung an das OriginalOriginals. Ausgangstext sein. Freie Ü. oder Nachdichtung ist der Versuch, das OriginalOriginals. Ausgangstext im anderen sprachl. Medium gleichsam neu zu erschaffen.

      2.2 Verfremdendes ÜbersetzenÜbersetzen (SchleiermacherSchleiermacher)

      Der wohl wichtigste theoretische Beitrag zum ÜbersetzenÜbersetzen im 19. Jh. stammt von HUMBOLDTS Zeitgenossen Friedrich D.E. SCHLEIERMACHERSchleiermacher (1768–1834). In seiner Abhandlung „Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens“ von 18131Störig stellt SCHLEIERMACHER die Prinzipien dar, die seiner Platon-Übersetzung zugrunde lagen. Er reflektiert über die Schwierigkeit, den „Geist der Ursprache“ in eine Übersetzung einzubringen, und hebt auf drei Unterscheidungen ab:

      (1) Zunächst unterscheidet er Texte, in denen einfaches Berichten über einen Sachverhalt im Vordergrund steht, wie beispielsweise im Wirtschaftsleben, in Zeitungsartikeln, Reiseberichten usw., von solchen Texten, in denen „des Verfassers eigenthümliche Art zu sehen“ (ebd.:40) zum AusdruckAusdruck kommt, nämlich in Kunst und Wissenschaft. Bei Ersteren komme es in der


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